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Berliner Bargeschichten oder auf der Spur des Hurricane

Berlin war eine Insel. Manche Bars sind es immer noch. Vor allem im Stadtteil Schöneberg kann man sich noch auf eine kleine Zeitreise begeben. Hier drehen sich Discokugeln über den Tresen und man weiß nicht, was mehr Patina hat: das Klientel oder die Barkarten. Zeit für einen Hurricane – oder drei.

Auf der Suche nach Urgesteinen des Berliner Barlebens fallen gerne Namen wie Bar am Lützowplatz, Weisse Maus, Baronette und natürlich der unentwegte Rum Trader. Lediglich letzterer existiert noch und glänzt beständig mit hart gesottenen Mai Tais und Booth’s Gin & Tonic.

Tatsächlich bietet Berlin auch noch einige Bars, die auf eine beständige Betriebsamkeit durch die Jahrzehnte hindurch zurückblicken können. Insbesondere der Ortsteil Schöneberg beheimatet einige dieser Klassiker, die im heutigen, trendigen Bar-Berlin der Design-Bars und Mixologen-Tresen tief unter dem Radar fliegen.

MIXOLOGY ONLINE besuchte drei dieser bewährten Treffpunkte der Nacht, die von einem bewährten Stammpublikum getragen werden und daher keinen Zwang verspüren, den Mix-Wettbewerben, Fat-Washing-Trends, Smokern und Sous Vide-Geräten zu huldigen. Unauffällig und konstant verrichten sie ihre Gastgeberrolle. Was ist los in den Bars, von denen die jüngste immerhin schon seit 23 Jahren das Eis in den Shakern klappern lässt?

Hudson Bar

Seit mehr als 30 Jahren versteckt sich die Bar in einer unscheinbaren Seitenstraße hinter dem Berliner Kammergericht. Nur an zwei Tagen geöffnet, wirkt die Bar eher wie ein verspieltes Wohnzimmer für erwachsene Stammgäste. Sie nehmen Platz an den wenigen, beinahe ständig besetzten Barhockern oder an den Tischen mit Ledersesseln, die sich durch den schmalen Raum ziehen. Hinten ist ein Spezial-Tisch mit Chesterfield-Sofa und eigener Deko.

Schwarz-weiße Fliesen auf dem Boden, eine glitzernde Disco-Kugel und bunte Lichtelemente unter der Decke und an der hinteren Wand, an der ein rosa Schriftzug der Bar eine dezente Formgebung des männlichen Geschlechtsorgans enthält. Ein letztes Überbleibsel aus den frühen Tagen der Bar, die seinerzeit als schwules Etablissement begann. Seit ungefähr sieben Jahren führt ein neuer Betreiber die Traditions-Bar fort, die keine jugendliche Bar sein möchte. In der Tat verkehrt hier ein sorglos gekleidetes Publikum reiferen Alters.

Die Karte wäre eine Nominierung bei den MIXOLOGY BAR AWARDS wert. Ein umfangreicher Schmöker voller Geschichten und Anekdoten der Cocktail-Historie, den man gar nicht mehr aus der Hand legen möchte. Spirituosen werden erklärt, historische Cocktailbücher empfohlen und der Leser in die Irre geführt, um was für einen Hudson es sich wohl beim Namensgeber handelt.

Einigen der Drinks-Gruppen begegnet man nicht allzu oft. So gibt es eigene Kapitel für Grapa-Cocktails oder Korn-Drinks. Auch Sake wird gewürdigt.

Als Cocktail muss natürlich ein Drink ins Glas, der an die alten Zeiten erinnert, und so kommt ein durchaus sehr erfreulicher Hurricane an den Tisch. Wer jemals einen Hurricane am Ort seines Entstehens, bei Pat O’Brien’s Bar in New Orleans, trank, erinnert sich sicherlich an die rote Zunge, die man anschließend herausstrecken konnte. In der Hudson Bar fehlt glücklicherweise die Überdosis von Farbstoffen, er kommt in orange daher. Zwei Sorten Rum, Limette, Orange, Ananas und Maracuja. Das Ergebnis ist fein und zeigt, warum manche Drinks sich eben als Klassiker durchgesetzt haben. Ein Blick ins Backboard verrät zudem, dass sich der Barchef hier um Aktualität kümmert: ein zeitgemäßes Gin-Sortiment und einige sehr ordentliche US-Whiskeys. Es gibt Wasserservice und ein Schälchen mit Chips und Erdnusslocken.

Hier hechelt man keinem Trend hinterher, dennoch ist die Hudson Bar nicht veraltet oder gar schäbig. Die Cocktails sind gut abgeschmeckt, der Service ist sehr aufmerksam und freundlich und die Räume sind sauber und sehr gepflegt. Das schönste Detail sind die Flipper-Elemente, die zu Lampen umfunktioniert wurden. Die Hudson Bar bietet eine wundervolle Mischung aus Nostalgie und guten Getränken in einem gut versteckten Rückzugsraum. Eigentlich schade, dass sie nur zwei Öffnungstage bietet.

Elßholzstraße 10, 10781 Berlin-Schöneberg

Fr & Sa ab 18 Uhr

Jansen Bar

Der Weg führt weiter auf die „Rote Insel“, jenen Teil von Schöneberg, der seinen Namen von der Prägung aus der Arbeiterschaft und insbesondere aus der Situation erhält, dass Eisenbahngleise für eine Insel sorgen, die nur über Brücken zu erreichen ist. 1993 eröffnete die Jansen Bar auf der Insel ihre Pforten und war damals eine der ersten Adressen, die mit frisch gepressten Säften mixte. Säfte spielen auch heute noch eine bedeutende Rolle in den Drinks.

