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The Gibson London

Eine Ode an die Bar – und die Menschen, die sie betreiben

Bars werden in einen Topf geworfen mit Clubs und Diskotheken und bleiben weiterhin geschlossen. Ein Imageproblem, das auch von der Politik ausgeht. Eine persönliche Liebeserklärung an einen Ort, der uns allen fehlt – und an seine Macherinnnen und Macher.

Ich habe meine ersten Jahre in Berlin für ein Lifestyle-Magazin gearbeitet, das ich am Ende kurz geleitet habe. Ist eine Weile her. Da ich mich damals zunehmend in einem Elfenbeinturm gefühlt habe und eigentlich knallharte Bücher schreiben wollte, habe ich gekündigt.

Und stand dann da. In einer Stadt, in der ich eigentlich nicht so viele Menschen kannte. Ohne Ausbildung und Anspruch auf Unterstützung.

Es war die Gastronomie, die mir erlaubt hat, in der Stadt zu bleiben. Ich bekam über eine Freundin einen Job an der Bierzapfstation des White Trash Fast Food, zu jener Zeit ein soeben eröffnetes, dreistöckiges Exzessmonster. Eine volltätowierte Kombination aus Burger, Burlesque und Rockabilly. Statt PR-Shows hieß es Pitcher im Akkord mit Ale befüllen. War grandios.

Wer kein Mitläufer wird, wird Wirt

Die Gastronomie hat mich seither nicht mehr verlassen. Aus Pitcher wurden Punches. Mal habe ich im Laufe der Zeit mehr Bar gemacht, mal mehr geschrieben, oft beides zusammen. Vor allem aber habe ich seit dieser Zeit wunderbare Menschen kennengelernt, denen ich viel verdanke, wie ich die Welt heute sehe: umsichtig sein, andere Perspektiven einnehmen, höflich bleiben.

Natürlich findet sich auch in dieser Szene eine Mischung aus Gentle(wo)men und Größenwahnsinnigen wie in jeder Branche, aber selbst die Größenwahnsinnigen in der Barwelt sind in ihrem Größenwahn zuvorkommende Charaktere. Es ist der aufmerksamste Menschenschlag, den man sich vorstellen kann. Drehen sie manchmal ab? Klar. Werden manche vom Lebensstil verschlungen und zerkaut ausgespuckt? Definitiv. Aber im Kern ist diese heterogene Sippe eine der am offensten denkenden, die es gibt, ein Sammelsurium an Querdenkern und Individualisten, auf die nichts weniger zutreffen könnte als das lächerliche „Wer nichts wird, wird Wirt!“. In Wahrheit sagt dieses Sprichwort nämlich aus: „Wer kein Mitläufer ist, wird Wirt!“

Verstehen nur die wenigsten.

Old Fashioned für die Politik

Und die Politik hat davon nicht den geringsten Schimmer. Ich möchte hier auch kein Politiker-Bashing betreiben, ich habe im Laufe dieser Pandemie meine Meinung über das Virus bestimmt selbst bereits drei- oder viermal geändert. Ich gestehe auch Politikern – Menschen wie alle anderen auch – zu, in so einer Situation nicht Trick um Trick aus dem Hut zu zaubern wie MacGyver.

Aber die Politik weiß nichts über Bars, das ist augenscheinlich. Weil die Politik nicht in Bars geht. Vielleicht, weil Politiker – Menschen wie alle anderen auch – eigentlich nicht Menschen wie alle anderen sein dürfen. Da darf der Ellbogen nach dem vierten Drink nicht abrutschen, weil man den Abstand zum Tresen verschätzt hat. Vielleicht wollen sie es aber auch einfach nicht. Politiker in Berliner Hotelbars trinken Bier, gehen zu einer Abstimmung in den Bundesrat, und kommen wieder zurück. Um wieder ein Bier zu trinken. Das ist nicht erfunden.

Aber wenn ein Markus Söder (CSU) bei der Diskussion über Lockerungsregeln an Bars denkt, denkt er nicht an den Bartender seines Vertrauens, mit dem er über den richtigen Whiskey für einen Old Fashioned diskutiert. Er denkt nicht: „Ja, der Schorsch kriegt das hin mit dem Abstand!“ Und wenn die Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Die Grünen) nonchalant wie desaströs erklärt: „Überall, wo Alkohol fließt, rücken Menschen sich auf die Pelle“, hat sie vielleicht nicht Unrecht.

Sie hat aber auch keine Ahnung.

