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Wabi Sabi

Wabi Sabi Shibui: Der Monospirituosen-Tempel des Klaus St. Rainer

Wer um den Wissensdurst von Klaus St. Rainer weiß, wird erahnen, dass er in seiner neuen Bar Wabi Sabi nicht die Goldene Bar kopiert. Mit seiner Partnerin Leonie von Carnap widmet sich der Münchener Bar-Querdenker japanischen Traditionen, Tee-Ritualen und der generellen Schönheit des Minimalismus.
Eine zweite, kleinere Goldene Bar stand nie zur Debatte. Zum einen, meinen Leonie von Carnap und Klaus St. Rainer, hat jede Bar ihre eigenen Einzigartigkeiten, die sie ausmacht und die keine Kopie zulassen, zum anderen stand hinter allen Überlegungen immer der Wunsch nach Verkleinerung, nicht nach Vergrößerung.

Am Anfang der Wabi Sabi stand das Hobo-Sign

Im Gespräch mit Klaus sitzen wir in der Goldenen Bar, uns umgibt das Gold der vier Wände mit ihren detaillierten Zeichnungen. Die Bar ist gut besucht, ein reges Tratschen bespielt den Hintergrund. Dann greift sich Klaus St. Rainer einen seiner Stifte und malt in Blau ein Zeichen auf Papier. Es ist ein ‚Hobo Sign‘, ein Graffiti von und für Landstreicher, das bedeutet: „In diesem Haus gibt es Alkohol“; und damit beginnt eine neue Geschichte.
Mit ihr entfernen wir uns vom gegenwärtigem Trubel und von der vergoldeten Bar, die bald eine Art Bruder mit kaum gemeinsamen Verwandtschaftsgrad bekommen wird. Die Geschichte erzählt von Selbstverwirklichung und Freiheit, sie wurde schon vor Jahrzehnten zu erzählen begonnen, als Klaus sich für Japan, das Land der Traditionen, zu interessieren beginnt.
Wer sich ebenfalls für Traditionen interessiert, weiß, dass hier viel mehr Prozesse und Transformationen eine Rolle spielen, als man meint, fast wie bei der Eröffnung einer neuen Bar. Fixe Ideen sind leittragend, doch können sie auf einem langen Weg häufig zu Engpässen und Sackgassen führen. Irgendwann muss man einfach umdenken und auch mit Notlösungen hantieren.

Klaus St. Rainer und der Tee

Eine besondere japanische Tradition ist die Teezeremonie, erzählt Klaus. Diese hat sich über Jahrhunderte weiterentwickelt, weil Dinge passiert sind, mit denen man nicht gerechnet hat. Im 13. Jahrhundert etwa war ein Vandalismuskrieg gerade dabei, den Brauch zu zerstören, als man sie mit etlichen Notlösungen am Leben erhalten konnte.
Kaputtes chinesisches Porzellan wurde durch einfacheres Geschirr ersetzt oder wieder repariert, das konservative Verständnis des Teetrinkens wurde immer weiter gelockert und auch die Ärmeren konnten nun teilhaben. Alles war weniger Schick als zuvor, aber jetzt war es eine Sache für jeden. Wabi Sabi sagt man – und so soll die neue Bar heißen.

Wabi Sabi oder die Wahrnehmung der Schönheit

Japanische Künstler entdeckten damals die Teezeremonie für sich. Ein Tag begann mit Tee, ging weiter mit Alkohol und endete in Kunst, Inspiration und guten Geschichten. Übersetzt und heruntergebrochen bedeutet Wabi Sabi „die Wahrnehmung von Schönheit“ und wird wohl bald in so einigen Münchner Smartphones zur Autokorrektur hinzugefügt werden.
Liegen wird die Bar nahe des Odeonplatzes, mit einer kleinen Terrasse und einem kleinen Innenbereich. Die gastronomische Zeremonie soll dort schon früh am Morgen beginnen, mit Tee, Kaffe und gutem Essen. Dazu ein spezieller Conceptstore mit Blumen, Porzellan, Silberarbeiten und einigen weiteren Details, die dann weiter zu erforschen sind. Allein der Raum selbst hat so viel Eigenart, dass seine Ungewöhnlichkeit wie ein Charakter scheint, der entspannt und unkompliziert den Gästen entgegenkommt und irgendwie kreativ macht.

Im Wabi Sabi herrscht Mono-Spirituosenkultur

Wobei die Kreativität hier sowieso einfach gestrickt ist. Im Wabi Sabi will man weg von unerträglichen und unnachgiebigen Trends, wie die fast täglich neuentdeckten Gin-Quellen, die aus dem Boden zu sprudeln scheinen. Im neuen Laden wird es eine Mono-Spirituosenkultur geben, also für jede Kategorie nur einen Vertreter.
Außerdem entscheidet man sich dauerhaft für nur eine einzige Säurequelle, und zwar die Limette. Keine Zitrone, keine Grapefruit, keine Orange, kein Verjus. Hier greifen Leonie und Klaus wieder auf die japanische Philosophie des Wabi Sabi zurück und fragen sich: Wie viele Zutaten kann man von seinem Lieblingsgericht weglassen, dass man es noch als dieses erkennt?
Eine spannende Frage, die tatsächlich das gesamte Barkonzept beeinflusst. In letzter Zeit ist Genuss stark in die Komplexität gerutscht, unzählige Geschmäcker tummeln sich in vielen unserer Gerichte und Drinks. In der japanischen Teezeremonie geht es aber um die „Schönheit des Unvollkommenen“, und damit scheinen sie ein paar Schritte zurück zu gehen. Stattdessen aber wird man einfach nur etwas schlichter, andächtiger und auch respektvoller zu den Zutaten.

Kintsugi als Antwort auf Zero Waste

Die Kreativität im Wabi Sabi beginnt also genau dort, wo man mit dem Auskommen muss, was man zur Verfügung hat. Hier wird man also nicht alles so bekommen, wie man es kennt, sondern muss Altes neu kennenlernen. Wer seinen Old Fashioned dringend mit einer Orangenzeste will, glaubt hier vielleicht nicht glücklich zu werden, doch wer der Barfrau oder dem Barmann vertraut, der lässt sich beraten und probiert eine Neuinterpretation.
Noch eine weitere Richtlinie im Wabi Sabi ist Kintsugi. Schon mal davon gehört? Das ist eine traditionell japanische Methode für Reparaturarbeiten von zerbrochenem Porzellan und ist die Antwort von Leonie und Klaus auf die Zero Waste-Bewegung. Natürlich geht es darum, Müll zu vermeiden und keine Rohstoffe zu verschwenden, doch auch um Materialien, die in unserer Wegwerfgesellschaft zu früh im Müll landen, obwohl sie dafür noch gar nicht reif sind. Wieder spielt hier der Gedanke mit, die Dinge ins Einfache zu übersetzen, dadurch harte Bandagen zu verlieren und eine neue Barsituation zu schaffen.

Wabi Sabi schließt um Mitternacht

Auch die Zeit scheint anders zu ticken, denn schließen wird die Bar schon gegen Mitternacht. Bars, die bis in die Morgenstunden offen sind, gibt es in München zur Genüge, doch nur wenige Gäste gehen auf den früheren Aperitif, auf den guten Drink am Nachmittag, der einen wieder auf Null zurücksetzt und alles auf Pause stellen kann.
Ende April geht es schon los, pünktlich, wenn in München die Sonne höher geht und der Durst schon gegen Mittag am Gaumen juckt. Alles weitere ist Geschichte.

Credits

Foto: Armin Smailovic

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