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Viskosität

Viskosität, die fünfte Dimension in Drinks

Längst werden gute Cocktails nicht mehr nur an Aroma, Geschmack, Optik und Wertigkeit der Zutaten gemessen. Auch die Viskosität hat ein gewichtiges Wort mitzureden.  Wir stellen daher die Frage: Bestimmt die Konsistenz eines Drinks unser Erlebnis?  Wie können wir Viskosität in Flüssigkeiten beeinflussen, und ist es die Arbeit überhaupt Wert?
Viskosität bezeichnet die Zähigkeit von Flüssigkeiten und Gasen. Eine höhere Viskosität gibt eine dickere und damit zähere Flüssigkeit an, wohingegen eine niedrig viskose Flüssigkeit leichter fließt.
Dickflüssigkeit können wir sowohl mithilfe von Zunge und Gaumen, als auch dem komplexen Vorgang des Schluckens erkennen. Dies ist für uns teils lebenswichtig, da stark viskose Flüssigkeiten Probleme bei Schlucken oder Verdauung bereiten könnten – und durch beispielsweise Atemnot große Gefahren darstellen mögen. Zum Glück hat unser Mund dafür einen sehr fein ausgeprägten Sinn. Weswegen es uns unter anderem sehr viel leichter fällt, Gin & Tonics zu trinken als Olivenöl. Ha!
Diese Zähflüssigkeit verrät uns nicht nur die Natur der von uns eingenommenen Flüssigkeiten, sondern kann tatsächlich auch Wohlbefinden und Wertigkeit beeinflussen. Denn sowohl eine wässrige Trinkschokolade als auch ein ölig-dickflüssiger Wein sind so überraschend wie unangenehm. Unser Gefühl von Viskosität ist demnach eng verbunden mit unserem Trinkerlebnis. Daher ist ein Kakao mit fettiger Milch anstatt Wasser zubereitet eben nicht nur nahrhafter – sondern auch viel “schokoladiger” aufgrund seines Fettanteils. Kann die generelle Erfahrung eines Drinks mit Viskosität beeinflusst werden, sollte man sie doch damit auch gezielt verbessern können. Oder?

Viskosität ist eine alte Weisheit

Man kann. Und tut es auch. Tatsächlich bereits seit den ersten Cocktails! Denn der alte, in US-amerikanischen Cocktailbüchern oft beschriebene gum syrup ist ein eingedickter Zuckersirup. Schon in den ersten Cocktailbüchern wird beschrieben, dass dadurch eine wunderbar seidige Konsistenz erzielt wird.
Gummi arabicum kann online bezogen werden und in Form von sirop de gomme mit wunderbarer Seidigkeit punkten. Definitiv zu empfehlen für Daiquiris, in welchem gomme die unter Umständen prägnante Säure der Limette wunderbar einbindet. Allerdings erfordert die Verarbeitung einige Geschicklichkeit und Geduld, wie Jeffrey Morgenthaler einst sehr prägnant in seinem Blog beschrieb.
Sehr viel einfacher ist da schon die Verwendung von Gelatine und Agar. Denn kalt in die Flüssigkeit eingerührt, eine halbe Stunde hydriert und dann auf über 85°C erhitzen ist alles, was es für Gelifizierung benötigt. Dabei lässt sich die Viskosität stufenlos steuern – von minimal viskoser bis zu einem überaus festen Gel. Schon Konzentrationen von 0,1% sorgen für merkliche Resultate.
Vorzuziehen ist dabei wohl Agar, denn abgesehen von seiner pflanzlichen Herkunft (Gelatine wird vorwiegend aus Schweineknochen gewonnen) ist es auch einsetzbar bis ca. 30% Vol. Weiterhin verflüssigt es sich nicht wieder bei Zimmertemperatur wie Gelatine. Ein entscheidender Nachteil ist hingegen, das mikroskopisch betrachtet beide eigentlich nicht eindicken, sondern gelifizieren. Dies kann sich nachteilig auswirken im Gegensatz zu anderen “Dickmachern”, da es gerne zu klumpiger Konsistenz führt.

