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Zero Waste Bar

Zero Waste an der Bar: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Zero Waste ist eines der aktuellen Trendthemen der Barszene. Legt der Begriff die Latte aber nicht zu hoch?Eine Bar wird schließlich immer Müll produzieren. Vielleicht wäre es realitätsnäher, sich von der wortwörtlichen Übersetzung zu entfernen, wie unser Autor Martin Bieringer meint.
Folgendes Szenario: Es ist kurz nach Mitternacht in einem Nachtclub. Die Drinks sind stark und verwässert zugleich. Der nächste Song scheint gut zu sein, denn die Mitarbeiter werfen Papierservietten und Strohhalme über die feiernde Menge.
Zeitgleich presst ein Bartender, in der Bar nebenan, eine halbe Zitrone in den Shaker vor ihm. Noch vor der Schicht hat er ihr die Haut abgezogen und einen Cordial angesetzt. In Zukunft will er wenig bis gar keinen Müll mehr produzieren.

Zero Waste an der Bar: Geht das?

Das ist der Zero Waste-Gedanke. Die Idee dahinter ist eigentlich schon fast romantisch. Bartender denken an unsere Welt und werden kreativ, damit der Himmel so blau bleibt wie man ihn kennt; obwohl sie ihn selbst häufig nur schwarz sehen.
Seit einiger Zeit gibt es immer mehr selbsternannte Weltenretter. Sowohl große Firmen als auch kleine Bartender zählen sich dazu und werden zusammen aktiv. Irgendwie schmeichelhaft für unsere Szene, in der jeden Tag Tonnen an Essensresten weggeworfen werden, Strohhalme unbenutzt wieder aus dem Glas wandern und auf dem Boden landen. Vieles an diesem Urzustand verschulden natürlich nicht die Gastronomen selbst, sondern auch die Gäste, die sie bewirtschaften.
Aber die Dinge sind manchmal leider so, wie sie sind, und man kann nur versuchen, damit umzugehen. Tatsächlich scheint das jetzt zu passieren. Das Problem wurde erkannt, es geht der verschwenderischen Wegwerfgesellschaft an den Kragen. Die momentane Lösung lautet: Zero Waste. Kein Abfall, was es auch kosten mag. Mehr Arbeitszeit, einen Keller voll mit selbstangesetztem Essig und ein Kühlschrank so voll mit Cordials, dass kein Platz mehr für die Filler bleibt.
Bisweilen bedeutet Zero Waste oft, Zutaten mehrfach zu verwenden. Die Reste im Auffangkorb der Saftpresse haben eigentlich immer noch genug Geschmack für eine weitere Verwendungsmöglichkeit, selbst die ausgepressten, abgezesteten Hüllen der Zitrusfrüchte können noch was.

Richtig gemachtes Zero Waste hilft Geldsparen

Wenn man ein wenig kreativ wird, hilft das sogar, viel Geld zu sparen. Ein selbstproduzierter Essig kann gekaufte Säurequellen ersetzen. Sogar eigens angesetzte Liköre und Sirups sind drin, doch am Ende geht es hier um Bio-Abfall. Richtig getrennt ist das die ungefährlichste Gattung von Müll.
Eine viel bösartigere Spezies sind Plastikprodukte, die mit viel Energieverbrauch hergestellt und umweltschädlich wieder vernichtet werden. Hinzu kommen Arbeitsmaterialien, Raumdekoration und einfach alles andere, was für eine bestimmte Zeit gekauft wird. Die Rede ist hier von Dingen, die nicht mehr für die Ewigkeit hergestellt werden, sondern nach wenigen Jahren oder sogar Monaten wieder ersetzt werden müssen, weil sie in sich zusammenfallen.
Fabian Essigkrug, ein Münchner Industriedesign-Student und Teilzeit-Bartender im Barroom München, liebt nicht nur seinen Nebenjob, sondern auch die Umwelt. Mit einer Daniel Düsentrieb-Manier holt er defekte Messer und Flaschenöffner aus dem Müll und verarztet sie so, dass sie immer wieder neu repariert und ewig verwendet werden können. Weitere Projekte sind am Laufen. Eines seiner Babys ist die „Mint Growing Box“ für Bars, die ihre eigene Minze anbauen wollen. Ohne Plastikverpackung, ohne Lieferwege. Verdammt gute Idee.

