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Mixology Bar Awards

Moneyboy has left the building. Zum Tode von Adrian Schulz.

Die deutschsprachige Barszene hat mit Adrian Schulz eine besondere Figur, einen charakterstarken Akteur viel zu früh verloren. Ein Nachruf.

Wenn man Adrian Schulz das erste Mal traf, dann war das definitiv eine Art von Ereignis. Nicht im Sinne eines „großen“ Ereignisses, auf das man hingefiebert oder sich darauf vorbereitet hätte, weil er eine Berühmtheit oder schlicht ein bekannter Bartender war. Nein, auf Adrian Schulz konnte man sich nicht vorbereiten. Man wollte es auch gar nicht. Adrian Schulz das erste Mal zu begegnen, das war in etwa so wie damals, als man den ersten Blood & Sand getrunken hatte – ein Drink, dessen Rezept sich schräg liest, vielleicht eine Spur aus der Balance, irgendwie ein wenig aus der Zeit gefallen. Doch wenn man mit dem Lesen aufhörte und wirklich probierte, dann wusste man: Das passt haargenau. So muss das sein. Der gehört so. So war Adrian Schulz. Ein besonderer, nicht alltäglicher Bartender. Ein Bartender, der am vergangenen Samstag, dem 10. November 2018, viel zu früh und nach kurzer, schwerer Krankheit in München verstorben ist. Er wurde keine 30 Jahre alt.

Die Vielfalt im Klassischen

Das Besondere, das Bemerkenswerte an Schulz lässt sich nur schwerlich mit einer einzelnen Beobachtung umreißen. Es war nicht die eine Eigenschaft, die ihn der Masse enthob, es war das Gesamtbild. Denn Adrian Schulz, das war zunächst einmal ein Bartender, der für Klassik stand, der die Klassik verstand. Das zeigt sich etwa auch an der letzten Stätte seines Wirkens, als Bar Manager der Falk’s Bar im mondänen Bayerischen Hof in München. Er war ein Bartender, der sich nicht hinter Schwurbeleien und Träumereien verschanzte, sondern der sich auf einen Kern des Bartendings fokussierte: Auf den hochwertigen, straighten, steifen Drink. Er war dabei niemals reaktionär, keiner von jenen, die im Fortschritt das Übel sehen. Aber der Rotationsverdampfer war seine Sache nicht. Doch auch darin lag eine weitere Stärke seines Wesens begründet.
Schließlich brauchte Adrian Schulz – im Gegensatz zu vielen anderen Bartendern der heutigen Zeit – den Drink, den er mit seinem spitzbübischen, oft schiefen Lächeln servierte, nicht zur Bestätigung oder Definition seiner eigenen Identität. Er war stattdessen nicht einfach nur Gastgeber; er war Entertainer. Er war er selbst und schaffte es dennoch (und trotz seines jungen Alters), dieses Selbst unaufdringlich auf jeden Gast und jeden Fachkollegen zu übertragen.

Ein junger Mann, der die Menschen bewegen konnte

Hierin lag wahrscheinlich der größte Teil jenes Momentum begründet, warum Schulz schon nach wenigen Jahren einen besonderen Stand in der deutschsprachigen Szene innehatte; warum er – wie auch die unzähligen Reaktionen aus der Szene zeigen, die herausgekramten Videos, Fotos und Facebook-Posts von Schulz – bei vielen Kollegen Eindruck hinterlassen und sie mit seinem Wesen beeindruckt und auch bewegt hat. Denn Schulz ordnete sich, anders als die meisten, keinem Kanon unter, wie man sich als Bartender im Jahre 2018 zu benehmen, was man gut zu finden oder wie man auszusehen hatte. 
Wenn ihm nach der großen Geste war, manchmal auch nach der übersteigerten oder gewollt peinlichen Geste, dann zeigte er sie nicht nur – er, mit dem vielsagenden Spitznamen „Moneyboy“ ausgestattet, zelebrierte sie, er feuerte sie ab. Immer mit einem Gefühl für die Situation, für das, was gerade sein musste. Das konnte der trockene, zynische Kommentar eines Ereignisses ebenso sein wie das unter Gebrüll vom Leib gerissene Sakko auf der Bühne der MIXOLOGY BAR AWARDS sein, die er noch vor wenigen Wochen gemeinsam mit Chloé Merz moderierte. Und Schulz nahm sich selbst in alledem nie zu ernst. Er brauchte die viele Aufmerksamkeit, die er sich oft selbst verschaffte, offenbar nicht, um sich Bestätigung zu holen. Er nahm sich die Aufmerksamkeit, weil er merkte, dass sie im Dienst der Stimmung stand. 