New school of Cocktail-Viskosität

Scheinbar neue Mittel, um Viskosität zu steigern, lauten Carageen, Gellan, Lecithin oder Xanthan. Alle sind mit der Molekularküche ins Rampenlicht gerückt, werden aber teils schon seit Jahrhunderten genutzt. Um diese Kurzeinführung nicht ausufern zu lassen, soll es an dieser Stelle nur um den für uns am geeignetsten gehen: Xanthan.
Es ist ein von Bakterien produziertes Polysaccharid und wird als Puder per Blender sehr einfach in Flüssigkeiten eingebracht. Dieses Zaubermittel hydriert innerhalb weniger Stunden von alleine, tut dies auch noch in einer unfassbaren pH-Bandbreite und ist nahezu alkoholunempfindlich. Was Xanthan anderen Dickungsmitteln gegenüber deutlich vielfältigere Einsatzmöglichkeiten ermöglicht. Bereits niedrige Konzentrationen von 0,1% geben dem vorher angesprochenen Gin Tonic eine Olivenöl-ähnliche Textur. Xanthan hat zwar einen schwachen Eigengeschmack, bevor dieser jenseits von 1%-iger Konzentration deutlich wird, entwickelt sich jedoch eher eine dezente Schleimigkeit.

Viskosität á la minute

All jene Mittel erfordern leider zu viel Vorbereitungszeit, um sie à la minute hinter der Bar anwenden zu können. Dort punktet hingegen das traditionell bekannte Eiweiß oder Vollei. Aus Gründen der Nahrungsmittelsicherheit kann als Ersatz für Eier Lecithin herangezogen werden, da es genau jener Ei-Bestandteil ist, welcher die Schaumbildung herbeiführt.
Das von uns heute eingesetzte Lecithin wird jedoch vegan aus Soja hergestellt. Es lässt sich sehr viel exakter und auch in niedrigerer Konzentration einsetzen. Und ist daher für molekulare Rezepte sehr viel besser geeignet. Leider benötigt es circa eine Stunde, um komplett zu hydrieren, ermöglicht dann jedoch die Herstellung aufsehenerregender Schäume oder sogar airs.
Interessant dabei ist, dass es zwar die Viskosität der Flüssigkeit stark steigert. Doch bei dichten (und daher sehr schweren, viskosen) Flüssigkeiten wie Sirups oder Crémes de keine dauerhafte Stabilisierung der Schäume erzielen kann. Aufgrund seiner Natur als Emulgator können mit Lecithin Öle in Wasser gebunden werden. Was beispielsweise für selbstgemachte Orgeate ein toller Kniff ist!
Eine vegane und auch unglaublich preiswerte Alternative ist hingegen Aquafaba. Das überaus stärkehaltige Wasser von eingeweichten Kichererbsen sorgt für so stabile wie beeindruckende Schäume. Schon 10 ml reichen aus, um einen Sour so zu schäumen, wie man es mit Eiweiß nur selten erzielt. Dem konkurrenzlosen Preis (des Abfallproduktes aus der vorbereitenden Wässerung der Erbsen) steht eine nur geringe Haltbarkeit von drei bis vier Tagen gegenüber. Aquafaba ist allerdings sofort einsetzbar und insofern unglaublich pflegeleicht.

Natürlich natürlich?

Bei all diesen Fremdworten beschleicht Gäste schnell das Gefühl, Laborratten zu sein. Oder auch großindustrielle (lies: “böse”) Chemie einzunehmen. Doch sind all jene hier beschriebenen Zutaten natürlich und werden aus Pflanzen gewonnen. Inwiefern sie weiterverarbeitet wurden, steht womöglich auf einem anderen Blatt. Denn um aus einer Alge oder Soja ein trockenes, rein-weißes Pulver zu erzeugen, benötigt es sicherlich mehr als nur etwas Sonne und gutmütiges Tätscheln.
Doch wieviel hätte unter diesem Gesichtspunkt Bourbon noch mit Mais zu tun? Ob diese bereinigten und konzentrierten Werkzeuge demnach hinter einer Bar Einsatz finden, ist also aus ethischen Gründen Auffassungssache. Doch unglaublich praktisch, müll-reduzierend und exakt einsetzbar sind sie allemal. Und sorgen für eine weitere, fantastische, teils unaufwändige Möglichkeit in unserem Streben nach perfektionierten Cocktails und Erlebnissen. Inzwischen sogar in der haptischen Dimension.

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