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Gefahrenstoffe

Gefahren. Stoffe. Gefahrenstoffe – Ein Spiel mit dem Feuer

Besonders fancy klingt er nicht, der Arbeitsschutz. Und doch ist er überlebenswichtig. Zum Erhalt der Klasse unserer Bar, vor allem jedoch für das Wohlergehen unserer Gäste.  Doch wie steht es um das Thema in der Bar? Wie kann ein Bartender diesem Thema gerecht werden. Eine Bestandsaufnahme. 
Manchmal erinnere ich mich an meine erste Chemiestunde, damals in der siebten Klasse. Ein ergrauter, zerzauster, mitunter gar ungepflegt wirkender Doktor mit Hornbrille, Goldzahn und einer schrullig-liebenswerten Art, die eine Lehrperson so häufig kurz vor der Pensionierung etabliert, empfing uns da. Er erzählte was von Reagenzgläsern, Kolben, sprach von Verbindungen, fragte ein paar Abkürzungen des Periodensystems ab und fackelte mit dem Bunsenbrenner herum. Heute, knapp 13 Jahre später, habe ich alles, was mir dieser Herr mit polnischem Namen erzählte, vergessen. Nicht, dass ich es je wirklich gewusst hätte. Viel zu interessant waren neben den Fakten ja schließlich vor allem die Illusionen.

Die Schüler von damals, die Trinker von heute

Heute lernen wir keine chemischen Formeln mehr, wir konsumieren sie. Das tun wir in den meisten Fällen in Unkenntnis und meist sogar unbewusst. Doch wenn wir als Schüler von gestern der Trinker von heute sind, wenn uns also die Faszination rund um die Chemie geprägt durch gefährliches Halbwissen und allerhand Begeisterungsfähigkeit die Schulbank gegen die Theke hat eintauschen lassen, so müssen wir doch zumindest so kritisch sein und einmal hinterfragen, ob die Personen auf der anderen Seite der Bar – also die Bartender – mehr Kenntnis von alldem haben als wir selbst.
Nein, der Bartender ist nicht besser gebildet als wir. Häufig zumindest. Nicht selten macht auch er Fehler, weiß teilweise nicht einmal, welche Fehler und vor allem worin sie eigentlich bestanden. Und deshalb müssen wir sie heute stellen, diese eine Frage: „Wie steht es eigentlich hier um den Arbeitsschutz, wenn es um den Umgang mit bestimmten Zutaten geht?“

Ein bisschen hiervor, ein bisschen davon…

Einige Bartender heute sind ein bisschen wie Zauberer im Wanderzirkus. Sie kennen ihre Tricks, das Publikum auch, alle sind eigentlich zufrieden. Man weiß, was man bekommt. Ein Riesenspaß ist das, wenn der Bartender die Spirale vom Strainer in den Shaker packt und unter der Verfolgung aller ihm entgegenblickender Augenpaare dem Cocktail mehr Textur gibt. Ein Jauchzen der Begeisterung trifft ihn, den Houdini der flüssigen Kunst, immer dann, wenn er vor den strahlenden Gesichtern seines Publikums mit Orangenzesten über dem Drink flambiert. „Das sind die ätherischen Öle und so…“
Nun lebt der Bartenderzauberer von heute aber in einer ähnlichen Welt wie der wahrhaftige Magier des Wanderzirkus. Das Publikum der Moderne, in Zeiten von Streaming und überall bedingungslos abrufbarem Content, ist verwöhnt und fordernd. Es will unterhalten werden. Wird es das nicht, dann bleibt es aus und geht zur Konkurrenz. Schnell wird dann ein neuer Trick einstudiert, der nach dem Motto „Höher, Schneller, Weiter“ rasant und waghalsig erscheint. Welche Risiken der Zauberer im Zirkus dafür eingeht, das ist einfach zusammenzufassen: Er riskiert sein Leben und stirbt als ewiger Entertainer den Tod auf der Bühne. Nur, was riskiert der Bartender? Möglicherweise die Gesundheit seiner Gäste.

Kommen Sie, staunen Sie!

