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Zwischen Gunst und Gier an der Bar

Zu wohl keinem anderen Zeitpunkt gab es für Bars und Bartender so viele Möglichkeiten, mit Spirituosenherstellern zusammenzuarbeiten. Doch wo hört der Spaß auf?Oder ist er gar längst der Gier gewichen? Eine Bestandsaufnahme in New York, London und Paris.

In Bars werden Trends gesetzt, das weiß die Industrie. Und in vielen Staaten ist der sogenannte On-Trade, also der Verkauf über die Gastronomie, ein wesentlicher Markt – besonders in den USA, aber auch in Großbritannien etwa. Klar, dass die Spirituosenindustrie daher mit dem Beginn der Bar-Renaissance ab den späten 1990ern die Zeichen gedeutet hat. Ab sofort hieß es für die Außendienstler: Wir wollen da rein, in die großen Bars der Metropolen. Vorbei die Zeit, als eine Zusammenarbeit zwischen Bar und Brand mit ein paar Kisten Freiware, labberigen Pappcoastern, Plastikstirrern und vier Dutzend gebrandeten Longdrinkgläsern erledigt war. Zudem wurde der Beruf des Brand Ambassadors als spezifisches Bindeglied zwischen Barszene und Produzentenseite in jenen Jahren geboren.

Und viele Bars, Bartender oder Barbetreiber nahmen, was sie kriegen konnten – Reise-Einladungen, Jurytätigkeiten, Brand-Events am eigenen Tresen und vieles mehr. Dazu kommen teils unglaubliche Pouring-Verträge zwischen Gastronom und Konzern. Und das vielleicht gar nicht, weil eine Bar wirklich solch astronomische Mengen einer Spirituose absetzt – aber die Platzierung der Marke im Pouring-Portfolio einen multiplikatorischen Mehrwert mit sich bringt. Die wichtigen Bartender unserer Tage sind die aktuellen Heiligen der Industrie. Brands brauchen Bartender. Mehr denn je. Doch, so sagte der um ein Bonmot nie verlegene Jörg Meyer vor einiger Zeit in einem Video: Bartender brauchen keine Brands. Ist das wirklich so? Sind dann die heutigen Bartender, die augenscheinlich alles oder vieles „mitnehmen“, nur zu schwach, um „nein“ zu sagen?

Omnipräsente Marken: Nur Gerede?

„So schwarzweiß darf man es nicht sehen“, warnt der irisch-amerikanische Bar- und Szene-Experte Phil Duff, der schon lange in New York lebt. Dennoch meint auch er: Das Verhältnis zwischen Bars und Brands könnte zerrüttet sein. Zerrüttet? Vielleicht etwas überspitzt. Aber evoziert nicht die erhebliche Präsenz von firmengetragenen Events und Zuwendungen ein verzerrtes Bild? Entsteht nicht der Eindruck, dass neue, aufwendige Projekte sich nur durch Zutun der Industrie realisieren lassen und dass fünf oder sechs Gratis-Reisen auf Kosten von Firmen pro Jahr dazugehören? Duff verneint: „Das starke Engagement von Spirituosenfirmen in den Spitzenbars ist überhaupt nicht neu“, postuliert Duff, „es wird nur medienwirksamer praktiziert als früher, vor der ‚Blütezeit‘. Was sich hingegen wirklich geändert hat: Es gibt viel mehr gute Bars als früher und die Szene ist heutzutage global vernetzt. Über dieses Thema wird mehr gesprochen, daran liegt es zu einem guten Teil, dass manche Leute einen Overkill wahrnehmen.“

Duff ist allerdings nüchtern genug, um zu wissen, dass gerade freie, unabhängige Bars mitunter für ambitionierte Projekte auf Schützenhilfe von der „Dunklen Seite“ zurückgreifen müssen. Für viele ist es eine der wenigen Optionen, im Trend und im Gespräch zu bleiben – in Metropolen wie London, Singapur oder New York gärt ein ständiger Wettlauf um das beste Konzept. Dort haben die großen Hotelkooperationen oder durch finanzstarke Investoren getragene Hospitality-Gruppen einen erheblichen Vorteil bei der Realisierung abgefahrener, öffentlichkeitswirksamer Kampagnen oder Konzepte. Als zu Zeiten von Alex Kratena und Simone Caporale Pfundbeträge im hohen fünfstelligen Bereich in eine neue Karte der Artesian Bar gepumpt wurden, war dies wohl nur möglich (das Langham Hotel gibt auf Anfrage keine Auskunft) durch ein Zusammenkommen mehrerer Ebenen: Sponsoring durch Marken, Marketingreserven des Hotels und eine Beteiligung der Leading Hotels Of The World-Gruppe, ein Verbund unabhängiger Luxushotels, zu dem das Langham gehört.