Eine ganze Szene im schiefen Licht

Im Angesicht einer Pandemie wird die Barszene nämlich hinweg-ge-ischgelt und ertränkt im angeblichen Kübelsaufen. Das Image bleibt verhaftet zwischen Schwarzarbeit, Partyvolk und Tummelplatz von unentschiedenen Studienabbrechern. Das ist in etwa so, als würde man Mario Barth mit Josef Hader vergleichen.

Wenn diese Politiker nur wüssten, was ich weiß! Dann würden sie sehen, dass sie mit Oliver Ebert über die alten Griechen philosophieren können, mit Andreas Schöler über elektronische Musik und Sembo Amirpour über Deutschrap, mit Susanne Baró Fernández über Finanzen, mit Susan Ann MacKenzie über Geist und Körper und mit Sven Goller über Politik. Und diese Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen. Keine Frage, dass ich nach zwei Naked & Famous unterschreiben würde, dass sich aus der Barszene locker ein Regierungskabinett zusammenstellen ließe. Nicht nur, weil diese Menschen Fachmänner und -frauen auf ihrem Gebiet sind – sondern vor allem, weil es empathische Personen sind, die nicht stets auf ihren eigenen Vorteil Bedacht sind.

Aber diese Menschen sind jetzt mit Clubs, Discotheken und gewaltigen Volksfesten sowie Après-Ski-Saufgelagen in einen Topf geworfen worden, weil dort, wie es der Berliner Bürgermeister Michael Müller formuliert, „zu Beginn der Pandemie die Krisenherde“ gewesen seien. Ja, klar, wer jemals einen Fuß ins Berghain gesetzt hat, zweifelt nicht daran. Aber Darkroom und Dark Rum, das sind zwei verschiedene Sachen.

Kreativität für alternative Konzepte

Ich spreche hier auch nicht von Clubs und ihrem eigenen Dilemma. Ich spreche von Cocktailbars, wie wir sie kennen. Und ihren Machern und Macherinnen. Die jetzt zusehen müssen, wie Trödelläden aufmachen dürfen, in denen man alte Löffel ablutschen und zurücklegen kann, wenn man denn das möchte; die zusehen müssen, dass sich Menschen versammeln dürfen, deren Weltbild von dem doch recht entrückten Gedanken geformt ist, dass jemand vor zweitausend Jahren von den Toten auferstanden sei; die zusehen müssen, dass Restaurants wieder öffnen dürfen, während sie sich auf Instagram die Finger wund taggen, um Aufmerksamkeit für ihre Lieferdienste und Cocktailfensterchen zu schaffen.

Vielleicht will auch gar nicht jeder Bartbetreiber seine 30-Quadratmeter-Speakeasy-Bar aufmachen, um in jeder Ecke ein händchenhaltendes, aus einem Haushalt stammendes Pärchen zu bemuttern. Aber sie haben nicht mal die Wahl. Bars wird nicht zugetraut, Bestimmungen einzuhalten. Denn das Schlimme ist: Keine Bar, die ich kenne, wäre nicht in der Lage, ihren Gästen zu kommunizieren: Gibt nur drei Drinks für jeden oder nur mit Vorreservierung oder was auch immer. Gerade Bars, die auf eine große Stammkundenschaft bauen, könnten hier mit viel Kooperation rechnen. Und die meisten sind sich ihrer sozialen Verantwortung auch bewusst. Niemand aus der Barszene ignoriert Corona. Sie wollen nur eine Perspektive. Denn Kreativität für Konzepte besitzt sie sowieso, diese heterogene Truppe.

Die Eintönigkeit des Biers

Auch im White Trash Fast Food hätten wir das damals hinbekommen, selbst wenn um drei Uhr morgens keiner mehr geradeaus laufen konnte. Dann hätte man eben um 24 Uhr zugesperrt. Oder nur einen Pitcher pro Tisch erlaubt. Und Tische mit vollgesprayten Plexiglasscheiben getrennt. Es hätte funktioniert. So wie es jetzt auch funktionieren würde.

Ich habe dort auch übrigens meine ersten Sours gemixt, am langen Bartresen neben der Bierzapfstation. Das Bierzapfen wurde nämlich bald ganz schön eintönig.

Wenn die Politik das nur auch so sehen würde …

Credits

Foto: The Gibson

Comments (2)

  • Peter Schütte

    Ein sachliches und doch emotionales Statement zum aktuellen Stillstand. Ich hoffe ihr könnt damit etwas bewegen. Auch wenn es erst einmal nur Gedanken sind.

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  • Nicolas Kröger / Wagemut

    Sehr schön formulieren ohne Gejammer. Danke dafür!

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