Dass es sich dabei um ein Spiel mit dem Feuer handelt, bedarf keiner weiteren Erwähnung. Von den Gefahren im Umgang mit Trockeneis oder brennenden Shots hat jeder Bartender schon einmal gehört. Oft liegen die eigentlichen Risiken im Umgang mit Spirituosen oder Zutaten jedoch unter der Oberfläche und erfordern eine gewisse Recherche. Diese aber findet heute, so scheint es, oftmals einfach keinen Platz mehr in der Bar. Warum?
Zum einen wäre da die Zeit. Wann und wie soll der Bartender in seiner oftmals 50 bis 60 Stunden umfassenden Woche ernsthaft genügend Zeit dazu finden, sich ausgiebig mit der Wirkung ihm unbekannter Ingredienzien auseinander zu setzen? Nein, er lügt sich selbst an. Er transponiert sein Wissen um ein Thema nach dem Besuch eines Vortrags, Workshops oder einer Lesung fälschlicherweise auf eine höhere Stufe und schafft damit ein Vakuum zwischen eigentlich gelerntem Inhalt und seinem Ego. Nicht nur, dass er damit diejenigen, die ein Leben lang auf einem Gebiet geforscht haben, irgendwo unterbewusst in ihrer Arbeit diskreditiert, er schafft gegenüber dem Gast auch eine gewisse Erwartungshaltung, die er füllen muss, obwohl er allenfalls vielleicht Semi-Experte mit Halbwissen ist in ebenjenem Fach. Die Frage, ob ein Bartender überhaupt die Zeit dazu hat, sich wissenschaftlich  tiefschürfend mit Zutaten zu beschäftigen ist schnell beantwortet. Nein, er hat sie im Regelfall nicht. Er kann sie sich freilich nehmen – aber er muss es an sich nicht.
Denn es ist auch das soziale, gesellschaftliche Image des Bartenders, das ihn davon abhält, hier eine klare Position zu begründen. Er oszilliert zwischen Party-Hengst, aufgeschlossen für jedes noch so sinnlose Gelage der „Industrie“. Er hat vor seinem Gast Wissen eindrucksvoll locker unterzubringen, was – seien wir ehrlich – noch nie eine einfache Aufgabe war. Und es widerspricht auch dem heutigen Bild in voller Gänze. Was zählen denn die wertvollen Informationen, all das eindrucksvolle Wissen um chemische Verbindungen und der sich weiterbildende Bartender in einer Welt, in der unser Gast noch immer verblüfft in die Bar gegenüber mit Trockeneis stolpert?

Empört euch!

