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BIER, BARS & BRAUER #27

In dieser Ausgabe erforschen wir die Grenze zwischen Mischbier und Craft Beer, blicken gen Süden zur etablierten Braukunst Live! und einem Bierfestival-Neuling, der hoch hinaus will. Auch gibt es einige Neu- oder Wiedererscheinungen von Dinkelacker, Alpirsbacher und Uerige/Kehrwieder – allesamt in Bügelflaschen.

Craft Beer soll Grenzen austesten und Gewohnheiten der vorherrschenden Bierkultur in Frage stellen. Darin ist es urrebellisch, und dadurch so sympathisch. Dabei schießt es manchmal über das Ziel hinaus, auch das ist zu erwarten. Doch das größte Missverständnis und die hartnäckigste Lüge, welcher Otto Normalpilstrinker aufgesessen scheint, ist, dass Craft Beer seine Bierwelt zerstören wird, während man Goldbiertrend und Mixwelle arglos durchgewunken hat, jahrzehntelangen Preiskrieg freudig begrüßt und den Niedergang charakterstarker Biere damit selbst unterstützt hat.
Craft Beer ist der Freund der Bierkultur, der sich traut, sie auch auf die eigenen Fehler aufmerksam zu machen, nicht ihr Zerstörer. Doch dazu später mehr. Zeit, Bierkultur zu feiern, auf gewohnte und ungewohnte Art:

Braukunst Live! will Qualitätswachstum statt Rekordzahlen

Bisher war ja eigentlich jedes Jahr des Münchner Craft Beer-Festivals ein Rekordjahr. Seit der 2012er-Premiere des deutschen Craft-Vorreiters im Messebereich stieg die Besucherzahl von idyllischen Zweieinhalbtausend auf randvoll gefüllte Neuntausend. Doch auch wenn diese Zahl in der Zeit vom 10.-12. Februar 2017 vielleicht nochmals getoppt werden kann, dürfte damit das Ende der Rekordserie erreicht sein – einfach weil das Münchner MVG-Museum mit voraussichtlich über 100 Ausstellern an die Grenzen seiner Kapazitäten stößt.
Frank Böer kann damit allerdings gut leben und spricht nicht mehr vom Umzug in eine größere Halle. “Erstens gibt es in München schlicht keine geeigneten Alternativen, zweitens wären diese nicht bezahlbar”, sagt er im Interview auf feinerhopfen.de. Dem Veranstalter der BKL und der Whisk(e)y- und Spirituosenmesse Finest Spirits ist eine etablierte und ausverkaufte Veranstaltung mit eingespielter Organisation lieber, als in neuer Umgebung quasi neu beginnen zu müssen.

Auf der Stelle treten möchte man natürlich dennoch nicht, und so gibt es in diesem Jahr erstmals eine Rare Beer Area, wo man sich gegen zusätzliche 20 Euro (Tagestickets kosten ebenfalls 20 Euro inkl. fünf Bierproben der Premiumpartner à 0,1l ) Zugang zu zehn Proben seltener Biere verschaffen kann. Auch will man mit dem “BKL Lab” fünf kleinen Bierprojekten die Möglichkeit geben, kostenlos auszustellen. Mit dem “Best of BKL” kehrt der Wettbewerb um die besten Biere der BKL aus den ersten zwei Jahren in anderer Form zurück. Das Publikum stimmt ab, und die sechs Sieger wandern in ein Sixpack, das im Anschluss an die Veranstaltung auch im Einzelhandel verkauft wird. Genug neues also, um auch alte Hasen bei der Stange zu halten.

Craft Beer treibt es auf die Spitze

Ein (Craft-)Bierfestival der anderen Art findet hingegen findet im Skigebiet Hochkönig in Österreich statt, eine knappe Autostunde von Salzburg entfernt. In teilnehmenden Hotels, Pensionen und anderen Unterkunftsbetrieben in den Orten Mühlbach, Maria Alm und Dienten werden vom 24. bis 26. März 2017 Verkostungen und ähnliches rund um Bierspezialitäten angeboten. Der Clou: Am zweiten Tag geht das Bier auf die Skihütten, es werden kostenlose Proben von Brauereivertretern angeboten und erläutert. Live-Musik und DJs sorgen für entsprechende Festivalstimmung.
Mit dabei sind namhafte österreichische, deutsche und internationale Brauereien wie z.B. Stiegl, Zipfer, Gusswerk, Bevog, Crew Republic oder Steamworks. Schade, dass es für die Nordlichter von Kehrwieder wohl etwas zu weit ist, sie hätten zu diesem Anlass vielleicht ihre SHIPA-Serie mit einer SKIPA-Edition bereichern können. Moderater Genuss versteht sich während der Veranstaltung natürlich von selbst, denn steigt man im Nachhinein noch auf die Bretter, die die Welt begleiten, ist (Ski-)Fahrtauglichkeit ein Muss.

