O‘zapft is, aber in Graz: Die Bar „O“ und ihre 17 Cocktails on tap
Von der ehemaligen Bierkneipe am Mariahilferplatz ist nicht viel geblieben, seit Churchill-Mastermind Oltion Mehmetaj zum Pinsel gegriffen hat. Gezapft wird dennoch: Cocktails on tap (17 Stück!) sind das Markenzeichen der neuen, schlicht „O“ genannten Grazer Bar. Roland Graf war für MIXOLOGY Online vor Ort.
Das graublaue Gewölbe reckt sich weit hinauf, der Raum darunter wirkt offen und strahlt Kaffeehaus-Atmosphäre aus. „Noch ist nicht alles fertig“, sagt Oltion „Olti“ Mehmetaj. Er sagt es nicht entschuldigend, denn die schnelle Umgestaltung erfolgte weitgehend in Eigenregie. Der unkonventionelle Farbton etwa sei ihm fast passiert, nun aber sind alle glücklich damit. Auch das unkonventionelle Design des Damen-WCs (nur so viel: Freundinnen werden es lieben!) entstand aus Lieferschwierigkeiten einer Baufirma. Die fröhlich bunte Tapezierung der Sitzbänke wiederum verdankt sich einer Nachbarin, die ein eingesessenes Dekorateur-Geschäft nahe dem Mariahilferplatz führt. Auch viel Holz von der alten Tresen-Verkleidung kam raus, doch ein zentrales Element verblieb im ehemaligen Pub „Baltimore“: Die Thonet-Stühle, nach denen sich in Österreich jeder Cafetier die Finger leckt.
Aufbruch im Grazer Lend geht weiter
Sie sind ein Erbe von Wolfgang Trummer, der über 25 Jahre ein im „Lend“ war, wie das ehemalige Rotlichtviertel genannt wird. Mittlerweile findet sich eingezwickt zwischen Kunsthaus und Mur so manches Grazer Kleinod, etwa das Restaurant Caylend. Das sorgt für eine gemischte Klientel am Mariahilferplatz, die Mehmetaj auch bewusst ansprechen will: „Vom Hipster über Bauernmarkt-Besucher bis zum Innenstadt-Publikum.“ Ebenfalls übernommen hat der Grazer zum Glück die bisherige Seele des Lokals. Sie kennt die alten Stammgäste, kann aber auch mit der neuen Klientel gut. Karin ist tagsüber der Fels in der Brandung und gut 50% des Miniteams, das die O unter der Woche betreibt. „Am Wochenende hilft die ganze Familie“, denn auch die nächste Generation Mehmetaj kann mixen.
Gattin und Sohn unterstützen zu Spitzenzeiten und auch Oltion selbst ist öfter hier anzutreffen als in der Heinrichgasse. „In der Churchill bin ich mehr im Hintergrund tätig“, lernte er in den letzten Monaten auch das Loslassen. Sein ehemaliger Kompagnon am Tresen, Flamur Bajgora, hat sich mit einer Weinbar in Graz ebenfalls selbständig gemacht. „Hier machen wir alles anders als in der Churchill“, galt aber ohnehin als Devise an der neuen Adresse.
25 Leitungen für ein kleines Bar-Team
Das ist auch unübersehbar, wenn man einen Blick hinter die Bar wirft. 25 Zapfhähne, darunter allein 17 Leitungen für Cocktails, sind das technische Herzstück. Die anderen acht bespielen im Tagesgeschäft die gezapften Eistees (Grüntee mit Ingwer oder Earl Grey) und ein schulmäßiger Cold Brew, dessen Basis von der Kaffeerösterei Musetti stammt. Ihrem Vertreter verdankt sich auch ein Highlight, das steirische „Zuckergoscherln“ zu schätzen wissen: Mehlspeisen von Dominik Fitz aus Feldbach gibt es exklusiv in der Kuchenvitrine. „Ich war ja 20 Jahre nicht mehr im Tagesgeschäft“, genießt Mehmetaj die neue Aufgabe, denn die Anwohner haben das gepflegte Angebot schnell entdeckt. Zumal auch der Gastgarten eine gemütliche Ecke darstellt und hier auch kein Mittagstisch angeboten wird. Dafür aber umso elaborierte Getränke. „Wir rütteln am schlechten Ruf von gezapften Cocktails, denn bei uns gibt es kein Industrie-Gemisch.“
Das Herzstück der O ist nämlich die versteckte Prep-Kitchen in den Kellerräumen. Hier werden tagesaktuell und „selbstverständlich mit frischen Zitrussäften“ die neun Liter fassenden Kegs befüllt. Allerdings nur mit acht Litern Flüssigkeit, „denn die Kohlensäure soll sich gut verteilen können“. Je nach Serviergröße stehen damit bis zu 40 Drinks frisch und gekühlt aus der Leitung bereit.
Oltis Spezialdisziplinen gibt’s obenauf
Als Bestseller haben sich die Tap-Version des „Pornstar Martinis“ (11 Euro) neben der Paloma mit eigener Grapefruit-Limonade erwiesen. Auch die „Geisha“ gehört zu den gern georderten Angeboten. „Highballs für junge Akademiker und die Kreativwirtschaft“ lautet die Beschreibung dessen, was im Zweiten Bezirk von Graz geboten wird. Da darf es auch mal blitzblau werden im Tumbler bei einem „Butterfly Pea Mai Tai“ (12 Euro) – das Eis aber sitzt makellos. Und auch hier ist man noch nicht am Ende der Ausbaupläne. Im Idealfall werden im Keller 30 Kilo-Blöcke Eis gefrostet, um auch da autark zu sein.
Wer die beiden Spezialdisziplinen aus der Churchill vermissen sollte, wird aber auch kräftige Drinks und Obstbrand-Twists auf dem Cocktail Menu der O finden. Den „Williams Sour“ gibt es für alle Fans dieser Kreation. Dass sich Tiki-Feeling auch mit Kirschbrand schaffen lässt, beweist hingegen „Mr. O“ (12 Euro), der neben Grasshopper und Sazerac auf der Karte steht. Für die versierte Barfliege reicht „Olti“ dann auch seine Version eines Jungle Bird – der nennt sich „Lost Lake“ und bringt neben dem „Aku Aku Lapu“ (15 Euro) alle Tiki-Lovers dem polynesischen Himmel ziemlich nahe. Von den Fruchtdestillaten wird es auch demnächst noch mehr geben. Nach der Destillateur-Schulung bei Franz Tinnauer steht auch Mehmetajs Abschluss des Edelbrand-Sommeliers an. Und für Herbst 2023 reift bereits ein Apfelbrand, der eine Österreich-Premiere darstellen wird, seiner Vollendung entgegen.
Die Lehre von der Drink-Stabilisierung
Die Highballs profitieren auch von der Expertise, die man in der Churchill – genauer gesagt in der Abfüllhalle vor den Toren von Graz – mit den Bottled Cocktails gesammelt hat. Seit 2021 wurde die Herstellung der „Drinks at Home“-Range übernommen, die von Kan Zuo (The Sign Lounge) im Lockdown ins Leben gerufen worden war. Der Safran-Likör findet sich somit heute in zwei Varianten in der O – einmal vom Zapfhahn kommend als Colada und einmal als Flasche „Safran Mule“ zum Mitnehmen.
Dieser Shop-Bereich samt Cocktailbuch-Sammlung wird noch ausgebaut. Die Regale dafür stehen schon. Aber die O hat auch gerade erst angefangen.
Credits
Foto: Sara Sera