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Christina Schneider

Was macht eigentlich… Christina Schneider?

Christina Schneider, eine der prägnantesten weiblichen Stimmen der Barszene, ist nun seit drei Jahren in London. Manche werden in dem britischen Moloch zerrieben, doch die meinungsstarke Bartenderin hat ihren Weg gefunden. Ein Gespräch über die Eitelkeiten der Branche, neue Wege und doch ein wenig Sehnsucht nach dem, was eine Bar ausmacht – Menschen.
Als erstes setzt es Schelte aus London. Christina Schneider, seit drei Jahren dort heimisch, erteilt dem Autor einen Rüffel, da er sie einmal als abgetaucht bezeichnet hat. Nun ja, wenn sich eine pointiert und meinungsstark formulierende Persönlichkeit aus dem allgegenwärtigen Diskurs der Szene zurückzieht, fällt das eben stärker ins Gewicht als sonst.
Wer in seiner Bar keinen Sazerac oder keinen Gin mehr serviert, fehlt eben mehr als jemand, der auf Grüne Wiese verzichtet. Aber nun sei sie ja wirklich etwas abgetaucht, vielleicht auch eher eingetaucht. Christina Schneider hat sich aus dem operativen Bar- und Restaurantgeschehen zurückgezogen und ein neues Betätigungsfeld gefunden, das ihre Bestimmung zu sein scheint.

Londoner Bartender mit Fanpage

Die Jahre in London sind intensiv. Nach dem Engagement im „Happiness Forgets“, einer klassischen Bar, schleicht sich schon ein „Virus“ ein. Schneider will sich verändern und spürt erstes Unwohlsein in der Barwelt. Sie hat es schon oft gesagt: „Das Superstar-Gehabe, die Markenkorruption und die korrumpierten Competitions haben mich zuerst geärgert und dann nur noch gelangweilt: Bartender mit Fanpage, man verkauft sich als Marke an Marken – und nicht das, was man kann.“
Sie wechselt ins „Som Saa“, und es war „die große Eröffnung in London“, erinnert sie sich. Ein Restaurant, zwar mit Bar, aber vor allem mit guten Weinen. Wein – das ist Christina Schneiders neue Leidenschaft geworden.
Dann packt sie wieder die Lust auf eine neue Aufgabe und die scheint im mit vielen Ambitionen gestarteten „Untitled“ gefunden. Hier soll sie den Weinsektor im Restaurant aufbauen; Karte, Weinauswahl zu den Speisen. „Raus aus der Bar-Blase, auch wenn zum Beispiel Sommeliers weniger verdienen als Head-Bartender.“ Aber es kommt mal wieder anders als geplant. Wieder einmal holt sie die Barwelt ein. „In London wird ja nur noch geworfen. Kaum ein Bartender, der etwas auf sich hält, shaked oder rührt noch Drinks. Die Mischung wird dann in absurde Gläser gegossen, die mehr kosten als das Getränk. Das ist Flairtending 3.0. Damit habe ich nichts mehr zu tun.“
Dabei will sie nicht missverstanden werden; es sei durchaus eine beachtliche Fähigkeit, sich in Szene zu setzen, mehr Marketing als Bartending zu betreiben und dabei gut zu verkaufen – aber eben nicht ihr Ding. „Meine Devise war schon immer: keep it simple.“ Und so bestellt sie in einer Bar immer noch einen klassischen Dry Martini.

Neues Leben in London

Seit sechs Monaten arbeitet Schneider als In-house Consulterin und Embassador bei Bibendum, dem großen Premium-Weinhändler in London. „Zwar gibt es auch hier keine normalen Tage, aber es sind eben meist Tage und keine Nächte“, freut sie sich. Oft stehe sie um sechs Uhr morgens auf, recherchiere für einen Artikel, plane Aktivitäten für Winzer und die dazu passenden Restaurants, organisiere Tastings, schreibe Beratungskonzepte oder Kalkulationen. „Die Situation ist fast optimal für mich, da ich frei arbeiten kann.“ Deshalb beantwortet sie auch die Frage nach ihrer Zukunft kurz und bündig: „Ich bleibe hier, so etwas finde ich so schnell nicht wieder. Außerdem ist London meine Stadt, trotz der Probleme mit Geld und Gesundheitswesen. Dafür gibt es die besten Restaurants und eine irre Weinszene. Das kann mir Berlin oder Hamburg nicht bieten.“
Außerdem sind da ja noch die besonderen Reize des anderen: Podcasts produzieren, schreiben, E-Books gestalten, an der Homepage arbeiten. Manchmal gehe es dann auch bis in die Nacht hinein, aber das sei eher Bespaßung von Kunden oder Lieferanten.

Das Riesling-Mädchen

Inhaltlich hat Christina Schneider auch noch einiges vor und erzählt: „Ich bin ja das Riesling-Mädchen hier. Da muss aber noch mehr passieren, das Portfolio noch erweitert werden, den Londonern dieser besondere Wein noch näher gebracht werden.“ Der Mainstream trinke oft neuseeländischen Sauvignon, die Cool Kids immerhin schon Weine aus dem Jura, Georgien oder Ungarn. Aus Deutschland kenne man nur Spätburgunder und ein wenig Riesling – Old World.
Ein riesiges Feld, das es noch zu beackern gilt, sei die Kluft zwischen Bar und Wein. „Bar und Wein reden nicht miteinander, man muss die Bartender zum Wein bringen. Sowohl Restaurants wie Bars rufen danach.“ Angesichts der verstärkt auftauchenden Konzepte, bei denen sich Bar und Essen verschränken sollen, eine zutreffende Analyse. Oder wer kann sich daran erinnern, wann er das letzte Mal in einer Bar eine profunde Weinberatung genossen hat? „Um so besser, dass ich gerade einen Wein-Workshop vorbereite für Masters of Wine Students und Bartender, die ein Restaurant eröffnen wollen.“

Schneider unplugged

Dann hält Schneider der Gastronomie noch einmal den Spiegel vor und resümiert die letzten 15 Jahre: „60-70 Stunden-Wochen plus selbst in der sogenannten Freizeit nie frei zu haben, weil ständig das Telefon brummt: Die Eismaschine ist kaputt, jemand ist krank, eine Last-minute-Veranstaltungsanfrage usw.. Quasi seit 15 Jahren nonstop auf Abruf zu sein und jeden Tag irgendeinen Weltuntergang verhindern zu müssen und das für beschissenes Geld und oftmals echt beschissene Menschen. Jetzt verdiene ich 50% mehr und arbeite 50% weniger, lese morgens Zeitung, unternehme was am Wochenende und habe ein Arbeitstelefon, das nach 18 Uhr und am Wochenende keinen Mucks macht. Was für Menschen außerhalb der Gastronomie völlig normal ist, ist für mich eine komplett neue Erfahrung. Obwohl ich es vermisse, im Service zu sein, habe ich jetzt zum ersten Mal das Gefühl, bei klarem Verstand zu sein und die Welt um mich herum, jenseits des Hamsterrads, wirklich wahrzunehmen.“
Ein echter Schneider, sozusagen. Genauso wie das: „Demnächst arbeite ich am Wochenende hin und wieder im Service vom Som Saa. Weniger wegen des Geldes, sondern wegen der Menschen. Menschen, die eben kein Schreibtisch sind.“

Credits

Foto: Shutterstock

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