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Oliver von Carnap und seine Madam Bar: Eine kurzweilige Affäre

Die Madam Bar wird noch bis kommenden April die Münchner Barszene um ein paar anrüchige Nächte bereichern, wie Oliver von Carnap verrät. Danach werden sich die Türen des ehemaligen Strip-Clubs schließen. Das war aber immer schon so geplant. Was danach kommt oder auch nicht, erklärt der feinsinnige Münchner Bar-Profi im Gespräch. 

„Ich bin nicht mehr in dem Alter, in dem ich mir große Erwartungen mache, bevor ich eine Bar eröffne, doch in der Madam Bar hat mich eine Sache komplett überrascht: Wir sind tatsächlich von Null auf Hundert durchgestartet. Es gab keine gemächliche Anfangsphase, sondern der Laden hat eingeschlagen und war von Anfang an ein voller Erfolg“, so Oliver von Carnap.

Die Madam Bar, ein ehemaliger Strip-Club auf der ansonsten recht schnieken und mit Hotelbars verzierten Ledererstraße, wurde im September letzten Jahres durch Oliver von Carnap im Zuge einer 18-monatigen Zwischennutzungsphase in eine Cocktailbar umgemodelt – ganz behutsam, versteht sich. Der rote Samt und die Tabledance-Stange durften bleiben, die nackten Mädels mussten gehen, ins Privée zog ein DJ-Pult und schaler Billig-Schampus wich hochkarätig gefüllten Cocktailschalen sowie tiefer gelegten Drink-Phantasien.

„Ich musste mich in der Madam Bar weder mit einem verkrampft innovativen Konzept, noch mit ausgeklügeltem Interiordesign herumschlagen, denn aufgrund der Zwischennutzung sollte alles soweit beibehalten werden – die Strip-Lizenz eingeschlossen.“ So hatte von Carnap, gerade aufgrund des eingeschränkten Spielraums, die Freiheit dazu, die Madam in eine echte Spielwiese für jeden Barliebhaber zu verwandeln. „Das einzige, was wir uns von Anfang an vorgenommen hatten, war, den Charakter der Bar zu bewahren und mit den gegebenen Voraussetzungen spielerisch umzugehen.“

Oliver von Carnap: Liquide Spielwiesen in eingeschränkten Spielräumen

Die unverkrampfte Herangehensweise des Barteams um Oliver von Carnap führt seit der Eröffnung im letzten Herbst dazu, dass der nächtliche Reigen in der Madam zu einem wahrlich abwechslungsreichen Getümmel wird.

Bei aller offenherzigen Vielfalt gibt es für den Barchef und sein Team zwei essentielle Richtwerte, welche das illustre Treiben in der Madam Bar lenken und beeinflussen: Spaß und Qualität. „Je schnoddriger der Laden, desto wichtiger ist die kompromisslose Hochwertigkeit der Drinks. Dabei wollen wir jedoch keine hochtrabenden Mixologen sein, sondern Bartender, die Spaß mit den Gästen haben. Wir sind zwar ernsthaft in Bezug auf die Qualität, aber wir wollen uns weder als besondere Profis mit pipettengenauen Cocktailkreationen inszenieren, noch den Leuten etwas verbieten”, so Oliver von Carnap. „Ich habe in der Madam Bar auch schon Long Island Ice Tea gemixt. Warum auch nicht? Ich habe die Zutaten da und kann es machen. Die Leute sollen vor allem Spaß haben.“

Die Madam Bar: Brett-Tänzeleien mit professioneller Balance.

Trotz der ein oder anderen erlaubten No-Go-Bestellung halten Oliver von Carnap und sein Team beim übers-Brett-tänzeln stets die Balance. „Das Wichtigste in der Gastronomie ist Authentizität und ein professioneller Hintergrund. Dabei bezeichne ich Professionalität gern als Werkzeugkasten. Je größer dieser ist und je besser er gefüllt ist, desto mehr Möglichkeiten hat man, den Gast abzuholen und ihn zu begeistern.“

Seinen eigenen, hochprozentigen Werkzeugkasten konnte der derzeitige Madam-Chef innerhalb der letzten Jahre bekanntlich an den Tresen der verschiedensten Barkonzepte – vom Lux, über die Goldene Bar bis hin zur Theresa Bar – aufpolieren und stetig erweitern. „Das Schöne an meiner Umtriebigkeit ist, dass ich mir über die Jahre einen Stamm an Gästen aufgebaut habe, die mich in jede Location begleiten. Diese Gäste werden cocktailerfahrener und ich werde mixerfahrener. Wir entwickeln uns auf diese Weise alle gemeinsam weiter und können miteinander und aneinander wachsen“, beschreibt Oliver von Carnap.

Gäste in Schichten und Drinks für alle Schichten

Zudem ermöglicht es die Madam Bar, durch die offene Atmosphäre und ihre wahrlich weit gespreizten Qualitäten, ein vielfältigeres Publikum anzuziehen und zu erfreuen als so manch zugespitztes und abgehobenes Barkonzept. Denn in dem illustren Trinktempel kommen die Gäste in drei ineinander übergehenden Schichten – eine ungeplante Tatsache, welche den Abend für das Barteam genauso wie für jeden länger Verweilenden zu einem abwechslungsreichen Unterhaltungsprogramm macht.

Zu Beginn sitzen die Cocktailtrinker am Tresen und bestellen die Drinks der wechselnden Karte, welche von Carnap in enger Zusammenarbeit mit seinem Team kreiert. Nach elf Uhr strömen dann die Longdrink-Dürstenden in die zentral gelegene Bar, um sich für die folgende Partynacht sprudelnd frisch zu machen. Nach drei Uhr ist dann „sowieso alles vorbei“, so von Carnap, und die Münchner Gastro-Szene stürmt die Madam Bar, welche schließlich eine der wenigen Cocktailbars in der Bayrischen Metropole ist, welche bis in die – auch mal späteren – Morgenstunden offen hat.