„Solche Sachen sind natürlich die Speerspitze, die Oberliga“, wirft Duff ein, „trotzdem wird dadurch die Latte nach oben gelegt. Ich finde es daher auch gar nicht verwerflich, wenn Bars Partnerschaften mit Brands eingehen, die zu Ihnen passen – mal ehrlich: Wenn sich die Frage stellt, ob Gelder von irgendeiner Investorengruppe kommen oder ich Unterstützung von einer Firma erhalte, deren Produkte ich gerne verkaufe, dann fällt mir die Entscheidung ziemlich leicht. Ich kann daran nichts Schlimmes erkennen. Am Ende geht es um Balance und darum, sich unterstützen, aber nicht verkaufen oder knebeln zu lassen.“

Damit wirft Duff einen wichtigen Aspekt für die zeitgemäße Kooperationen zwischen Bars und Konzernen auf: Es geht um Balance – also wirkliche Partnerschaft – und darum, dass die Marken zur Bar passen oder schon ein gewachsenen Vertrauensverhältnis zwischen beiden Seiten besteht.

Die Dunkle Seite der Nacht

Für Christina Schneider sieht das Bild jedoch düsterer aus. Die ehemalige Berlinerin ist nach einer Zwischenstation in Paris mittlerweile als Barmanagerin im Som Saa in London – dem zweifellosen europäischen Epizentrum der Bars – tätig und zeigt sich besorgt über die gekaufte Involvierung großer Firmen in den Karten der angeblich besten Bars: „Hier in London ist es leider völlig normal, dass eine ‚hochwertige‘ Bar Ihre Cocktails für 17 Pfund mit Spirituosen macht, die man im Supermarkt für 10 Pfund die Flasche bekommt.“ Für den Gast gibt es keine Transparenz: „Im Prinzip werden die Bars korrumpiert. Man stelle sich Offenlegungen in der Karte vor wie ‚Natürlich gibt es bessere Spirituosen für Ihren Drink, dennoch erfolgt unsere Auswahl lieber aufgrund finanzieller Unterstützung und weil unser Barchef nach Puerto Rico eingeladen wurde‘.“

Doch es muss noch gar nicht die Kombination aus gesponserter Fernreise mit mondänem Hotel und teuren Restaurants sein. Für viele Bars in der britischen Hauptstadt sind Pouring-Deals mit den Spirituosenriesen heutzutage völlig normaler Bestandteil der jährlichen Kalkulation. So erläutert etwa Marian Beke, der Anfang des Jahres seine inzwischen mit einem MIXOLOGY BAR AWARD prämierte Bar The Gibson eröffnet hat: „Die Einlistung einer Spirituose in der Cocktailkarte hat hier eine Art Tarif, ganz einfach.“ Damit meint Beke, der das Prinzip auch aus seinen vorigen Arbeitsplätzen, etwa dem Nightjar, kennt, nichts anderes, als dass eine Spirituosenfirma pro Cocktail zahlt, der mit einem ihrer Produkte in der Karte steht – üblicherweise für ein Jahr. „Die Preise schwanken natürlich je nachdem, wie groß der Ausstoß der Bar ist und was sie für einen Ruf genießt, aber unter 500 Pfund pro Jahr und Cocktail geht es nicht los“, gibt Beke mit Blick auf das Gibson offen zu. Selbst, wenn man also diesen „niedrigen“ Preis von 500 Pfund pro Cocktail anlegt, kann eine Bar, deren Karte nur 30 Cocktails umfasst, allein durch entsprechende Listungsverträge einen Betrag von 15.000 Pfund einnehmen – den viele Bars auch ernsthaft mit einkalkulieren müssen. Gerade die kleineren, unabhängigen Bars, die mit hohen Mieten und klar geregelten Öffnungszeiten zurechtkommen müssen, denn in London ist die Öffnungskonzession ans Objekt gebunden.

Der Ruf macht den Preis

Sind Bars sehr groß oder haben ein besonderes Renommé, können die Preise für eine Listung freilich deutlich über 1.000 Pfund à Drink schießen, erklärt Beke. Für weltweit bekannte Trinktempel mit hohem Durchlauf, wie etwa Callooh Callay, die Artesian Bar oder auch das jüngst extrem gehypte Dandelyan kann man sich die entstehenden Beträge, die an der Sechsstelligkeit kratzen mögen, nur vorstellen. Ohne eine wirkliche Gegenleistung der Bar, wohlgemerkt.

Daraus entsteht ein gefährlicher Kreislauf, den letztendlich viele Akteure mitgehen müssen, wenn sie im Spiel bleiben möchten. Christina Schneider meint: Ist die Marke erst einmal in der Bar „drin“, wird auch von beiden Seiten alles getan, damit das so bleibt: „Wenn es bei schlichten Pouringdeals bliebe, wäre das ja halb so schlimm“, findet Schneider, „aber stattdessen werden die Bartender von den Brands zu Stars aufgebläht, sie dürfen überall ihr Gesicht in die Kamera halten, kriegen hübsche Geschenke und werden zu weiteren Reisen eingeladen.“ Doch damit ist der Kreislauf nicht zu Ende, denn „man weiß ja, wie viele Juroren der großen internationalen Bar-Awards mit Brands zusammenarbeiten oder einfach schlicht für Brands tätig sind: Da wird dann mit Preisen wieder genau jenen Bars auf die Schulter geklopft, in denen die billigen Marken der Riesenkonzerne ausgeschenkt werden. Und niemand schreibt oder spricht darüber, weil es hier nur Blogs oder Websites gibt, die kostenlos darüber schreiben. Und auch die wollen ja von irgendwem bezahlt werden.“ Für Schneider übrigens alles vor allem ein britisches bzw. Londoner Phänomen: „In Paris und Berlin laufen gerade die wirklich guten Bars ohne all das.“