Zero Waste: Tu Gutes und rede darüber?

Zero Waste an der Bar ist also anregend für die Kreativität und bietet dem Gast sogar Neues an Technik und Geschmack. Doch so fantastisch das Konzept im Moment klingt, die Umsetzung leidet noch etwas unter dieser Fantastik. Das Rezept zum neuformulierten Lebensstil „Zero Waste“ müsste noch ein wenig abgeändert werden. Die bisherige Interpretation hat einfach diesen leicht ungenießbaren Nachgeschmack von „Marketing“. Es schmeckt nach „Tu Gutes und rede darüber“.
Es bräuchte noch ein paar Tropfen Beständigkeit, einen Dash Gemeinsamkeit und viele Centiliter Realität. Und vor allem ein bisschen – gelinde gesagt – Expertise: Das Bemühen um Abfallvermeidung wird ziemlich schräg, wenn die Qualität des angebotenen Produktes irgendwann darunter leidet, und sie wird skurril, wenn Bartender mit ihren Zero Waste-Gehversuchen zeigen, dass sie unbedacht und ohne Kenntnis der Materie handeln. Die Maccharoni, die plötzlich als „nachhaltiger“ Trinkhalmersatz herhalten soll, dabei aber nach zehn Minuten halbschlaff und ihre Stärke in den Drink absondernd im Glas hängt, kann höchstens als ein Gimmick gelten – nicht aber als fortschrittliche Idee.

Zero Waste zwischen Industrie und Bar

Bricht die Unterstützung der großen Firmen ab, die das Thema aufgrund seiner Popularität derzeit in die Themenpläne ihrer Programme und Competitions drücken, könnte alles schnell wieder zurück in die alte Situation rutschen, in der es nicht hip war, den Baralltag umweltschonend auszulegen. Gemeinsamkeit ist das Zauberwort, denn eine Handvoll Vorreiter reichen noch nicht aus.
Vielleicht schaffen wir es irgendwann, gemeinsam keinen einzigen Plastikstrohhalm mehr zu verwenden. Nie wieder. Nicht tagsüber im Latte Macchiato, nicht im Mint Julep und nicht im Vodka-Energy im Nachtclub. Der Weg dahin dauert noch etwas und der Trend, der als Hürde zu überwinden ist, um dauerhaft mitdenkende Gastronomen zur Welt zu bringen, liegt noch vor uns. Die Vorreiter sind jedoch da und ihr Wille ist stark, denn einen Anfang zu machen ist immer schwer.
Realitätsnaher wäre es, sich von der wortwörtlichen Übersetzung, keinen Müll zu produzieren, zu entfernen. Müll bleibt, selbst wenn man ihn reduziert. Man sollte noch viel weitergehen und sehen, wie man nicht nur dauerhaft Müll sparen könnte, sondern was sonst noch für die Umwelt getan werden könnte. Denn wir produzieren nicht nur Unmengen an Abfall, sondern verbrauchen auch viel Strom und Wasser.

Zero Waste von Neuerung zu Normalität

Jeder Laden sollte für sich selbst den richtigen Weg finden und diesen dann nicht vorwiegend nach außen kommunizieren, sondern ihn gehen, einfach weil es normal ist, es zu tun. Irgendwann können wir uns dann bei uns selbst bedanken und dabei abgefahrene neue Drinks genießen, die Füße nach oben gelegt, stolz darauf, nur mal kurz nebenher die Welt gerettet zu haben.

Credits

Foto: Foto via Shutterstock

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