Alles im Fluß: Alex Remzi und seine Old Well Distillery
Raus aus der Stadt, aufs Land ziehen und Schnaps machen. Viele träumen davon, wenige tun es. Einer, der den Schritt tatsächlich gewagt hat, ist Alex Remzi. Der Gastronom und Musik-Veranstalter hat sich eine alte Ranch in der Mecklenburgischen Seenplatte zur Old Well Distillery umgebaut. Oder besser: tut es noch. Denn bei ihm ist alles irgendwie immer in Bewegung.
Es ist Viertel vor acht am Abend, und am Bahnhof in Fürstenberg wartet Alex vor seinem Pick-up auf uns. Alex, das ist Alex Remzi, seine Freunde nennen ihn „Olli“, und als diesen kennt man ihn auch aus seiner 8mm-Bar, der Neu!-Bar, der Melloch Bar sowie dem Dream Baby Dream in Prenzlauer Berg. Bei den letzten Dreien ist er allerdings nicht mehr involviert. Außerdem bekannt ist er als „Olli Kurzstrecke“, als der er immer wieder in seinen Bars auflegte – wenn er nicht gerade an seinem Label 8mm-Musik tüftelte oder Festivals plante. So zum Beispiel das Synästhesie-Festival, einer Krautrock-inspirierten Musikveranstaltung, die dieses Jahr zum 6. Mal stattfindet, nämlich in der Kulturbrauerei.
Wer in Berlin lebt, Rockmusik mag und hie und da für einen Drink zu haben ist, hat von Alex Remzi also gewiss schon einmal gehört, auf die eine oder andere Weise, denn ihm fällt es schwer, die Füße still zu halten. Wie auf der Fahrt vom Bahnhof zu seiner Ranch die gelben Rapsfelder und dichten Buchenwälder an uns vorbeiziehen, wie wir uns Kurve um Kurve in die saftigen Gefilde der mecklenburgischen Seenplatte schrauben, drängt sich die Frage auf, wie ein solcher Tausendsassa es jenseits des hauptstädtischen Halligalli wohl aushalten mag.
Von Koriander und Kirschbäumen
Vom blanken Aushalten indes kann kaum die Rede sein. Nach etwa einer Viertelstunde erreichen wir die Ranch, die offizielle Adresse ist zwar Wesenberg, eigentlich braucht ein solcher Ort allerdings keine Adresse, da sich die Existenz der einer Ranch angeschlossenen Destillerie namens Old Well Distillery unter den Bewohnern des Belower Nachbarstädtchens ohnehin längst herumgesprochen hat.
Es folgt die stürmische Begrüßung der sechsmonatigen Hausdame Nico, einer weißen Schäferhündin, die auf etwa zwei Hektar Grün heranwächst, mit Gästen spielt oder eben in der Sonne liegt und sich an der Landluft labt. In diese hat sich eine süßlich-schweflige Rapsnote gelegt, und sofern man die Anfänge eines Ysop-Beets und des Kirschbaums entdeckt hat, glaubt man auch, diese Aromen zu riechen. Nach einem Schluck Gin fügen sich außerdem Kardamom, Koriander und Pomeranze hinzu, und im Grunde brauchen wir keine weitere Erklärung mehr dafür, was Remzi im Jahr 2010 zum Kauf dieses Grundstücks getrieben hat, das seit dem vergangenen Jahr auch sein Hauptaufenthaltsort ist. Es gibt jedoch einiges zu ergänzen.
Alex Remzi, aufgewachsen im Hinterland von Washington (Virginia), zog im Jahr 2002 aus den USA nach Berlin, bekam besagte Figur des Nacht- und Musiklebens, die nicht nur die Berliner Szene, sondern auch ihn selbst geprägt hatte. „Das war, natürlich, Musik, das waren Menschen und vor allem Kollaborationen, die bisweilen so entstehen, dass sie eine fruchtbare Energie auslösen, weiter zu machen, Neues und Anderes zu tun.“ Neugierig auf mehr als nur das Nachtleben und heiß aufs Ärmelhochkrempeln, fand er auf einem Motorradtrip nach Rügen diesen Ort: Freunde hatten erzählt, dass es in der Gegend Grundstücke für 40.000 Euro geben sollte, was nicht unmöglich viel schien. Ein bisschen mehr hat es Remzi dann allerdings doch gekostet. Auf älteren Bildern kann man sehen, wie zugewachsen das Grundstück ehedem war, in welchem Zustand sich das Farmhäuschen zuvor befand und welches Maß an Arbeit dahinter gesteckt haben muss, diesen Ort bewohnbar zu machen.