Was Remy Savage wohl zu Schneiders Meinung sagen würde? Der Barchef der Pariser Bar Little Red Door legte mit seinem Team im Frühling das weltweit viel beachtete „Evocative Menu“ vor. Für die Karte fertigten elf Künstler zu jeweils einem Drink eine Illustration an – die Karte funktioniert ohne Worte, ohne Text. Das Ergebnis ist eine hochwertig gedruckte und gebundene Barkarte im Stil eines alten Kinderbuches, in dem die Drinks auf jeweils einer Seite bebildert sind. Die Beachtung in den Fachmedien war enorm, das ohnehin bekannte „LRD“ konnte seine Prominenz durch die Barkarte noch einmal ordentlich steigern.

Dass sich ein solches Projekt nur mit gewissem Background verwirklichen lässt, sollte auf der Hand liegen. Es ging nicht ohne Partner, erklärt Barchef Remy Savage: „Wir sind eine kleine Bar ohne große finanzielle Schlagkraft. Wir haben daher ganz gezielt Partner nach einem Sponsoring gefragt.“ Wichtig ist die Mehrzahl – also nicht ein exklusiver Partner, sondern mehrere.

Sell Out im Boutique Style?

Schwebt dann nicht das Damoklesschwert des Ausverkaufs über der kleinen roten Tür in der Rue Charlot? „Uns haben über zehn Marken und Firmen bei den Druckkosten geholfen, einige öffentlich, andere anonym“, erläutert der Barchef. „Allerdings arbeiten wir schon lange und freundschaftlich mit all diesen Marken. Und, noch wichtiger: Wir haben erst angefragt, als die Rezepturen schon standen. Es konnte also niemand sagen, dass er ‚seine‘ Marke in der Karte haben will.“ Ebenso wichtig ist es dem Team, zu betonen, dass der Löwenanteil der Kosten bei der Bar geblieben ist. Generell blickt Savage dem Vorwurf der Korruption in seinem Fall gelassen entgegen: „Das berührt mich nicht. Wen stört es beim Anblick der Karte ernsthaft, dass uns geholfen wurde? Keiner der Sponsoren hat inhaltlich Einfluss genommen, das ist der Punkt.“

Gleichzeitig pflichtet der Franzose, der vor zwei Jahren selbst einen großen internationalen Wettbewerb gewinnen konnte, seiner deutschen Kollegin bei: „Es ist natürlich verlockend, aber gefährlich, sich in bestimmten Formen an eine oder gar mehrere Marken zu binden. Irgendwann wirst Du innerhalb der Szene nur noch darauf reduziert. Wir haben in Paris zurzeit das Glück, dass die Bars auch ohne massive Beteiligung der Konzerne florieren. Das ist gerade für die jüngeren Bartender und Unternehmer ein wichtiges Zeichen, das sagt: Es geht ohne die in anderen Städten üblichen Mechanismen.“

Ein gemeinsamer Tenor ist den Äußerungen von Duff und Savage inhärent: Es geht um Ausgewogenheit und Balance. Christina Schneider sieht den Sachverhalt recht düster, während Marian Beke dem Komplex nüchtern begegnet. Doch wenn die Möglichkeiten bestehen, siegt wohl derzeit noch sehr oft die Gier: „Es gibt leider immer noch viele Bars, die denken, sie könnten ihr Geschäft von der Industrie ‚subventionieren‘ lassen – ein fataler Irrtum“, meint Duff. Und Schneider bezieht mit Blick auf die Involvierung großer Marken final eine deutliche Position: „Das ist das Krebsgeschwür, an dem Integrität und Qualität zugrunde gehen könnten.“

Denn Jörg Meyer hat am Ende Recht und Unrecht zugleich: Natürlich brauchen Bars Marken, um mit deren Produkten zu arbeiten. Auch kleine, vermeintlich „gute“ Firmen sind am Ende Marken. Die Frage ist am Ende, welche Beweggründe dazu führen, dass eine Flasche im Regal steht – Idealismus oder blankes Kalkül. Und da hat er Recht: Brands brauchen Bartender, um groß zu bleiben. Aber Bartender brauchen keine Brands, um groß zu werden.

Eine kürzere Version dieses Textes erschien bereits in der aktuellen Ausgabe 5/2016 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur.

Credits

Foto: via Shutterstock; Postproduktion: Tim Klöcker

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