Old Cuban: Viel mehr geht eigentlich nicht
Im Jahre 2002 steckte das Internet, wie wir es heute kennen, noch nichtmal in den Kinderschuhen. Facebook, Instagram oder gar Snapchat schlummerten noch in der mentalen Ursuppe jugendlicher Köpfe, und Google war noch nicht der Alleinherrscher des Informationsflusses. Und für die „älteren“ Semester: Selbst MySpace und StudiVZ gab es noch nicht, und sogar das ehemalige Flaggschiff der Musikpiraterie, Napster, hatte gerade erst den Schritt in die Legalität getan.
Auch die Bar, wie wir sie heute kennen, steckte – zumindest in Deutschland – noch nicht einmal in den Kinderschuhen. Sie lag vielleicht in der Wiege und wurde an einigen wenigen, kleinen unbeachteten Orten gestillt, aber mehr ging da noch nicht. Man trank Nektar mit Sirup und Vodka oder Caipirinha mit braunem Zucker. Und wer ganz vorn mit dabei war, setzte sich vom schnöden Pöbel ab, indem er Mojitos trank.
Der Old Cuban: ein Mojito war nicht genug für Audrey
Auf der anderen Seite des Atlantiks, in den USA und vor allem in New York, war man etwas weiter, obwohl damals auch im vermeintlich gelobten Cocktail-Land in den allermeisten Bars Schrott serviert wurde (tatsächlich ist es bis heute ein Leichtes, auch in den Staaten einen entsetzlichen Cocktail zu bekommen).
Eine der wichtigsten Personen, die ganz zu Beginn für das kämpften, was wir heute rückblickend oft als „Revolution“ oder „Renaissance“ der Bar bezeichnen, war schon damals überaus aktiv und angesehen: Audrey Saunders, eine der einflussreichsten Barfrauen ihrer Zeit und Betreiberin des Pegu Clubs (im Oktober 2020 dauerhaft geschlossen, Anm.d.Red.); eine der weltweit wichtigsten Bars der letzten zwei Jahrzehnte. Und ihr verdanken wir den Old Cuban, einen der berühmtesten Cocktails des 21. Jahrhunderts.
Old Cuban
Zutaten
4,5 cl Bacardi 8 Anejo
2 cl Limettensaft
3 cl Zuckersirup
2 dashes Angostura
6 Minzblätter
6 cl Champagner
Rum, Limette, Minze und Bubbles – das kennen wir ja irgendwie schon
Und es war eben genau im Jahre 2002, als Audrey Saunders auf die Idee kam, die alte Drink-Gattung der mondänen Champagnercocktails mit dem Mojito-Trend nicht nur zu verschmelzen, sondern einen Geniestreich zu landen. Denn während manche Bars angeberisch einen „Royal Mojito“ mixten, der schlicht mit Champagner statt mit Soda aufgefüllt wurde, entwickelte Saunders ihren Old Cuban mit Blick auf ein viel höheres Maß an Eigenständigkeit.
Im Old Cuban Cocktail verschmelzen prinzipiell Daiquiri, Mojito und ein „karibisierter“ French 75 miteinander, er funktioniert denkbar einfach. Aber Einfachheit in Kombination mit Fokus auf Qualität war genau das, was die Revolution der Bar angetrieben hat. Weniger Zutaten, dafür hochwertig. Genau das hat Saunders im Old Cuban in Perfektion demonstriert.
Als Basis dient eine simple Sour-Trias aus Limette, Zucker und einem leicht gereiften, goldenen und nicht zu strengem Rum. So weit, so gut. Für die spezifische Note sorgen dann ein paar Blätter Minze, die mit in den Shaker kommen. Ganz bewusst wird die Minze nur mit geschüttelt anstatt wie beim Mojito im Glas zu verbleiben: Sie soll ein wenig zarte Frische abgeben, aber danach nicht zu dominant werden.
Old Cuban: So geht ein perfekter Cocktail
Das alles hätte man wahrscheinlich schon so stehen lassen können. Doch die Extra Mile hat Audrey Saunders sich glücklicherweise nicht erspart: Dem eigentlich fertigen Drink wird durch die Zugabe von Angostura Bitters und Champagner gleich doppelte Tiefe, Komplexität und Vielseitigkeit zugetragen. Erst durch sie wird er zum Old Cuban. Die Bitters fächern die Frische des Cocktails mit ihren dunklen, würzigen Noten dezent auf und verleihen der Aromatik eine unglaubliche Breite. Der Champagner wiederum bringt mit seiner eleganten Säure eine sonst unmögliche Prägnanz und Brillanz in den Old Cuban – dazu harmonieren seine Hefenoten ganz hervorragend mit dem Karamell des Rums. Man sagt sowas selten: Aber der Old Cuban ist nahezu ein perfekter Cocktail.
Die Geschichte gibt dieser These recht: Kaum ein anderer Cocktail aus dem 21. Jahrhundert hat einen vergleichbaren globalen Siegeszug angetreten. Einen Old Cuban muss man heut als gute Bar nicht mehr auf die Karte schreiben, es ist selbstverständlich, in Singapur, Los Angeles, Melbourne oder Frankfurt in eine Bar zu gehen und einen zu bestellen. Das geht nicht mit vielen „jungen“ Drinks. Durch den Champagner als zentrale Zutat ist er zudem davor gefeit, allzu leicht in die Beliebigkeit abzugleiten. Ein Old Cuban ist nicht günstig, keine Frage. Aber er ist jeden Cent wert.
Das wusste Audrey Saunders. Und deswegen ist der Old Cuban, im Gegensatz zu MySpace oder StudiVZ, heute auch immer noch wichtig.
Dieser Beitrag erschien erstmals im September 2019 auf MIXOLOGY Online. Die letzte Überarbeitung der Redaktion erfolgte im August 2024.
Credits
Foto: ©Sarah Swantje Fischer
Thomas Stephan
Ich liebe Olc Cuban, aus genau den beschriebenen Gründen.
LEIDER ist es in Frankfurt NICHT selbstverständlich in eine Bar zu gehen und einen zu bestellen. Schade.
Frankfurt ist halt nicht Berlin, besonders, was Kreativität und Freude am Ausprobieren geht.