Es kann aber doch schließlich nicht der Anspruch eines Bartenders sein, nur so weit zu denken, wie der Gast ihn auch zum Denken bewegt. Er ist doch der selbsternannte Lehrer des Gastes, der ebendiesen an das genussvolle Trinken heranführt. Dann aber doch bitte auch an die Gefahren.
Genau hier sieht der Bartender und studierte Chemiker Guilherme Kilpp Gonzatti den eigentlichen Widerspruch: „Wir haben lange dafür gekämpft, unserem Berufsstand in der Gesellschaft das Prädikat ‚Profession‘ abzuringen. Dann sollten wir uns viel eher weiterbilden. Und damit meine ich nicht vordergründig irgendwelche Küchenbücher zu wälzen, sondern uns vor allem mit unseren Techniken und Zutaten zu beschäftigen“. Der gebürtige Brasilianer kennt die Schwierigkeiten gut und weiß um die komplizierten chemischen Prozesse, die in manchen Rezepten stecken. „Man nehme beispielsweise Tabak. Heutzutage ja gerne im Bitters extrahiert oder zum Likör verarbeitet. Was viele nicht wissen: Bei Nikotin handelt es sich um ein Psychopharmakon. Raucht man ihn, stellt das keine so große Gefahr dar. Beim Rauchen wird ja ein Großteil des Nikotin bereits verbrannt, und auch wenn die Inhalation einer xenotropischen Substanz im Grunde genommen der schnellste Weg ist, dass eben diese Substanz in den Blutkreislauf gerät, so atmet man das Nikotin auch schnell wieder aus oder merkt, wenn man mal an die frische Luft sollte. Wird es aber extrahiert, sieht das ganz anders aus. Hier hat man die gesamte Menge plötzlich im Magen und damit deutlich leichter im Blut.“
Vor allem aber warnt Gonzatti vor der schwierigen Kontrolle der Herstellung eines solchen Bitters. Nikotin sei in Alkohol besonders leicht löslich, ohne dass man dabei aber die genaue Konzentration in einem hausgemachten Sirup feststellen könne: „Klar, es ist ziemlich unwahrscheinlich, mit ein, zwei Dashes direkt eine tödliche Menge zu erwischen – andererseits: ein Dash Zyankali bringt nicht nur eine Person um.“ Die Auswirkung des Nikotins auf den Körper selbst beschreibt der Essener Chemiker Gerrit Blanke auf eindrucksvolle Art und Weise: „Für einen Nichtraucher kann im Grunde genommen das in 10 Zigaretten enthaltene Nikotin – auf einmal zugeführt – bereits tödlich sein. Wir haben es hier mit einem Nervengift zu tun, dass zu Halluzinationen, Atemlähmung und dem Herzstillstand führen kann. Im Tabak allerdings ist Nikotin auch nur eines von ca. 30 unterschiedlichen Alkaloiden, die in Kombination noch wesentlich giftiger ausfallen als das reine Nikotin.“
Wenn Sie als Bartender das alles nicht wussten, dann sind Sie nicht alleine. Die Unkenntnis um chemische Prozesse und Eigenschaften bestimmter Substanzen ist keine Altersfrage. So bestätigte selbst der gestandene Bartender Nick Strangeway in einem Gespräch, dass sein Lieblingsdrink einst der „Tobacco Old Fashioned“ war. „Dann irgendwann fing ich mal an zu recherchieren und bin schnell davon abgekommen“, so Strangeway besorgt.

Die Gefahr eines Stoffes, sie liegt fast immer in der Dosis

Nur ist die eigentliche Problematik bei der Thematik rund um die Produktkenntnis vor allem die Frage als solche. Wie Gefahren ausmachen, wenn sie häufig gerade dort versteckt sind, wo niemand mit ihnen rechnet? Zutreffen tut dies beispielsweise für das sich immer noch großer Beliebtheit erfreuende Tonic. „Das im Tonic enthaltene Chinin beispielsweise ist nicht zu unterschätzen. Bitterer Geschmack ist ja evolutionär als Warnzeichen vor Giften entstanden. Viele Pflanzen enthalten sekundäre Pflanzenstoffe wie unter anderem Flavanoide, die im eigentlichen Organismus der Pflanze keine wirkliche Aufgabe erfüllen, außer vor Fressfeinden zu schützen und dabei pharmakologisch gesehen hochaktiv zu sein. Sie entfalten zwar in geringer Dosis durchaus positive Wirkung, können aber in zu hoher Menge mehr oder weniger giftig sein. Bei Chinin sind das bereits 5 bis 10g. Ab dieser Dosis hemmt es Enzyme, die wichtig für die Gewebeatmung sind, ebenso die DNA-Synthese und damit die Zellteilung als solche. Es kann darüber inaus eine ganze Reihe unschöner Nebenwirkungen haben, etwa Gebärmutterkrämpfe“, so Blanke.
Gonzatti beispielsweise ist dazu übergegangen, alternative Produkte zu nutzen. So stelle er keine Dinge mehr her, die er nicht einhundertprozentig einschätzen könne, verlasse sich stattdessen eben auf jene, die Produkte im Labor haben untersuchen und anschließend sorgfältig herstellen lassen. „Ich benutze zum Beispiel Eau de Quinine Rotterdam, Tonic Bitters von Bitter Truth, Wermut wie LN Mattei, Tonic-Sirup von Rosebottle. Alternativen gibt es ja genug, man sollte einfach ein wenig suchen.“
Doch vielleicht liegt das Problem auch an der Suche als solches. Der Bartender sucht gern, nur oftmals falsch. Der amerikanische Bartender Avery Glasser, Gründer der ‚Bittermens’-Bitters und Vorreiter einer Arbeitsschutz-Bewegung, ist sich sicher: „Ich denke, ein großer Punkt ist, dass man heutzutage auf jedem Wochenmarkt bereits exotische Zutaten findet. Man findet doch zig unterschiedliche Sorten an Chilis, wo es vor ein paar Jahren nur Paprika und ein paar verkümmerte Jalapenos gab.“ Es ist gerade die mediale Vernetzung, die diese von Glasser angesprochene Entwicklung noch beflügelt. Das ist per se nichts Schlechtes, nur darf ein neuer Trend aus Übersee eben nicht haltlos adaptiert werden, sondern muss zwingend einmal zumindest auf Gefahren hin untersucht werden. Wissen ist vor allem als Konsequenz der Erfahrung zu verstehen – und Erfahrung erfordert Mühe, Geduld sowie unzählige Versuche im Umgang mit einer Sache.
„Eine wesentliche Rolle dabei spielt die Kombination aus Social Media und Wettbewerben“, meint Glasser. „Der Bartender muss heutzutage kompetitiv sein und erleidet dafür häufig auch Druck vom eigenen Management, etwas für die PR zu tun. Und wie macht man das auf Instagram, Online oder bei Wettbewerben vor Juroren? Was interessiert die Leute? Exotische, seltene Dinge, die in ihrer Form vorher noch nicht aufgetaucht sind. Alleinstellungsmerkmale, bahnbrechende Techniken, die Innovation schlechthin.“

