Zürich brummt weiter: Die Nonchalant Bar und ihr Konzept des „Nonchikase“
Die No Idea Bar, das Late Bloomers, La Catedral oder die Tiki Bar Waiana zählen zu den jüngsten Neueröffnungen in der Limmatstadt. In Aussersihl, das wie Vesterbro in Kopenhagen, das Pariser Le Marais oder Shoreditch in London zu den lebendigen Stadtquartieren und Ausgehvierteln zählt, erweitert nun die Nonchalant Bar die Zürcher Bar-Expansion. Für heimische Barakteure und Nachtschwärmer mag das an dieser Stelle keine Neuigkeit sein. Vor allem weil laut Barchef Anthony Kunz sowieso die meisten der Kolleg:innen schon zu Besuch gewesen sind. Alle jene, die aber nicht in der Nähe oder gerade in der Schweiz sind, sollten wissen: Kommet, Nonchalance lohnt.
Ein wahrgewordener Traum
Die Nonchalant Bar befindet sich im Umkreis der äußerst lebhaften Langstrasse mit Kneipen, Tanzlokalen, teils einschlägig wirkenden Etablissements und Restaurants wie auch konzeptionell attraktiven Bars und Nachbarschaftsbars in den verzweigten Seitenstrassen. Die auch erst vor rund zwei Jahren eröffnete Bar Lupo liegt nur wenige Gehminuten von der Bar entfernt, und die in Fachkreisen beliebte Gamper Weinbar befindet sich gleich um die Ecke.
Für Anthony Kunz ist mit der Realisierung dieser Bar eine Vision zur Wirklichkeit geworden. „Schon bei meiner ersten richtigen Barschicht war mir sofort klar, dass ich irgendwann selbst eine Bar leiten möchte. Ich habe mich in der ersten Sekunde in das Handwerk des Bartendertums verliebt“, erinnert der gelernte Maler und Lackierer sein erstmaliges Wirken in der Red Rock Sportsbar seines Vaters im deutschen Miltenberg. Das war 2015. Keine zehn Jahre später wirkt der zuvor langjährige Bartender der Kronenhalle Bar als Geschäftsführer mit Beteiligung, Barchef oder „Maskottchen“ in seiner eigenen Bar, deren Name auf die Beschreibung eines Kronenhalle-Stammgastes von Anthony Kunz zurückgeht.
Spezielle Dry Martinis
Innerhalb von zehn Tagen haben Kunz und seine Lebenspartnerin Fiona Aschwanden das Lokal, in der zuvor die Canapé Bar beheimatet war, komplett renoviert. Die Decken, Wände, Böden, Tische und Stühle wurden neu gestrichen oder lackiert. Ein Kühlschrank, Tiefkühler, eine Eis- und Geschirrspülmaschine angeschafft und eigenhändig montiert. „Es war ein großer Aufwand, der sich aber gelohnt hat“, sagt der Hobby-Kampfsportler. Nur ein Zigaretten- und Kondomautomat auf den Toiletten sind unwiederbringliche, nicht abnehmbare Relikte aus längst vergangenen Tagen der berüchtigten Kontaktbar Hirschen, die bis 2021 mehr als 30 Jahre lang dort ansässig gewesen ist.
Jetzt ist es das Pflanzengrün, das den Gastraum der Nonchalant Bar dekoriert. Den von der Canapé Bar übernommenen Tresen will Kunz noch erneuern und eine Innenwand zieren oder die Außenfassade streichen, „wenn es einmal drei Tage nicht regnen sollte“. Einen festen Platz am Tresen hat ein beheizbarer Magnetrührer ergattert, den Kunz nicht mehr missen will: „Wir benutzen ihn für Dry Martinis, die mit großen Clear Ice Blocks gleichmäßig und lange gerührt werden können. Die besten Dry Martinis, die ich je gemacht und getrunken habe, sind immer mit dem Magnetrührer und großen Eiswürfeln entstanden.“
Mit Nonchikase für den Gast
Anthony Kunz hat sein Fachwissen rund um Handwerk und das Gastgeben in der Kronenhalle Bar erlernt. Mit diesem Background der klassischen American Bar will er in der Nonchalant Bar verstärkt auf die kreative Twist-Schiene setzen. „Alles, was ich in der Kronenhalle gelernt habe, würde ich gerne in modernster Weise ausbauen. Ich bin als Quereinsteiger hineingerutscht und Christian Heiss sehr dankbar für diese Chance. Ich habe sogar die Ausbildung zum Spirituosen-Sommelier mit Auszeichnung und Bestnote bestanden“, sagt der passionierte Gastgeber.
Mit Jan Leuzinger und Fiona Aschwanden steht Kunz ein Barteam in Kreation, Zubereitung, Service und Kollegialität zur Seite, das dem barintern bezeichneten Prinzip der „Nonchikase“ folgt. „Nonchi als typisch schweizerisch verniedlichte Kurzform von nonchalant und Omakase ergibt sozusagen Nonchikase – unser Anspruch und unsere Bezeichnung für die Form des Konsums“, erklärt der Fan japanischer Kultur im Allgemeinen wie auch japanischer Filmkunst mit Anime-Figuren, die zwischen den vielen Bar-Büchern auf den Sockeln der hölzernen Wandpaneelen sowie von der Backbar lugen.
