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Nous sommes Charlie – auch an der Bar

Aus aktuellen Gründen pausiert unsere Rubrik FÜNF! an diesem Wochenende: Mitte der Woche hat sich mit dem Anschlag auf die Zeitschrift “Charlie Hebdo” eine Tragödie zugetragen.

Was zunächst “nur” wie ein weiterer Anschlag wirkt, entwickelt bei näherer Betrachtung eine besondere Qualität. Weltweit wehrt sich die Presse gegen einen Angriff auf ihre Souveränität. Fühlen auch wir uns attackiert? Ja. Denn auch wir sind Charlie. Nicht nur auf eine Weise.

Gewalt an sich ist immer zu verteufeln. Sie ist ein Instrument derer, die in einem realen oder herbeigeredeten Konflikt über zu wenig Inhalte verfügen. Aber Gewalt, die sich aus ideologischen Gründen gegen Schuldlose richtet, ist mit das Abscheulichste, was sich ein moderner Geist erdenken kann.

An der Bar hingegen spielen politische und religiöse Themen eher selten eine Rolle. “No politics, no religion” ist ein beliebtes Motto der Tresenwelt, denn diese Gebiete bereiten Ansatz für Streit, der wiederum an der Bar vermieden werden soll.

Heute müssen wir allerdings darüber sprechen, denn Genuss und Toleranz wachsen nicht nur auf dem Boden der Freiheit, sondern auch auf dem der Ehrlichkeit. Es geht uns zwar nicht um Religion, sondern um den Schutz eines Heiligtums.

Intoleranz und Feigheit

Das grausige, feige Attentat, das sich Mitte dieser Woche in der Redaktion der Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo ereignet hat, ist leider bei Weitem nicht der erste Übergriff, der sich gegen Journalisten und die von ihnen kommunizierten Inhalte und Standpunkte richtet.

Aber es ist in seiner Kompromisslosigkeit und Brutalität ein Fanal, das uns umso mehr zeigt, dass auch jene, die an vorderster Front und im Sinne der Menschenrechte für freiheitliche Gedanken aktiv sind, sich bedroht fühlen müssen durch Intoleranz und, in diesem Falle, pseudoreligiöse Raserei.

Die Welle der Solidarität, die sich seither zeigt, ist mehr als berührend. Sie demonstriert auf eindrucksvolle Weise, dass – ungeachtet aller nationalistischen oder reaktionären Querelen – ein Großteil der Welt den Sinn der Pressefreiheit verstanden hat und den Wert dieses über Jahrhunderte erkämpften Guts richtig einschätzt.

Auch aus der arabischen bzw. islamischen Sphäre stehen jene Stimmen in der Mehrheit, die das religiös lackierte Morden als Verbrechen verurteilen.

Die Presse ist angegriffen worden, und mit ihr die Freiheit

Bemerkenswert ist jedoch vor allem die Natur der Presseantworten. Anders als üblich, zeigt auch der professionelle Journalismus emotionale Reaktionen, solidarisiert sich und artikuliert selbstbewusst, dass derartige Attacken nicht an diesem integralen Grundpfeiler westlicher Ordnung rütteln werden.

Denn der Journalismus macht sich in seiner Definition, trotz seiner teils wertenden Funktion, mit keiner Sache gemein.

Dass die Presse weltweit Anteilnahme und Mitgefühl äußert, weist auf die besondere negative Strahlkraft jener Gräueltat hin: richten sich terroristische Angriffe ab sofort nicht mehr nur gegen  diejenigen, die vermeintlich falsche Ideologien praktizieren, sondern gegen jene, die zu diesen Konflikten Stellung beziehen und darüber informieren?
Auch die Satire ist eine vollwertige publizistische Disziplin. Freier Journalismus – und mit ihm freie Meinungsäußerung – ist die Achillessehne unserer Gesellschaftsordnung. Diese Sehne ist angegriffen worden.

Eine Attacke: auch gegen uns und die Bar

Man mag einwenden, dass die Geschehnisse sowohl die Bar-Community als auch uns als Magazin nicht unmittelbar betreffen. Die Barkultur mag gesehen werden als hedonistischer Hort des Eskapismus vor den unerträglichen Schandtaten der realen Welt.