True Talk

Irgendwann, je weiter sich dieser Trend seinen Weg in die Bars bahnt, wird vielleicht das Gesundheitsamt einmal auf die Bar aufmerksam, die Trinkstätte wird aufgesucht wie bereits heute die Restaurants, die teils überdurchschnittliche Standards zu erfüllen haben. Wer kontrolliert uns denn, wenn wir es selbst nicht tun? Der Chemiker und Apotheker, der uns Medizin verabreicht, hat doch auch ein langes Studium vor der Ausübung in Kauf nehmen müssen. Verabreichen wir nicht auch pharmakologisch Wirksames? Wo ist unser Studium? Man soll nicht böse generalisieren – es gibt Bartender, die sich wirkliches Wissen in vielen Stunden Selbststudium angeeignet haben, sich intensiv mit ihrer Materie beschäftigt haben. Aber sie sind deutlich in der Minderheit. Man denke daran, dass selbst eine global geachtete Koryphäe wie Jeff Morgenthaler von mehreren Leuten offen dafür gescholten wurde, dass sein Tonic-Water eine klinisch mehr als bedenkliche Menge Chinin enthält.
Dabei gestaltet sich die Suche nach Lösungen im Grunde genommen gar nicht so schwer. Da wäre zum Beispiel das Bundesinstitut für Risikobewertung, das vor 15 Jahren als untergeordnete Behörde des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft gegründet wurde. Auf der Online-Präsenz des BfR werden unter anderem mikrobielle Risiken von Lebensmitteln, aber auch Aromastoffe und Aromen untersucht. So fordert die Behörde zu einigen der untersuchten Kombinationen zusätzliche toxikologische Gutachten an. Auf diese Weise bietet die Seite nicht nur eine hervorragende Sammlung an Studien zur gesundheitlichen Wirkung von Zutaten, sie verweist auch auf eigens oder durch das Ministerium angebotene Veranstaltungen, die für das Thema sensibilisieren.
In der Tat können wir ein Restrisiko auch nach dem Besuch eines ebensolchen Symposiums oder einer Fachmesse nicht ausschließen, jedoch zumindest eindämmen. So etwas ist stets nur das Initial. Es gibt aber daneben eine Vielzahl anderer Möglichkeiten, sich über die Risiken im Umgang mit unterschiedlichsten Stoffen zu informieren.
So gibt es unter anderem ebenfalls die von der amerikanischen Regierung in Zusammenarbeit mit dem Toxicology Data Network auf den Weg gebrachte Website toxnet, auf der eine einfache Suchfunktion die toxischen Werte einer Substanz liefert. Auch deutschsprachige Seiten, wie die von Blanke empfohlenen giftpflanzen.com oder heilkräuter.de, liefern recht genaue Angaben, wieviel wovon unbedenklich ist. „Das selbst herauszufinden, ist schier unmöglich, denn der Wirkstoffgehalt in einer Pflanze kann je nach Sorte, Wachstumsbedingungen, Erntezeitpunkt und Lagerung stark variieren. Die größte Gefahr bleibt die Arbeit mit Extrakten, weil Stoffe hier unbeabsichtigt in größeren Mengen aufgenommen werden können“, so der Essener Chemiker weiter.

