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Maputo

Lokalaugenschein Maputo: Vibrieren zwischen Oberstadt und Unterstadt

Maputo ist eine der aufregendsten Städte im östlichen Afrika. Am Tage fasziniert die Hauptstadt von Mosambik mit spektakulärer Architektur, bei Nacht mit eigenwilligen Bars. Die Musik und die Feierwut der Menschen treiben diese Metropole an, die seit dem Ende des Bürgerkrieges 1992 ständig wächst. Markus Orschiedt hat sich das aus nächster Nähe angesehen.
Maputo ist das Rio Afrikas – so sagt man. Faszinierend schön und abstoßend hässlich. Pulsierendes Nachtleben, Kunst, Musik, Bars und Barackas. Frauen und Männer, schön und makellos wie Michelangelo-Skulpturen oder die Gedanken von Einstein, auf dem Bürgersteig ein wacher Bettler. In seinem alten Bürgerkriegsschienbein ein Loch, so groß wie ein Whisky-Tumbler, in das Passanten Münzen hineinwerfen.
Zukunft und Vergangenheit, Hoffnung und Elend. Straßenhändler im alltäglichen Kampf ums Überleben: „Hey, my friend, wanna buy?“ Selten aufdringlich. Das Abendlicht malt die Stadt, die sonst so grell ist, in verführerisches Pastell, zerrt Gauner und Nachthungrige ins Halbdunkel.

Oben und unten, Bars und Paläste

Als ich Maputo 1998 das erste Mal besucht habe, gab es schon die beiden widerstreitenden Welten. In der Oberstadt (Cima) das feine Viertel Polana mit dem gleichnamigen Kolonialhotel mit Blick auf den Indischen Ozean, dem Präsidentenpalast, den Botschaften, Villen und dem ehemaligen Teilwohnsitz von Nelson Mandela. Dann noch das fastfeine Hotel Cardoso unweit des wunderbaren Museums für Naturkunde und der inzwischen berühmten Künstlergruppe Nucleo de Arte mit Galerie und Divebar.
Wo sich damals nur wenige Autos, sondern mehr Handkarren durch die Straßen schoben, stauen sich heute zweispurig die fetten Geländewagen und legen Zeugnis von der Entwicklung Mosambiks ab. Fußgänger wuseln gegen die Kaminwinde, ventiliert durch die vielen neuen Hochhäuser, die sich arrogant über die portugiesisch-kolonialen Gebäude und die – man glaubt es kaum – dominierende Bauhaus-Architektur erheben.
Dann die Unterstadt (Baixa), noch heißer, noch menschen- autogedrängter. Ein Lahar aus Blech und Leibern. Nächtliches Epizentrum ist die Hafengegend. Lebensfreude, Lust und latente Gefahr definieren den Reiz. Die Straßennahmen künden noch von der Revolutionszeit in den 1970er Jahren und feiern die alten Helden: Mao Tse-tung, Lenin, Ho Chi Minh, Karl Marx, Patrice Lumumba und Julius Nyerere heißen hier die Avenidas oder sie sind benannt nach wichtigen Daten dieser Epoche der Dekolonialisierung von Portugal.

Zwischen den Welten

Der unvermeidliche Sundowner muss unbedingt im „Dhow“ genossen werden. Sicherlich einer der angesagtesten Bars im Moment mit atemberaubendem Blick auf die Maputo Bay. Man trinkt Wein aus Südafrika und Bier. Vor allem die lokalen Marken 2M und Manica stehen hoch im Kurs. Die Mosambikaner, die etwas auf sich halten und zu Wohlstand gekommen sind, trinken die Importmarken Castle oder Heineken. Vereinzelt sieht man auch einmal eine Margarita, Caipirinha oder einen Mojito auf dem Tisch. Cocktails haben hier keine ausgeprägte Kultur.  Mao ist weit weg.
Auf dem Weg zurück ins pulsierende Zentrum ist ein Besuch bei „Nucleo de Arte“ Chronistenpflicht. Die Rastas und Künstler hängen rum, Besucher in der Galerie, Rum und Cola kreisen mit Joints um die Wette im Biergarten, während die Band beim Soundcheck lärmt.
Ein paar Schritte weiter, im Hotel Cardoso, weht der Wind des nächtlichen Maputo über den Pool. Die Bar ist fest in der Hand astraler Schönheiten. Die Models sind bereit für die Modenschau. Gin & Tonic und Whisky on the Rocks wandern in die Kehlen des fast ausschließlich weißen Publikums, stets umhegt von einer Armee livrierter Kellner. Hartes Kontrastprogramm. Maputos Lichter funkeln.
Wer Maputo besucht, kommt eigentlich am Mundos nicht vorbei. Diese von Südafrikanern betriebene Mischung aus Sportsbar, Restaurant und Bar ist eine Institution bei Touristen und Einheimischen. Zwei große Räume füllen sich bereits am frühen Abend. Regierungs- und Parteihengste, von NGOs gemästete Geländewagenfahrer, Blink-Blink-Ladies und hippe Jungs dominieren die Szene, eingerahmt von Familien und Geburtstagsgesellschaften. Die postsozialistische Jeunesse dorée Maputos startet bei Wein und Piña Coladas in die Nacht. Das Mundos ist seit gefühlten 100 Jahren ein Fels in der Brandung, jenseits aller Moden des nächtlichen Glittertrubels und seiner Schnelllebigkeit.