„Ich bin eher rastlos, werde schnell abgelenkt und brauche Ruhe und Konzentration, um zu arbeiten”, so Remzi. In seiner Co-Working-Ranch mit Nico scheint er seinen Ort gefunden zu haben. Er sagt, dass er 90 Prozent seiner wachen Zeit arbeitet und, vielleicht wichtig für alle Menschen, die an Stadtflucht leiden: „Es kommt oft vor, dass ich innehalte von den Dingen, die ich tagsüber tue, und dann fällt mir auf, wie zufrieden und dankbar ich bin, dass ich hier landen durfte, denn das ist tatsächlich, wonach mir der Sinn stand. Ich liebe Berlin, aber es ist auch schön, etwas Abstand dazu zu gewinnen.“
Vom Ein- zum Selbstgemachten
Für ein Vorhaben dieses Ausmaßes braucht es aber natürlich ein Konzept. Und, für eine Destille, bestenfalls ein Destillat. Nachdem Remzi vor einigen Jahren bereits Melloch Amaro sowie Melloch Likör herausgebracht hatte, fing der Gin-Gedanke an. Jetzt könnte man meinen, dass da noch einer seinen extravaganten Gin mit einem wahnsinnig interessanten Aroma auf den Weg gebracht haben wollte; war aber nicht so. Nach seiner Schulung zum Destillieren in Kentucky wurde sein Destillat als das beste unter allen Ergebnissen der dort Studierenden gekürt, und das macht vermutlich Mut: nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere.
Die anderen, das sind entweder Touristen, Menschen, die Lust aufs Destillieren haben, oder eben Gin-Liebhaber. Zumindest solche, die es vorher schon waren. Die bekommen, wenn es denn eben Zeit in Remzis ziemlich striktem Tagesablauf gibt, nicht nur eine Führung, sondern auch die Möglichkeit zu ihrem eigenen Gin. Zunächst gibt es eine Einführung, sowohl in die gereiften Botanicals als auch in die Entstehungsgeschichte des Destillats, gefolgt von der jeweils eigenen Auswahl der Ingredienzen, die am Ende zum Selbstgemachten führen. Natürlich kann eine jede Person ihren Gin direkt mit nach Hause nehmen, Remzi allerdings empfiehlt, dass der Gin etwa drei bis vier Wochen ruhen bleibt nach Destillation.
Eine solche Tour durch den Destillationsprozesses plus handgefertigtem Kupfer-Holstein-Still kostet 150 Euro und dauert rund drei Stunden. Er erzählt das aus seinem Liegestuhl vor der Ranch heraus, und somit seinem Garten, dem bestmöglichen Ort, der ein Interview das inhalieren lässt, was ansonsten lediglich erfahrbar sein könnte. Wer also keine Lust auf durchdesignte Gin-Labels oder wahnsinnig witzige Entstehungsgeschichten dieses einen Gins hat, der verbringe entweder ein Wochenende bei Alex Remzi und atme den Gin mit der Landschaft ein – oder der höre seinen Geschmack auf dem Synästhesie Festival. Dafür ist es schließlich buchstäblich da.
Als ward ein Einhorn gefunden
Was aber zeichnet Mecklenburgischen Gin denn nun genau aus? Wohl kaum vermag er nach dem bekannten Mecklenburger Rippenbraten oder Gestowte Wruken zu schmecken; hoffentlich nicht. Glücklicherweise jedoch wächst im Umkreis von nur fünf Kilometern eine Zutat, die der Herstellung von Gin durchaus dienlich ist: Wacholder. Seine Nachbarn hatten ihm den Tipp gegeben, und nachdem er nach und nach Strauch um Strauch entdeckt hatte, taten sich irgendwann die besagten Wacholderfelder auf. „Mir war, als hätte ich ein Einhorn gefunden“, freut er sich. Sogar das inoffizielle Pflück-Okay vom Förster ist bereits erteilt. Ansonsten unterscheidet sich die Flora nicht allzu sehr von der in Brandenburg – außer natürlich der sich verdichtenden Ansammlung von Sanddorn gen Norden; diese stehen bereits auf Remzis Fermentations-Liste.