Bügelflaschen braucht das Land …

… dachte man sich zumindest in Baden-Württemberg, genauer bei Alpirsbacher Klosterbräu und Dinkelacker-Schwaben Bräu, sowie im Rheinischen bei Uerige. Die Klosterbrauerei aus dem Schwarzwälder Alpirsbach, unlängst bei den World Beer Awards mit Medaillen überhäuft, ließ im Januar mit dem Bäcker Stoff ein zweites “Branchenbier” auf das bereits vier Jahre zuvor erschienene Metzgerbier folgen. Zugegeben, die Verwandtschaft zwischen Bäckern und Brauern ist ungleich höher, also höchste Zeit für ein Bäckerbier. Mit 5,2 Volumenprozent Alkohol ist das Bäcker Stoff ein Spezial (gemeint ist der Bierstil, nördlich der Weißwurstgrenze mit einem Export vergleichbar) und wird über die BÄKO, einen genossenschaftlich organisierten Fachgroßhandel insbesondere im süddeutschen Raum, Bäckern und Konditoren angeboten. Der Preis wird voraussichtlich ähnlich dem Metzgerbier bei ca. drei Euro pro Liter anzusiedeln sein.

Bei den Stuttgartern von Dinkelacker-Schwaben Bräu hingegen hat man ein Helles in die 0,5l-Ploppflasche gefüllt. Das Dinkelacker Hell bringt mit 11,4° Stammwürze und 5,0% Vol. typische Werte für ein süddeutsches Helles mit, eine saubere Malzaromatik und dezente Hopfung sorgen für mild-süffige Trinkbarkeit. Das neue Hell ist nicht zu verwechseln mit dem weiterhin erhältlichen CD (steht für Gründer Carl Dinkelacker) Helles, welches sich von dem neuen Produkt durch eine stärkere Hopfenbetonung und intensivere Perlage unterscheidet.

Noch u(e)riger ist die Bügelflasche, in die die Düsseldorfer Altbierbrauerei Uerige ihre Gebräue abfüllt – mit Reliefwappen und in 0,33l. Wie schon im letzten Jahr gibt es auch 2017 erneut die Kollaboration mit der Kreativbrauerei Kehrwieder. Allet Jrön heißt die Grünhopfensticke, also ein mit feldfrischem (und daher nicht wie üblicherweise getrocknetem) Hopfen gebrauter Altbierbock. Das grüngrasig-feucht-pflanzenhafte Aroma frischen Hopfens ist zwar zu Beginn gewöhnungsbedürftig, aber für Hopfenfreunde ein saisonaler Genuss. Die Exklusivität dürfte sich allerdings preistechnisch zu Buche schlagen, 3,49 Euro wird man pro Flasche wohl auf den Tisch legen müssen.

Der schmale Grat zwischen Craft und Biermix

Mit berechenbarer Regelmäßigkeit erscheinen in den Massenmedien Meinungen zur Entwicklung der Bierwelt, die sich in etwa so zusammenfassen lassen: “Was soll mir dieser neumodische Kram? Ich will in Ruhe meine Halbe/meinen Humpen/meine Stange trinken!” Jüngstes Beispiel: Oliver Rasche in der “Welt” .

Mal abgesehen davon, dass Rasche Brauspezialitäten und Biermischgetränke hemmungslos über denselben Kamm schert (logisch: ein spontan vergorenes, fassgereiftes und von einem Master Blender verschnittenes Oude Kriek ist halt dasselbe, wie Kirschsaft rein zu kippen), er ist auch, was die Biermixe angeht, gute zehn Jahre zu spät dran mit seiner Tirade. Bei all der schlecht recherchierten Stimmungsmache trifft er allerdings unabsichtlich einen wunden Punkt: Wo ist eigentlich die Grenze des guten Geschmacks zwischen Biermischgetränk und Kreativbier?

Unlängst sorgten im Web das Stoutella von Knee Deep Brewing aus Kalifornien (ein nach Nutella schmeckendes Milk Stout), sowie das Hornswoggler von The Veil Brewing aus Virginia (dasselbe für Oreo-Kekse) für Aufregung und versuchten, die Sünden des Erwachsenendaseins mit denen der Kindheit zu verbinden.

Sind das, oder das hervorragende Yellow Belly Peanut Butter Biscuit Imperial Stout von Buxton/Omnipollo, nun Mischbiere? Nein, denn der Geschmack wird in allen Fällen nicht durch die nachträgliche Zugabe von Sirups oder Vergleichbarem erzeugt, sondern während des Brauprozesses, und dabei auch nicht durch die Zugabe von z.B. Nutella, was aus brautechnischer Sicht schon wegen des enthaltenen Öls Schwachsinn wäre, sondern durch eine Kombination von Malzen verschiedener Röstgrade, Milchzucker und anderen Zutaten. Als grober Unterscheidungspunkt kann dies dienen: Zutaten, die den Brau- und/oder Gärvorgang mitmachen, sind Teil des Bieres. Was ins fertige Bier gerührt wird, ist ein Mischgetränk. Darunter fallen dann auch viele Kirsch- und Himbeerbiere belgischer Art, aber wer sagt denn eigentlich, dass Mischgetränk nur Billigbier mit künstlichem Kaktusfeige-Limette-Aroma bedeutet und nicht kunstvoll sein kann? MIXOLOGY bestimmt nicht…

Credits

Foto: Foto via Tim Klöcker.

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