Schöne Hölle, geile Höhle

Um die Ecke, im Dolce Vita, ist der Name Programm. Zu Sushi schlürft man Fruchtsaftmischungen und Castle Lite. Ein Klassiker des Nachtlebens. Modernes, helles Design. Ein Raum, der sich inszeniert wie sein Publikum. Eine Bar, wie man sie auch in jeder europäischen Metropole finden kann. Die Musik ist schrill, die Stimmung aufgeheizt. Nur die Bartender sind nicht ganz auf der Höhe. Der Gin & Tonic kommt völlig verwässert und fast ohne Eis lauwarm an den Tisch. Aber immerhin hat die Reklamation Erfolg und der zweite Versuch kann sich trinken lassen. Im Dolce Vita lässt sich auch die Kultur des gemeinsamen Konsums verfolgen. Man sitzt in einer Gruppe zusammen am Tisch, ordert eine Flasche Vodka oder Cognac, dazu reichlich Eis und Filler und genießt zusammen.
In der Unterstadt befindet sich in eine Legende. Das Gil Vicente ist das Hochamt der Live-Musik. Der Laden platzt aus allen Nähten, die Luft lädt zum Schwimmen ein, Zigarettenqualm und Schweiß parfümieren den Raum. Sauna mit Musik und Nikotinaufguss. Beliebter Ort ist die Treppe zum oberen Raum. Überall zu den Beats der Band zuckende Leiber, schöne Hölle. Das Publikum ist sexy, aber nicht überdreht. Künstlervolk, Studenten, Musikfreaks. Geile Höhle. Wer hier etwas anderes als Bier in Strömen trinkt, macht sich verdächtig. Die Bartender nehmen die Schreiorders entgegen und werfen die Gerstenkaltsuppe in die reckenden Hände der gierigen Meute. Epiphanie des Bieres.
Um anschließend in die tiefsten Abgründe der Nacht zu tauchen, gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder ins Coconuts, oder ins Rotlichtviertel am Hafen. Das Coconuts ist eine Großdisko mit Garten und Live-Bühne an der Marginal, der Uferpromenade. Wir lassen es heute einmal marginal sein und driften ab in die tieferen Tiefen. Was im Gil Vicente im geschlossenen Raum stattfindet, passiert hier schon auf der Straße. Dabei ist es nicht nur ein von Nutten und Freiern bespieltes Areal. Hier mischen sich die Szenen und Akteure. Oben Stundenhotel, unten Club. Semiprofessionelle, Verirrte, Staunende, Schöne, Reiche, Arme, Opfer, Drogen – alles da. Klein-Frankfurter Bahnhofsviertel in Maputo. Um so enttäuschender, dass ausgerechnet der Ort, der das alles in sich vereint, geschlossen ist – das skandalumwitterte Luso.

Maputo: So hässlich kann schön sein

Aber Hilfe ist nah. Im Nachbarhaus befindet sich das Gypsi. Thema getroffen, Absturz pur. Zwischen Schnäpsen und Longdrinks, die hier in halsbrecherischem Tempo über den Tresen wandern, immer wieder Anbahnungsversuche der Semiprofessionellen, die es abzuwehren gilt. Oder auch nicht. Die Pizza zur späten Stunde ist jedenfalls sensationell. Maputo ist wirklich schön und hässlich  – eher schön.

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Foto: Shutterstock

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