Für die Sirup-Herstellung oder die Agar-Klarifikation befindet sich noch ein weiterer Magnetrührer in dem Office-Lab hinter dem Gastraum. Dort produzieren Kunz und Leuzinger Infusionen, Tinkturen oder Espumas, die das erste von vier Kapiteln der aktuellen Barkarte und einen Anreiz für darauf aufbauende Drinks à la minute bilden. „Natürlich versuchen wir klug und nachhaltig zu arbeiten. Wenn wir zu viele Orangen haben, stellen wir daraus Sirup her, arbeiten im Sommer mit saisonalen Früchten wie Rhabarber, Feigen und Melonen und frieren Übrigbleibendes ein“, meint Jan Leuzinger, der nach der Cinchona Bar im 25hours Hotel nun den nonchalanten Weg für sich entschieden hat.
Vom Vieri fürs Vieri
Auf der aktuellen Karte entdeckt man im Omakase-Kapitel die vier hausgemachten Getränke Mandarine-Salbei-Sirup, Maroni-Apfel-Sellerie-Shrub, Erdnussbutter-Miso-Kokosnuss-Tinktur und Aronia-Rosmarin-Espuma. „Der Gast kann sich die Geschmacksrichtung, die Drink-Gattung oder die Spirituose aussuchen, und wir bauen einen individuellen Drink, der im besten Fall noch vom Gast benannt und in unseren Barbüchern notiert wird, wenn er dem Gast gefällt. Ein paar Drinks sind schon entstanden“, erzählt der Zürcher.
Diesem Omakase-Kapitel folgen vier ausgewählte Signatures, derzeit auf Gin-, Mezcal- Pisco- und auf Aquavit-Basis wie etwa der Beerus Cocktail mit Bier-Sauerkirsch-Sirup und Limettensaft. Im Anschluss präsentiert die aktuelle Karte vier Cocktails von Zürcher Gast-Bartender:innen und Freunden: La Dame Blanche von Sarah Madritsch aus dem Igniv, Banana Binks Sake von Telmo Pacheco aus der No Idea Bar, Salé Star von Rodrigo Zimmermann aus der Spitz Bar und Jinbei von Marco Colelli aus der Bar Lupo. Als Alternative zu alkoholfreien Cocktails bietet das Team vier hausgemachte Kombuchas wie Ananas-Thai Curry, Lemongras-Pandan-Ingwer, Kirsch-Estragon oder Matcha-Birne im vierten und abschließenden Teil an.
Was die vier Kapitel eint, ist das Leitmotiv „Vom Vieri fürs Vieri“, das die Verbundenheit zum Quartier ausdrücken will. „Jedes Kapitel beinhaltet vier Drinks oder vier Zutaten, zu denen uns der Kreis Vier inspiriert hat. Ein jeweils treffendes Bild aus Kreis Vier zu unseren Signatures untermauert dies“, so Kunz, der auf ein wenig und stets wechselndes Weinangebot setzt, weil die Weinkompetenz um die Ecke in der befreundeten Gamper Bar liegt. Wein oder Kaffee für Cold Brew bezieht Kunz aus der direkten Nachbarschaft. Die vegane Speisekarte besteht aus Dim Sum, Pickled Veggies oder Smash Potatoes mit Chili Chips, die der Koch des Partner-Betriebs Légère Bar und Restaurant für die Nonchalant Bar zubereitet. Er bringt auch eigens zubereitete Spice-Blends wie die Shichimi-Togarashi-Gewürzmischung, die Kunz für den Paloma Cocktail bereithält.
Dem Gast den Wunsch lassen
Selbstredend will gerade die Nonchalant Bar keinem Gast etwas aufzwingen. Die Backbar beinhaltet sämtliche Getränke- und Spirituosenkategorien, allerdings mit einem klaren Fokus auf lokale Produzenten und Importeure sowie Schweizer Fruchtbrände und Nischenprodukte mit variablen Geschmacksprofilen.
An klassischen Drinks also ist fast alles machbar, sei es ein Whisky Sour, Swimming Pool oder auch Sex on the beach. „Fast alles, denn für einen Painkiller zum Beispiel müsste ich Tonka-Bohne verwenden, weil wir keine Muskatnuss haben. Generell finde ich Bars, die gewisse Drinks nicht machen, nervig. Ich möchte allen Gästewünschen nachkommen. Wenn der Gast danach seine Komfortzone verlassen und ein paar Schritte weitergehen will, dann ist es unsere Chance“.
Eine Chance, den Gast auf eine hausgemachte Aroma- und Geschmacksreise mitzunehmen. Und das ganz nonchalant.
Credits
Foto: Double Honey Media