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Pump up the Nitro: Stickstoff & Bier

Bei “Nitro-Direkteinspeisung” denken die meisten an grelle Knöpfe in schnellen Boliden. Doch auch im Bierbereich fällt der Begriff Stickstoff zunehmend häufiger. Was genau bringt ausgerechnet erfolgreiche Craft-Brauer dazu, vermehrt mit Nitrogenium zu experimentieren? MIXOLOGY ONLINE ist der Frage nach gegangen.

Zwischen der Nitro-Einspeisung in Ottomotoren und der in Getränken gibt es natürlich einen eklatanten Unterschied: Bei der einen handelt es sich um Distickstoffmonoxid, auch Lachgas genannt, welches bei Einspeisung in den Motor zu einer kurzfristigen Erhöhung des Drehmoments führt, während es sich im zweiten Falle um Stickstoffgas (N2 in einer Mischung mit CO2) handelt, welches auch nach der Einspeisung in die Zapfanlage nur über den Alkohol im Bier zu einer Erhöhung des Drehmoments beim Menschen führen kann.

Der Kleeblatt-Effekt

Nitro ist auch keine Erfindung der Craft-Brauer. Jeder, der schon einmal in einem typischen Irish Pub war (oder zumindest dem, was hierzulande so als Irish Pub durchgeht) kennt die Wirkung von Stickstoff im Bier: Man bestelle den üblichen Verdächtigen (für gewöhnlich ein Stout, das mit einem “G” beginnt und mit einem “uiness” endet) und erfreue sich an der eigenwilligen Perlage im Pintglas, die abwärts statt aufwärts zu streben scheint – und natürlich an dem unvergleichlich cremigen, stabilen Schaum, oftmals kunstvoll verziert mit dem Motiv des vierblättrigen Kleeblatts. Zum Wohl, oder besser: Slainte!

Zapf-Mischmasch

Vielen Besuchern irischer Pubs ist dabei jedoch nicht bewusst, dass dieser Schaum keineswegs eine Guiness-Eigenart ist, sondern einzig und allein mit der Zapftechnik zu tun hat – oder eben dem Gasgemisch, welches beim Zapfen verwendet wird. Dabei kommen unterschiedliche Methoden zum Einsatz. Im Vereinigten Königreich und in Irland ist auch das Zapfen mit reinem Stickstoff zulässig, meist kommt aber wie in Deutschland ein Gemisch von 25-30% Kohlenstoffdioxid zu 70-75% Stickstoff zum Einsatz. Die Einspeisung geschieht je nach Bar und Zapfsystem direkt in einer Mischanlage, nachdem das Bier das Fass verlassen hat, oder erst später. Stickstoff kann sowohl als Druckmittel im Zapfsystem fungieren als auch dem Bier zugesetzt werden.

Weichmacher fürs Bier

Dem resultierenden Bier fehlt es oft an der aggressiven, aber auch erfrischenden Kohlensäure, das Mundgefühl ist weicher und voller, die geschmacklichen Noten werden als abgerundet, aber auch etwas abgeschwächt empfunden. Die Dominanz heller Lagerbiere schlägt sich also auch in den Zapfsystemen nieder. Die Mehrheit weltweit arbeitet klassisch auf Kohlensäurebasis, da helle und hopfenbetonte Biere durch Stickstoffbeigabe an Profil verlieren, während die zusätzliche Abrundung malzig-röstigen Bieren zum Positiven gereichen kann.

Englische Anfänge

Ihren Ursprung hat die Nitro-Zapferei in den englischen Cask Ales. Diese wurden gezapft, indem Luft per Hand in die im Keller stehenden Fässer gepumpt wurde. Diese Handpumpen brachten um die 2 Bar auf die Waage, was bei Schankmaiden und -knaben oftmals für eine ausgeprägte Oberarmmuskulatur sorgte. Luft besteht bereits zu ca. 78% aus Stickstoff, 21% aus Sauerstoff und nur zu 0,04% aus Kohlenstoffdioxid. Das Pumpen dieses Gemischs in die Fässer brachte daher einiges an Nachteilen mit sich, namentlich eine schnelle Oxidation und ein sehr schwach karbonisiertes Bier. Dies macht es in Pubs mit Handpumpsystemen umso wichtiger, ein Bier mit hohem Durchsatz zu bestellen, um ein möglichst frisches Produkt zu bekommen. Schon nach einem Tag kann es durch Oxidation zu deutlichen Qualitätseinbußen kommen. Das Pumpen mit ca. 75% Stickstoff simuliert eben diese Verhältnisse originaler Handpumpen, nur wird hier CO2 anstelle von Sauerstoff verwendet, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: kein Sauerstoffeinfluss und kein schales Bier.

Nitro für Dose und Flasche

Will aber eine Brauerei ihr Dosen-Milk Stout noch weicher, ihr Flaschen-Baltic Porter noch runder haben, so kann man das nicht einfach über die Abfüllanlage lösen. Stickstoff geht in Flüssigkeiten nur sehr schwer in Lösung. Das Flaschenbier zu “nitrogenisieren” ist möglich, unter hohem Druck bei Gefriertemperatur. Den meisten Brauereien fehlt jedoch die Ausrüstung hierfür.

Im Falle der Dose behilft man sich mit sogenannten Widgets, die mancher nach dem Genuss eines “Guiness Draught” aus der Dose schon mit dem unliebsamen Namen “Klostein” beschrieben hat. Dabei handelt es sich um eine Plastikkapsel in einer Dose mit flüssigem Stickstoff. Dieser wird bei Erwärmung gasförmig, erhöht den Innendruck der Dose, und so wird etwas Bier in die Kapsel gezwungen. Durch das Öffnen entweicht der Druck, die kleine Biermenge strömt durch die winzige Öffnung der Kapsel und erschafft eine Art Geysir, der das CO2 aus der Flüssigkeit drückt und so die vielen kleinen Bläschen und den cremigen Schaum erzeugt. Beim Zapfen geschieht das übrigens über eine Metallscheibe in der Zapfanlage, in welcher sich kleine Löcher befinden.

Nitro nicht nur der nächste Trend?

Für manche ist die Hinwendung zu Nitro bei Craft-Brauern nur die nächste Spielerei, der nächste Hype, den sich eine Szene aussucht, in der Stillstand den Tod bedeuten kann. Doch im Gegensatz zu Heliumbier und Sauerbier aus vaginalen Laktobazillus-Kulturen ist dies kein Aprilscherz bzw. Zeichen von verzweifeltem Geltungsdrang. Stickstoff im Bier spielt seit langem eine Rolle und gehört zur Bierkultur. Warum sollte es nur jenem irischen Bestseller, der inzwischen nicht mehr mit getrockneten Fischblasen gefiltert wird, vergönnt sein, sich Glücksbringer in den Schaum zu stanzen?

Bekannte Biere, die auch mit Stickstoff gezapft oder abgefüllt werden (bezeichnenderweise ausschließlich dunkle Biere), sind zum Beispiel das North Coast Old Rasputin Imperial Stout, das Left Hand Milk StoutFounders Grand Rapids Stout, Saint Archer Coffee Cream Porter, Guiness Draught, Beamish Irish Stout, Murphy’s Irish Stout, Dieu du Ciel Péché Mortel, Victory Storm King, Russian River OVL Stout oder Ballast Point Irish Breakfast.

Credits

Foto: Bier via Shutterstock.

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