Abgehobene Ablösen: Der natürliche Feind innovativer Barkonzepte

„Jeder fühlt sich anscheinend wohl in der Madam Bar – eine Tatsache, die mir zeigt, dass München mehr solcher unkonventioneller Konzepte bräuchte.“ Bei dieser Behauptung läge es natürlich nahe, sofort mit dem Barlöffel auf Oliver von Carnap zu zeigen und ihm vorzuschlagen, den angenehm-anrüchigen Laden doch gänzlich zu übernehmen. Doch der erfahrene Barmann weiß, was er tut – beziehungsweise nicht tut – und weist auf ein signifikantes Problem hin, das nicht nur in München so manch kreativer Idee das Brett unter den Füßen und Händen wegreißt. „Die Ablösen sind in der letzten Zeit so enorm in die Höhen geschnellt, dass es fast unmöglich geworden ist, eine Bar zu übernehmen.“

Es würden laut von Carnap keine normalen Beträge mehr verlangt werden, welche etwa 30 Prozent des ursprünglichen Investitionspreises umfassten, sondern horrende und teilweise nicht nachvollziehbare Summen. „Nur noch Einheitsbrei-Designkonzepte mit Investoren im Rücken haben da eine Chance. Kleinere Bars von jüngeren Bartendern und individuelle Konzepte werden so in einer Stadt wie München über kurz oder lang aussterben. Man tut sich mit solch hohen Ablösen innerhalb der gesamten Branche keinen Gefallen. Eine derartige Entwicklung wird sich immer negativ auf die Qualität und Lebendigkeit der Bar-Szene auswirken, so dass letztendlich nicht nur wir Bartender, sondern auch die Gäste darunter leiden werden.“

Bartender, Berater und brettharte Werkzeugkästen.

Doch nicht nur die himmelhohe Ablöse des Keller-Clubs hält von Carnap davon ab, der Madam Bar das unbefristete Ja-Wort zu geben. „Obwohl ich auf jeden Fall wieder eine eigene Bar aufmachen will, habe ich derzeit keine Lust, mich dem herrschenden Konzeptdruck zu stellen. Wenn man heutzutage einen Drink nicht mit x-Garnituren versieht und mit diversen Flammenwerfern hinterm Tresen hantiert, ist der Gast teilweise schon enttäuscht.“

So wird der erfahrene Barmann nach der Madam Bar erst einmal als Berater tätig sein und die professionellen Werkzeugkästen von Kollegen durch Workshops und Schulungen aufpolieren. „Ich bezeichne mich selbst niemals als Consultant. Teilweise behaupten ja schon Bartender, die weniger als drei Jahre im Business sind, sie seien Bar-Consultants. Ich bin in erster Linie Barmann. Und auch neben meiner beratenden Tätigkeit will ich den Bezug zur Branche und zum Bar-Alltag nicht verlieren. Wenn du selbst nicht regelmäßig am Brett stehst, kannst du schnell schlaue Sprüche reißen.“

Liquide Todsünden gegen Eistee auf Long Island

Seine verbleibende Zeit hinterm Brett der Madam Bar wird Oliver von Carnap vor allem für das Heimwerken, sprich den Aufbau seines Barteams und die Vervollständigung der professionellen Werkzeugkästen seiner Mitarbeiter nutzen. „Jeder bei uns kommt aus einer anderen Ecke und ist eine echte Bereicherung für die Bar. Egal ob der erfahrene Mixer Timon Kaufmann, Clarissa Lukas, die zuvor innerhalb eines ganz anderen Bar- und Drinkkonzepts gearbeitet hat, der ehemalige Barbesitzer Max Winkel oder Claudia Heindl, die bei uns erst mit dem Mixen angefangen hat – sie alle bringen neuen Input und die unterschiedlichsten Einflüsse mit.“

Besonders dem Anfang zwanzigjährigen Bartender André Kohler versucht Oliver von Carnap noch so viel wie möglich mitzugeben, bevor sich ihre Wege im April voraussichtlich erst einmal trennen werden. „André Kohler ist einer der talentiertesten und vielversprechendsten jungen Barmänner, die ich in der letzten Zeit kennenlernen durfte, obwohl er erst seit anderthalb Jahren mixt. Die aktuelle Karte mit dem Thema ‘Die sieben Todsünden’ hat er so gut wie alleine geschrieben.“ Auf dieser Karte tummeln sich ganz nach dem Motto „Every sinner has a past, every saint has a future“ tiefglasige und abgründige Köstlichkeiten wie ein Luxuria Cocktail mit einem cold drop Aphrodisiac-Liquor, Pisco und Pommegranate-Lemon-Cordial, welcher jeden Long Island Ice Tea zu einem schnöden Weihwasser degradiert.

Man sollte also die kommende Herbst-Winter-Saison noch dazu nutzen, unterirdisch und verrucht unterwegs zu sein, um die ein oder andere Todsünde in der Madam Bar zu begehen, beziehungsweise zu genießen, bevor dann im April das professionelle Shaken wieder dem beruflichen Shakern weichen muss. Und auch, wenn Oliver von Carnap zunächst brettferne Vorhaben hat, weiß man niemals genau, welche Ideen dem umtriebigen Barprofi über die Wintermonate in den Sinn kommen und ob er nicht vielleicht doch, nach der Theresa und der Madam Bar, erneut an der Seite sowie hinterm Brett einer neuen, faszinierenden Tresenschönheit zu finden sein wird.

Credits

Foto: Alle Fotos via Verena Borell.

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