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Loyalität

Die Qual der Wahl mit der Moral

Bescheidenheit oder offen zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein? Lieber loyal dem Kollegen gegenüber, oder doch integer mit Blick auf Gast und Profession? Als Bartender und Gastronom hat man es nicht leicht, sich in moralischen Fragen ohne große Überlegung stets korrekt zu verhalten. Unser Autor mit ein paar lauten Gedanken zu großen Fragen.

Als Bartender steht man irgendwie am Puls der Zeit. In den letzten Jahren wird unser Berufsstand immer gefragter. Debatten über „Mixologen“ und „Gastgeber“ entfachen sich. Differenzierungen zwischen Flairtending, Happy-Hour-Bars und Systemgastronomie entstehen. Vor nicht ganz 20 Jahren war das noch alles ein und dieselbe Suppe. Nun gibt es ein Forum, das Multimedial ist. Dem Internet sei Dank. Auf einmal sieht der Ottonormal-Bürger seinen Bartender, den er bislang nur gelegentlich warnahm, in der „Bild“, im „Spiegel“, der „Zeit“ oder anderen Medien. Unsere Barkultur hat Einzug in eine noch öffentlichere Welt genommen.

Verschwiegen, Bescheiden, Sorgfältig – sind wir das wirklich?

Wir leben nun in einer anderen Zeit; in einer, in der ein Barunternehmer einfach so seinen Jahresabschluss ganz salopp via Social Media zur Ansicht stellt. Viele mögen das verwerflich finden, denn über Geld spricht man ja nicht. Doch: tut man. Und im Grunde will es jeder wissen, traut sich aber aus einer ungeschulten Doktrin nicht zu fragen. Und nun kommt da einer und macht es einfach. Schlimm? Nein, im Gegenteil. Wenn man es richtig macht, kann man gutes Geld verdienen und mit Vorurteilen aufräumen. Und genau das fehlt noch viel zu sehr. Es sind noch immer zu wenige Menschen, die sich nach Vorne stellen und sagen: „Hey, das ist Falsch, das ist richtig“. Ist ja auch klar, denn an vielen Stellen ergibt sich schon das Dilemma, bevor es überhaupt beginnt.
Als Bartender sind wir im Grunde verschwiegen. Nun, sind wir das? Als Bartender kennen wir uns gut mit Alkohol aus. Tun wir das? Als Bartender stellen wir uns selbst nicht in den Mittelpunkt. Ist das wirklich so? Nun, ich denke, es wird Zeit mit einigen Doktrinen aufzuräumen. Denn dieser Zug ist längst abgefahren. Die Älteren unter uns verteufeln nahezu diese selbstdarstellerischen, jungen Kollegen; die Jüngeren schimpfen wiederum über zuviel Stillstand bei den Alteingesessenen. Jeder mag Argumente für und dagegen haben, doch um was geht es denn wirklich? Bei einer Vielzahl an Competitions, bei denen man nie weiß, inwieweit die Nummer mit rechten Dingen zugeht.

Der niederträchtige Buschfunk…

Ich habe keinen Wettbewerb erlebt, bei dem nicht irgendwer behauptete, es würde fraternisiert oder korrumpiert. Viele wissen angeblich sogar schon alles, obwohl sie noch nie teilgenommen haben. Fakt ist: Solch ein Wettbewerbsangebot um sich überregional, national und international zu messen, gab es vor knapp 30 Jahren nicht. Doch darum soll es hier nicht gehen. Vielmehr geht es mir auf den Sack, dass überhaupt gelabert wird. Sind wir also verschwiegen? Nein. Wir tun so vor dem Gast, wir erklären voller Inbrunst unseren ach-so-tollen Berufsethos.
Doch nach der Schicht, gar bei den Kollegen, geht’s dann los. Es wird getratscht, gelästert, ausgeschmückt, glorifiziert, negiert, warum wieso weshalb irgendwer nicht irgendwas verdient hätte. Schlimmer als bei jedem Friseur. Verschwiegenheit? Am Arsch. Die Frage bezüglich des in den Mittelpunkt stellens hebt sich durch den Wettbewerb bei Meisterschaften oder Beurkundungen mit und ohne Pokalen, ja sogar schon alleine durch den Facebook- oder Insta-Post automatisch aus.

Warum Vorbilder so wichtig sind

Im Grunde ist es bereits lächerlich, auf dieses Thema einzugehen. Aber es ist gut. Denn wir sind eben nicht mehr diese Bartender von vor 50 Jahren. Zu recht und mit Erfolg. Nie zuvor ist eine Szene so schnell gewachsen wie heute durch das Internet. Und ja, dazu braucht es Galionsfiguren, Vorbilder, Mentoren. Denn viele, die sich heute zu Führungskräften berufen fühlen, haben eine Menschenkenntnis, Lebenserfahrung oder Empathie wie ein Grundschüler. Und deswegen brauchen wir eben gute Beispiele, diese Vorbilder. Aber eben auch Mentoren. Menschen mit der richtigen Einstellung. Diese auch auszudrücken. Denn oft genug sieht man sich selbst in Situationen.

Loyalität oder Integrität? Der Freund oder das große Ganze?