 Was nun?

Was ist also das Allheilmittel? Alle Befragten sind sich einig: Lesen und Informieren. Nicht in irgendeinem hübschen Oktavheft von 1880, sondern in Sach- und Fachbüchern, die Arbeitsfelder miteinander verbinden und Brücken bauen. So etwas wie Liquid Intelligence von Dave Arnold oder The Drunken Botanist von Amy Steward. Arnd Henning Heissen, der sich seit Jahren ernsthaft mit der Wirkung von Aromen auf den Körper und der dieser Forschung untergeordneten Aromatherapie beschäftigt, empfiehlt unter anderem Aroma – Die Kunst des Würzens von Vierich/Vilgiz als gutes Standardwerk. Dort werden neben vielen bekannten Pflanzen, Kräutern und Gewürzen auch jene chemisch unter die Lupe genommen, die deutlich exotischer anmuten.
Gleichzeitig, glaubt Heissen, müssen wir den Diskurs mehr fördern und eine Art Bewegung ins Leben rufen. „Ich erinnere mich noch an das Jahr 2006. Damals gab es eine von MIXOLOGY angestoßene Debatte zum Thema ‚frische Säfte vs. Industriesaft‘. Das hat damals Riesenwellen geschlagen, die Bartenderschaft war gespalten. Schlussendlich dann ist man aber zu der Überzeugung gekommen, dass frischgepresste Säfte, hausgemachte Zutaten die bessere Wahl sind. Nur jetzt müssen wir nicht in das entgegenliegende Extrem rutschen und die Herstellung in Eigenregie pervertieren. Da brauchen wir Vorreiter, die auch mal sagen: Vorsicht, so solltest du das besser nicht machen. Als ich damals unorthodox mit Patschulitropfen und Extrakten angefangen habe, da wurden meine Knie auch mal weich…“
Es ist daher also sicherlich an der Zeit, die Coolness ein wenig hintanzustellen und der Professionalität im Umgang mit Wirkstoffen mehr Raum zu geben. Wer dies blind als Desavouierung der selbstproklamierten Leichtigkeit versteht, der hat den Punkt nicht verstanden. Es ist allenfalls weder ausgeschlossen noch zu viel verlangt, Attribute wie Professionalität und Unterhaltungsgabe miteinander zu vereinen. Wichtig ist vor allem Austausch und Offenheit, besonders der öffentlich-wirksame Diskurs, an dem ein jeder Bartender teilhaben kann. Ein Informationsboard, eine Initiative, die auf Messen, Symposien und Veranstaltungen aller Art vertreten ist und Aufklärungsarbeit leistet, um Bartender für die Thematik zu sensibilisieren, ihnen einen Denkanstoß zu geben. Warum gibt es so etwas in Deutschland noch nicht? Einem Land, reich an um Gefahren wissenden Bartendern der alten Gilde. Hier wurde in der Vergangenheit eine große Chance versäumt.
Wir sollten wachsam sein. Wir sollten Trends hinterfragen. Wir sollten nicht alles glauben und vor allem, ja, vor allem sollten wir den Gast schützen. Mit dem Wissen, das wir eigentlich haben müssen und es uns daher, wenn dies nicht der Fall ist, dringend aneignen sollten. Es beginnt mit ein paar brennenden Shots, dem belächelten Trockeneis und endet mit den versteckten Gefahren zwischen den chemischen Verbindungen, die uns in der Schulzeit nur mäßig interessierten. Sonst bezahlt auch mal ein Gast mit seiner Gesundheit.
Fünf große Gefahren:

  • Aktivkohle

Aktivkohle (auch „aktivierte Kohle“), ist gut für die Zähne und wirkt bis zu einem gewissen Grad abführend, birgt aber auch Gefahren. Zwar hat Aktivkohle eine starke Filterwirkung, doch unterscheidet der Stoff nicht, ob er Giftstoffe oder Medikamente filtert. So bindet und neutralisiert er beispielsweise Antidepressiva, Blutdrucksenker oder Schmerzmittel, ebenso Eisen und Antioxidantien, was im schlimmsten Fall gesundheitsschädigend sein kann. Wichtig ist es also, den Gast stets zu fragen, ob er Medikamente oder Antibiotika einnimmt, um Risiken ausschließen zu können.