Auf der künftigen Gedankenliste stehen außerdem fassgelagerte Spirituosen, dafür allerdings fehlt noch der Platz. An was es nicht fehlt, das sind Experimente: „Mit Maria Gorbatschova aus der Green Door Bar gab es beispielsweise ein Experiment mit einer Destillation von jamaikanischem Thymian und seiner Fragmentierung in zwölf Teile, von denen sie jene ausgesucht hat, die am besten mit Cocktails funktionieren. Das hat letztlich wahnsinnig gut mit deutschem, süßen Wermut funktioniert. Wenn man destilliert, kommen die leichten Noten ganz zu Beginn. Es ist wahnsinnig wichtig, die Balance zwischen den leichteren und den schwereren Noten zu finden – ein bisschen, als müsste man eine DNA zusammensetzen“, lacht er: „Aber es ist eine reine Illusion von Kontrolle!“
Das gemeinsam angesetzte Destillat hatte sich nämlich verändert. Und darum geht’s. Im Hause Remzi geht es nicht darum, dass die Dinge sich per se verkaufen, sondern dass sie verstanden werden. Verstanden in ihrem bestimmten Entstehungsprozess eines Gefüges, an dem immer mehr als ein Mensch beteiligt ist, das immer von Begegnungen lebt, in Remzis Falle natürlich auch von einem ganzen Haufen musikalischer Zusammenkünfte, Melodien, Texte und selbstredend den Drinks dazu.
Old Well Distillery: Um Leben und Tod
Remzis Gin zentral in einen Text über eine Destillerie inmitten von Nirgendwo zu stellen, mag für ein Bar- und somit ja immer auch Schnaps- und Menschenmagazin zwar attraktiv sein, allerdings würde es am Thema vorbeizielen. Die eigentliche Materie nämlich beinhaltet einen Lebensentwurf; einen, der ganz verschiedenen aussehen kann, wenn gleich er stets den selben Inhalt hat: „Das Leben als einen Zusammenfluss aus Ereignissen betrachten“, zum Beispiel. Oder „dass die Dinge immer auf die eine oder andere Weise miteinander zu tun haben. Fordernde Situationen, wie etwa die Pandemie, nicht zu bedauern, sondern mit ihr mitzugehen.“
Im Grunde erst 47 Jahre alt, vermittelt er den Eindruck, dass die Kombination aus Berliner Nacht- und Mecklenburger Tagesleben doch als Katalysator von Lebensfragen herzuhalten vermag. „In der Zeit hinterlässt alles seine Spuren; ich lerne schnell und mache weiter, weil es für mich wichtig ist, in Bewegung zu sein. Aber während des Steuerns habe ich mir vorgenommen, immer auch einen Blick zurück zu werfen, denn sonst werde ich überwältigt von all den Optionen. Ich glaube, wer denkt, alles ist immer möglich, verliert sich“, so Remzi. Er zeigt nach rechts, dort habe er jüngst einige Apfelbäume gepflanzt, um einen Obstgarten anzubauen. First things first. „Am Ende“ sei sein Ziel, etwas Beständiges und von hohem Anspruch zu realisieren. Dafür passt sein Ingenieurs-Hintergrund optimal: Er will herauszufinden, wie Dinge praktisch funktionieren. „Ich glaube an den Zyklus von Tod und Wiedergeburt und daran, dass die Dinge ungekünstelt und organisch zusammenspielen werden, wie bisher auch – schließlich war genau das mein Weg hierher.“
Zum Glück scheint dieser Weg noch eine ganze Weile nicht „am Ende“ angekommen zu sein; sondern verweilt noch ein wenig in den manchmal überraschenden, rückblickend aber immer wieder auch nachvollziehbaren Zügeln von Leben, Tod, und den Dingen dazwischen.
Es ist abermals Viertel vor irgendetwas, aber es interessiert niemanden mehr – weil das Auf-den-Zug-Warten von whatever-vielen Minuten bereits nach zwei Tagen egal geworden ist.
Credits
Foto: Audun Lindholm
Renate Fehse
Sehr geehrter Herr Remzi!
Durch Zufall bin ich auf Ihre Webseite gestoßen, weil ich „Wacholder“ gegoogelt habe und bin sehr begeistert.
Unser nächster Trip geht sehr wahrscheinlich nach Neustrelitz.
Herzliche Grüße, Renate Fehse