Und die einschlägige Fachpresse bietet zwar Standpunkte, ist doch aber aufgrund ihrer inhaltlichen Ausrichtung nicht derselben Form von Berichterstattung zuzurechnen wie der klassische politische Journalismus. Wie gesagt: man mag so etwas einwenden. Aber mit beiden Vorwürfen liegt man falsch.

Auch wir bei MIXOLOGY solidarisieren uns mit den Opfern jener feigen Attacke. Denn obwohl unser tägliches inhaltliches Brot nicht bei bewaffneten Konflikten, Finanzkrisen und politischer Analyse liegt, tun wir das, was Journalisten auszeichnet: Informationen eines Fachbereiches sammeln, auswerten, analysieren und aufbereiten.

Auch wir beziehen unabhängig, kritisch, skeptisch und manchmal spitzfindig Position zu den Entwicklungen der Branche. Auch wir treten Leuten auf die Füße. Wir führen Diskurse und tragen zur Außenwahrnehmung einer Szene bei, die mit vielen Vorurteilen zu kämpfen hat.

Und wir schreiben über Alkohol. Über eine Droge, die von vielen Menschen abgelehnt wird und in einem nicht unmaßgeblichen Teil der Welt verpönt oder gar verboten ist.

Auch wir machen uns angreifbar, indem wir uns für den korrekten Umgang mit einer Sache stark machen, die von anderen generell und unreflektiert verschrien und kriminalisiert wird. Wir sehen uns als Teil der journalistischen Kultur und sind bestürzt und erschüttert.

Der Tresen als Hort der freien Gedanken

Doch wir sind nicht nur erschüttert als Journalisten, sondern gleichwohl als teilweise ehemalige oder noch aktive Bartender.
Denn viele Laster kann man den Bars und Bartendern dieser Welt vorwerfen, aber eines nicht: Intoleranz. Die Bar steht, mehr noch als jeder andere Zweig des Gastgewerbes, für humane Werte wie Offenheit, Gastlichkeit und Unvoreingenommenheit, für Kosmopolitanismus, Internationalität und Toleranz.

An den Tresen dieser Erde arbeiten Juden, Christen, Muslime, Hindus und Atheisten Hand in Hand, arbeiten Menschen aller Ethnien und sexueller Orientierungen Seite an Seite und bedienen Gäste aus unzähligen Ecken der Welt mit derselben Achtung, derselben Sicht – ganz gleich, wie dieser Gast aussieht oder welche Werte er vertritt, solange er nur die Freiheit des Individuums akzeptiert.

Eine Bar steht für eine offene Tür für Jedermann. Sie steht für Gewaltlosigkeit, für eine Freiheit der Kommunikation, des Geistes und der sinnlichen Freuden. Deshalb sind wir auch als Bartender verstört, irritiert und schockiert.

Auch wir sind Charlie!

Man könnte hoffen, dass derartige Ereignisse sich nicht wiederholen. Aber das wäre – bei aller Drastik dieser Aussicht – wohl eine naive Erwartung.

Attacken auf die Freiheit wird es immer geben, ganz gleich unter welchem Deckmantel. Wir sind nicht so vermessen, zu behaupten, die aktuellen Taten analysieren und erschöpfend darstellen zu können. Das können Andere besser als wir.

Wir teilen die Trauer und den Schmerz der Hinterbliebenen. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer. Und bei all jenen, die sich aufgrund ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit in diesen Tagen verstärkten Ressentiments ausgesetzt sehen, denn auch auf der vermeintlich “richtigen” Seite regieren erschreckend oft Blindheit, Hass und Dummheit, zu häufig werden Stereotypen vor den Menschen an sich geschaltet.

Wir solidarisieren uns nicht nur mit Charlie Hebdo, sondern mit der Freiheit an sich. Wir unterstützen den Ruf nach Verteidigung der Pressefreiheit. Auch wir sind Charlie. Sogar an der Bar.

Credits

Foto: Eiffelturm im Regen via Shutterstock

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