Spirituosen und Cocktails verströmen tatsächlich den Hauch der 1990er rund um Swimming Pool und Flying Kangaroo. Dazu eine Portion Eigenkreationen, wie dem „J. on the Beach“ mit Vodka, Wassermelone, Grenadine, Zitrone und Cranberry. Zuvor gilt es, die Klingel zu betätigen, prüfende Blicken der Stammgäste zu bestehen und einen freundlichen Gruß vom sympathischen Barmann entgegen zu nehmen.

Die drei Räume sind sehr unterschiedlich. Am schönsten ist der Raum mit dem Tresen und dem hell beleuchteten Rückbuffet, umgeben von Stuck, Kacheln und einer hübschen, türkisen Retro-Tapete, über der eine Disco-Kugel baumelt. Der Hauptraum ist sehr unspektakulär und schummrig mit roten Wänden und rosa-orangener Lichtdecke. Die Bodendielen knarren, ein bunt gemischtes Volk sitzt auf klassischen, hölzernen Kneipenstühlen und ausrangierten Wohnzimmersesseln und trinkt Bier und Wein, aber auch viele Cocktails. Die Atmosphäre scheint Studis, Nachbarn und Alt-68er gleichermaßen zu vereinen. Die Drinks sind mit um die sieben bis acht Euro fair bepreist. Erdnüsse gibt’s aufs Haus.

Der Hurricane wird ansprechend im großen Tulpenglas mit Crushed Eis serviert; mit Kirsche, Orangenrad und rotem Trinkhalm sorgfältig dekoriert. Er ist extrem süß interpretiert. Da der Castros Cooler der Begleitung sehr sauer war, konnte kurzerhand im Eigenbau nachjustiert werden. Der Service ist freundlich, die Stimmung ausgesprochen angenehm. Der Bartender mixt voller Hingabe und Leidenschaft, alle Anwesenden lachen, keiner muss posen. Nett hier.

Gotenstraße 71, 10829 Berlin-Schöneberg

Di – Do 20:00 – 2:00, Fr & Sa 20:00 – 3:00 Uhr

Zoulou Bar

Das mysteriöse Symbol an der Bar erinnert ein wenig an ein Zeichen in Tim und Struppi – „Die Zigarren des Pharao“. Tatsächlich handelt es sich um eine Raucherbar. Aber man benötigt keinen ägyptisch-royalen Stammbaum und auch keine afrikanische Bantu-Herkunft, um freundlich in der Bar aufgenommen zu werden und sich inmitten der reichlichen Patina auf die roten Lederbänke oder an den Tresen zu setzen. An der Decke hängt selbstverständlich eine Disco-Kugel, wenngleich die sehr dämmrige Beleuchtung diese kaum zur Geltung kommen lässt. Nostalgische Schreibtischlampen werfen indirektes Licht an die Wände und Teelichter flackern auf den Tischen.

Die Zoulou Bar ist aufrichtig der Nacht gewidmet. Am Tresen die Stammgäste. Abgehalfterte Mitternachts-Cowboys, angetrunkene Nachtschwärmer, reifere Prahler und einsame Trinker. Sie alle finden am Kleistpark eine Einkehr am Ende eines merkwürdigen Tages. Ich mag die Atmosphäre der Bar. Hier erzählt die Nacht ihre Geschichten. Echtes Berlin, fernab von den Vierteln der Hipster und der Digitalen Boheme. Hier sind Kerben in den Tischen und Falten in den Gesichtern.

Das aktuellste ist immerhin eine Tafel mit einem Gin & Tonic-Menü. Dieser Trend spricht sich selbst in den verborgensten Winkeln der Tresenwelt herum. Es ist spät in der Nacht, dennoch sind 15 Gäste anwesend. Niemand hat einen Cocktail vor sich stehen. Das Cocktail-Menü hat die Stufe „Patina“ bereits hinter sich. Das dünne Papier wird anscheinend nur noch zufällig zusammen gehalten. Vergilbtes beige ist die dominante Farbgebung, wie auch an den Wänden. Der Betreiber freut sich über eine Gäste-Rezension auf der längst erloschenen Bewertungs-Plattform „Qype“.

Auch hier erwartet den Leser die übliche Mischung aus Latin Lover, Long Island Iced Tea und Strawberry Colada. Auch ein Hurricane ist selbstverständlich dabei. Im hohen Becherglas (mit Sprung) serviert und mit einer Kombination aus Kiwi, Ananas und Physalis dekoriert. Nach dem ersten Schluck möchte man dem Beispiel der anderen Gäste folgen und zu Wein oder Bier greifen.

Es gibt gute Gründe, in der Zoulou Bar einzukehren und eine interessante Zeit zu verbringen. Die Cocktails gehören nicht zwingend dazu, auch wenn ein sehr, sehr alter Zeitungsausschnitt im Fenster gerade dies an der Bar lobt.

Hauptstraße 4, 10827 Berlin-Schöneberg

Mo – Do 20:00 – 5:00, Fr & Sa 20:00 – 6:00 Uhr

Puh, was für eine Zeitreise in die 90er! Sie ist in Berlin noch immer möglich. Überraschend, zuweilen erfreulich, manchmal magisch, zuweilen mit sensationeller Patina. Jedenfalls immer mit einem Hurricane unter einer Disco-Kugel. Schmunzeln und Kopfschütteln – alles wird serviert. Machmal ist es herrlich, wenn die Zeit stehen bleibt, manchmal ist es sinnvoll, sich behutsam zu aktualisieren. Ein Gastronom sollte die Balance erkennen und den Blick für zeitgemäßes Trinken nicht verlieren. Heute haben wir die besten Zutaten, um Piña Colada und Swimming Pool richtig köstlich zu mixen. Und natürlich auch den Hurricane! Her damit.

Credits

Foto: Foto via Zoulou Bar

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