Erziehung, Wissensdurst, Tugendhaftigkeit, Ethik, Loyalität, Empathie. Wir alle sind ohnehin und irgendwie mit all diesen Dingen und Begriffen vertraut und von ihnen geprägt. Man befindet sich darüber immer wieder im Diskurs mit anderen Menschen oder gar mit sich selbst. Manchmal bereiten einem diese Dinge auch große Hürden: Wenn Entscheidungen anstehen, die im ersten Moment ziemlich klar erscheinen und einfach zu treffen sein sollten, im nächsten Moment jedoch Konsequenzen nach sich ziehen. Diese sollte man abwägen.
Aber manchmal steht man vor ebendieser Entscheidung und muss sich für eine der beiden Seiten entscheiden. Wählt man berufliche Integrität oder Loyalität? Wählt man das Gesamtbild oder den einzelnen Menschen? Man möchte meinen, dass das nicht so schwer sein sollte. Doch so ziemlich jeder (nicht nur jeder Gastronom) kennt Beispiele für derartige Situationen. Das beste Beispiel: Ein Kollege, der sich an einem neuen Arbeitsplatz bewirbt, von dem man weiß, dass er dort nur verarscht werden wird.

Soll der Freund sich verarschen lassen?

Bewahre ich als Bartender nun meine Professionalität sowie Neutralität und sage nichts, damit er selbst seine Erfahrungen sammeln kann und ich nicht schlecht über Andere rede? Oder bin ich dem Kollegen gegenüber loyal und rate ihm – unter der Gefährdung meiner beruflichen Integrität – von einer Anstellung dort ab? Mit anderen Worten: Begebe ich mich auf das dünne Eis, einen Arbeitgeber oder eine Bar zu denunzieren, womöglich nur auf Basis von Hörensagen? Das gleiche Beispiel kann man bei Verliebten anwenden, wenn sie noch die rosarote Brille tragen. Objektiv betrachtet, fällt es uns leichter, ein gerechtes Urteil zu fällen. Doch was ist, wenn die Informationen nur teilweise stimmen und essentielle Informationen mangelhaft sind?
Wir leben in einer Zeit, in der schnell und lautstark jeder seine Meinung kundtun kann – gefragt, vor allem aber auch ungefragt. Kritik ist immer gut, auch wenn man dabei nicht immer auf offene Ohren stößt. Denn Kritik ist immer eine Chance: Eine Chance sich zu verbessern, sofern diese konstruktiv formuliert wird. Mit einem „war scheiße“ kann kaum jemand etwas anfangen.

Die Vereinbarkeit, sie ist alles andere als leicht

Es geht um den Wunsch seine Loyalität und berufliche Integrität/Professionalität zu bewahren. Wir werden manchmal vor Entscheidungen gestellt, zu ihnen gedrängt oder gar genötigt, und wir müssen uns für eine Seite entscheiden. Entscheiden wir uns für die Loyalität gegenüber de Freundin oder dem Freund, der Familie – oder für den Beruf?
Ein weiteres Beispiel wäre eine Liaison zwischen einem Mitarbeiter und einer Führungskraft. Nun lässt der Mitarbeiter es zu einer Situation kommen, aufgrund derer die Führungskraft ihn maßregeln muss. Dies ist genau eine dieser Situationen, in der man gezwungen ist, sich beruflich integer zu verhalten. Solch eine Entscheidung geht gegen die Loyalität in Bezug auf den Mitarbeiter und Partner, auch wenn dessen Gründe zur Tat vielleicht gar nachvollziehbar sind und unter anderen Umständen gerechtfertigt wären.
Noch ein anderes Exempel für eine Entscheidungs-Situation, in die man gedrängt wird und es egal ist, wie man sich entscheidet, wäre, wenn du in deinem Lokal noch einen Tisch für zwei Personen frei hast und vor der Tür zwei Pärchen eben diesen für sich beanspruchen wollen. Zwei der linken- und zwei Personen der rechten Fraktion zum Beispiel. Du musst entscheiden, an welches Paar du den Tisch vergeben willst. Dabei spielt es keine Rolle, an wen man den Tisch vergibt und ob man beruflich integer oder loyal gehandelt hat – es hat in jedem Fall unangenehme Konsequenzen.
Egal was nun passiert, es gehört dazu. Man muss im Leben manchmal eben Entscheidungen treffen auf die keiner Lust hat. Aus meiner Sicht und Erfahrung kann ich nur sagen, das diese Dinge, diese Situationen einen nur stärker im Ganzen werden lassen. Das Bewältigen einer ausweglosen Situation lassen einen mehr reifen als immer nur die seichte Schiene zu fahren. Als Trekkie spreche ich an dieser Stelle vom Kobayashi-Maru-Test. Das Zurechtkommen mit dem Unausweichlichen. Im Grunde geht es nicht darum für welche Sache man sich entscheidet, sondern wie man mit ihr klarkommt.
Egal also, in welche Situationen ihr kommt, seien sie noch so tough. Kommt klar damit und wachst daran! Das gehört dazu. Ihr seid nicht alleine, es gibt zu jeder Zeit viele andere Kollegen in ähnlichen Situationen.

Credits

Foto: Shuttertsock

Comments (1)

  • Oliver Steffens

    Kurze Anmerkung zum erwähnten Jahresabschluss:
    Führt der Barunternehmer eine GmbH, so greift er allenfalls der Veröffentlichung im Generalbundesanzeiger vor. Das wird häufig vergessen. Mit geringem Aufwand kann jedermann diesen Jahresabschluss sowieso einsehen, es handelt sich ja nicht um die Veröffentlichung von Betriebsgeheimnissen

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