  • Grapefruit

Generell ist Grapefruitsaft recht ungefährlich. Er enthält allerdings die bitter schmeckenden Flavanoide Bergamottin und Naringenin. Beide Stoffe hemmen eine ganze Gruppe von Leberenzymen, die sogenannten Cytochrome P450. Diese sind für den Abbau vieler anderer Stoffe (Koffein, Nikotin, diverse Medikamente) verantwortlich. Schon geringe Mengen an Grapefruitsaft können deren Abbau derartig stark verlangsamen oder je nach Person auch komplett verhindern, dass sie um ein Vielfaches stärker wirken. Viele Stoffe, die eigentlich zu schnell abgebaut werden um überhaupt wirksam zu sein, werden durch Grapefruit wirksam, mit teils unabsehbaren Folgen.

  • Mohn

Die unterschiedlichsten Nüsse und Saaten finden heute Verwendung in der Bar, so auch Mohn. Doch Vorsicht: Was im Brötchen oder der Torte schmeckt, sollte mit großem Respekt behandelt werden. Eine Vielzahl an Studien hat ergeben, dass die im Mohn enthaltene Morphinmenge zu Atemnot, Bewusstseinsstörungen oder Herz-Kreislauf-Problemen führen kann. So hat auch das Bundesinstitut für Risikobewertung einen Richtwert für den Verzehr vorgegeben. Dieser Wert beträgt 6,3 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag. Das wäre zwar bei einem erwachsenen Mann erst nach dem dritten Stück Mohntorte erreicht, doch denken wir ans Stichwort „Extrakt“. Daher also lieber Hände weg.

  • Chinin

Lange Zeit frei erhältlich, ist etwa das chininsulfathaltige Präparat Limptar seit 2015 in Deutschland verschreibungspflichtig. Aus gutem Grund: In richtiger Menge anregend (und etwa als Malariaprophylaxe gängig), kann überdosiertes Chinin Symptome wie Übelkeit, Tinnitus, Sehstörungen oder Ausschlag hervorrufen. Aufgrund seiner stimulierenden Wirkung auf die Gebärmuttermuskulatur wurde es einst gar als Abtreibungsmedikament verabreicht.
Für Getränke herrschen in Deutschland die Grenzwerte 85 mg per kg Flüssigkeit (bzw. 300 mg für Spirituosen). Untersuchungen sogenannter „hausgemachter“ Tonic Waters ergeben regelmäßig deutlich höhere Werte. Schon 5 g gelten in Einzelfällen als letale Dosis für einen Menschen. Achtung: Chinin muss immer kenntlich gemacht werden – auch beim hausgemachten Tonic!

  • Tonka

Die kleine, harmlos ausschauende Bohne aus den südamerikanischen Wäldern hat es in sich. Positiv, so wie negativ. Ist das in ihr enthaltene Cumarin einerseits ein Bekämpfer von Schlaganfallsursachen, indem es die Blutgerinnung hemmt, so kann Cumarin ab einer bestimmten Überdosis auch starke negative Wirkungen entfalten. Zwar hängen die Nebenwirkungen stark von der körpereigenen Vitamin-K-Produktion ab, doch sorgt der Stoff ab einer gewissen Menge für einen umgekehrten Effekt und beeinflusst das Thrombose- oder Embolierisiko. Auch ist er furchtschädigend und birgt die Gefahr einer Fehlbildung des Embryos bei werdenden Müttern. Tonka sollte also mehr als vorsichtig eingesetzt werden.
Der vorliegende Beitrag erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe 2/2018 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur. 

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