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Nix mit Wein: Das „neue“ Bierland Italien

Beim Stichwort Italien denkt kaum jemand an gutes Bier, eher an dünne Lagersude. Das ist fatal, denn die Craft-Szene im deutschen Sehnsuchtsland floriert. Und zwar so richtig. Peter Eichhorn zeichnet die Rahmenbedingungen dieser Entwicklung nach und zeigt, warum es kreative Biere in Italien in gewisser Weise wesentlich leichter haben als nördlich der Alpen.

Die italienische Getränkelandschaft ist herrlich. Unmittelbar schweifen die Gedanken und Gaumenerinnerungen zu den Weinbergen der Toskana und des Piemonts, an die Mailänder Weinbars mit Wermut und Campari und an die wundervollen Tresterbrände von Nonino, Poli oder dem unvergessenen Romano Levi. Wer braucht denn da noch Bier? Zumal: Die aromatisch eher reduzierten Lagerbiere Moretti oder Peroni mögen an einem heißen Sommertag am Lago Maggiore angenehm erfrischen, aber den Weg über die Alpen würde man allein für diese Brauwaren nicht antreten müssen.

DIE NEUE ZEIT – ITALIENISCHES CRAFT BEER!

In den 1990er Jahren begann ein neues Bierzeitalter in Italien. Damals entstanden neue Gasthausbrauereien und boten geschmacklich spannende Biere. Dazu kam eine neue Generation von Heimbrauern, die sich aus Belgien, den USA und Deutschland aromatisch und handwerklich inspirieren ließen. Im nächsten Schritt entstanden neue Brauereien, deren Biere weiträumiger verfügbar wurden und deren anspruchsvolle Machart insbesondere im genussorientierten und bezahlwilligen Norden des Landes begeistert angenommen wurden.

BIER HEISST IN ITALIEN IMMER AUCH: GENUSS

Im Weinland Italien wird anders Bier getrunken als in Deutschland, England oder Österreich. Alljährlich erscheinen die Bierstatistiken und werden neugierig erwartet. Beispielsweise, wenn es um den Pro-Kopf-Verbrauch der europäischen Länder geht. Unangefochten liegt seit Jahren Tschechien an der Spitze, wo auf jeden Einwohner aktuell stolze 144 Liter Bier im Jahr kommen. Um den zweiten Rang ringen Österreich und Deutschland. Aktuell liegt Deutschland mit 107 Litern knapp vor Österreich mit 104 Litern. Erst ganz unten in der Tabelle zeigen sich die Weinländer: Spanien mit 47 Litern, Portugal (46), Griechenland (35), Frankreich (30) und auf dem vorletzten Platz liegt Italien mit 29 Litern. Dahinter folgt nur noch die Türkei (18). Weitere Untersuchungen belegen aber, dass gerade in Italien komplexe Genussbiere nicht nur erfolgreich in den Restaurants und Bars vertreten sind, sondern dass die Feinschmecker auch gerne bereit sind, hohe Preise für anspruchsvolle Biere zu bezahlen. In den Restaurants des Landes haben die eleganten Flaschen der neuen Braumanufakturen einen festen Platz.

DIE SPITZE IST NOCH LANGE NICHT ERREICHT

Die Braukultur sprießt gewaltig im Stiefel zwischen Adria und Mittelmeer. Waren im Jahre 2009 gerade einmal 256 Brauereien aktiv, so sind es heute über 600. Die italienischen Kreativbrauer sahen von Anfang an ihre Zielgruppe in den Genussmenschen und entwickelten daher komplexe Brauspezialitäten, die insbesondere als Speisenbegleiter ihr Potenzial entfalten. Abgefüllt in aufwendige Flaschen, meist mit 0,75 Litern Inhalt und mit herrlichen Etiketten, sollten die Biere vom Design, vom Preis und vom Aromenspektakel her mit den Weinen der Region mithalten.

Einige Herstellungstechniken übernahmen die Brauer von den Winzern, außerdem spielen regionale Zutaten eine wichtige Rolle. Nicht selten enthalten die Biere Gewürze, Kräuter und Früchte aus ihrer jeweiligen Herkunftsgegend. Zutaten wie Salbei, Zitrone, Knoblauch, Melone und insbesondere Kastanien bereichern oft die Grundzutaten aus Wasser, Hefe, Hopfen und Malz. Derzeit experimentieren die Brauer intensiv mit Weinfässern, in denen sie die Biere nachreifen lassen.

Mittlerweile kommen langsam, aber stetig!, einige der Spezialitäten über die Alpen in unsere nördlichen Gefilde. Die Biere sind besonders, und so darf man sich von einer Stilbezeichnung auf dem Etikett nicht irreführen lassen, sondern muss sich mit etwas Wagemut versehen und auf die spezielle Interpretation des Stils einlassen. Hier einige Probierempfehlungen:

Birrificio del Ducato

Auf den ersten Blick verrät das „Via Emilia“ von Birrificio del Ducato, ein Kellerpils zu sein. Im Geschmack fasziniert das sechs Wochen gelagerte und kaltgehopfte untergärige Bier, welche Aromatik auf diese Weise entstehen kann: Kräuter treffen auf florale Momente, etwas Harz, erfrischende Kohlensäure und eine intensive Note vom klassischen Tettnanger Hopfen. Kein Wunder, dass dieses Bier mit zahlreichen Auszeichnungen bei internationalen Bierwettbewerben überschüttet wurde.

Birrificio Italiano

Der geniale Agostino Arioli begann seine Laufbahn als Heimbrauer und gründete 1996 nördlich von Mailand eine der ersten Pionier-Kreativbrauereien Italiens. Unvergessen bleibt sein Barley Wine mit Polaris-Hopfung. Leichter in Deutschland erhältlich ist das „Vudú“: Inspiriert von einem dunklen, bayerischen Weizenbier, entfaltet es Anklänge von Nelke, Banane und Brotrinde, vollmundig eingebettet in Schokolade und Röstmalz.

Brewfist

2010 von zwei Bierenthusiasten in der Lombardei gegründet, verweisen die punkigen Etiketten auf eine neue Generation italienischer Brauer, die sehr stark von der Craft-Bewegung aus USA inspiriert wurde. Ihr „Green Petrol Black IPA“ mit gefährlichen 8% Vol. Alc. ist ein unglaubliches Bier. Kraftvoll, mit Kräutern und Röstaromen, zwischen denen sich stets florale Anklänge verbergen. Die Roggennote paart sich hervorragend mit den verwendeten Hopfensorten Mosaic und Amarillo.

Baladin

Teo Musso gründete 1986 in seiner piemontesischen Heimat eine Kneipe, aus der zehn Jahre später eine Brauerei erwuchs, die einen wesentlich Anteil daran trug, den legendären Ruf italienischer Brauereien weltweit zu begründen. Seine Biere sind sehr belgisch inspiriert, was beispielsweise sein „Isaac“ köstlich belegt. Angelehnt an ein belgisches Witbier, vermählt Musso Weizen- und Gerstenmalz, aber auch Weizen-Rohfrucht, Koriander, Kandis und Orangenschalen. Heraus kommt ein kraftvolles Bier mit Kräuter- und Fruchtnoten und einer herrlichen Rezenz. Eine Alternative zu Champagner? Könnte man ausprobieren.

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Credits

Foto: Lago Maggiore & Flasche & Segel via Shutterstock. Postproduktion: Tim Klöcker.

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