Der Blick ins Früher

Wenn ein grässlich schlechter Witz einfach erzählt werden wollte und musste, man konnte sich sicher sein, dass Schulz jenem Witz schon Gehör verschaffen würde. Natürlich ohne dabei selbst auch nur eine Augenbraue zu verziehen, während die Menschen um ihn herum Tränen lachten. In einer Zeit, in der sich viele Menschen auch im persönlichen Beisammensein immer mehr mit Bildern und Videos bespaßen, hatten Schulz’ Witze einen fast schon notwendigen und höchst zeitgemäßen, zwar nostalgischen, aber nie muffigen Charme.
Es war generell dieses leichte Aus-der-Zeit-gefallen-Sein, der kleine Anachronismus, der Schulz auszeichnete, mit dem er gekonnt spielte und der viel von seinem Wesen ausmachte. Denn auch abseits des Cocktails an sich war Schulz ein Mensch mit Gespür für das Klassische. Das zeigte sich nicht nur an seinem Aussehen, am immer sitzenden Anzug und der oft leicht schuljungenmäßig gescheitelten, kurz geschnittenen Frisur, sondern ebenso an seinen kulturellen Vorlieben, an seiner Bildung. Mochten seine Witze im richtigen Moment krawallig sein und Lachstürme auslösen – drei Minuten später fand man sich selbst mit Schulz im ernsthaften Gespräch über Stefan Zweigs Prosa. Und es dürfte nur eine handvoll Deutsche in seinem Alter geben, die noch derart textfest Loriot und Heinz Erhardt zitieren können. 

Blödsinn und Ernsthaftigkeit

Wieder einen Tag später würde er in den Sozialen Medien öffentlich einen fachlichen Sachverhalt thematisieren und kritisieren, auch mitunter „große Namen“ in ihrem Handeln hinterfragen, wie es nur Wenige tun. Und zwar ruhig, detailliert, pointiert, ohne die jeweils aktuellen Catchphrases und ohne die Hysterie, die von Monat zu Monat üblicher wird, wenn Branchenangehörige öffentlich debattieren. Der Schulz’sche Humor, er war keine Blödelei. Er war, wie auch seine Ernsthaftigkeit in fachlichen Fragen, das Resultat ein und derselben Prämisse: Wenn man etwas macht, dann richtig. Keine halben Sachen.
Es waren diese vielen kleinen Eigenheiten, die Adrian Schulz im Bar-Business von heute zu einer Wohltat machten, zu einem echten Charakter, der trotz seiner vergleichsweise wenigen Zeit einen bleibenden Eindruck hinterlassen konnte. Weil es ihm gelang, einen wirklich eigenen Individualismus zu kultivieren und dennoch der omnipräsente, freundliche, aufmerksame Gastgeber zu sein, der so viele gern wären, während sie eigentlich mit sich selbst beschäftigt sind. 
In der Rückschau wird uns Schulz vielleicht viele dieser Themen immer mal wieder bedenken und beherzigen lassen: Wie man sich selbst weniger ernst nimmt, ohne dabei lächerlich zu sein; im richtigen Moment auf die Konvention zu pfeifen und furiosen Blödsinn zu fabrizieren, nur um kurz darauf wieder erwachsen und ernsthaft abzuliefern. Und immer zum eigenen Charakter zu stehen.
Die Barszene trauert um einen besonderen jungen Mann. Das Beileid gilt seiner Witwe Katrin Schulz, seinen Eltern und allen anderen Hinterbliebenen. Am morgigen Freitag findet die Beisetzung von Adrian Schulz in Nürnberg statt. Vielleicht wird dort ein Gimlet auf Eis am Grab stehen, vielleicht ein Glas Champagner – wohl die beiden liebsten Getränke des verstorbenen, leidenschaftlichen Genießers. Und in ein paar Tagen wird aufgrund der Schnellebigkeit der Szene wahrscheinlich alles schon wieder mehr oder minder vergessen sein. Aber Adrian Schulz wird fehlen. Nicht nur jetzt, sondern für eine ganze Weile. Auch ganz ohne Ereignis. 

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