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The Oriole Bar: Ein neuer Vogel für Barflys

Die Macher vom Londoner Nightjar machen’s noch einmal: schon vor der Eröffnung war die Oriole Bar in Islington ein großes Thema unter Kennern. Nun ist sie seit wenigen Tagen offen. Den Vogelflug zur neuen Tränke hat unser Autor nicht gescheut. Und er weiß zu berichten: Die britische Hauptstadt hat ein neues, goldenes gefiedertes Cocktail-Nest.

Die Londoner und ihre Vögel. Ein Gang über den Trafalgar Square mündet zwangsläufig in einer Begegnung mit hunderten Tauben. Dann wären da die berühmten Raben im Tower of London. Die Legende besagt: wenn sie den Tower jemals verlassen, so geht das Königreich unter. Der Nationalvogel des Vereinigten Königreiches hingegen ist der Zaunkönig. Und auf bewährt skurrile Art legendär ist natürlich auch der Monty Python-Sketch mit dem toten Papagei.

Von Mixologen und Ornithologen

Für die Bargänger der britischen Hauptstadt ist bereits seit Jahren die Nachtschwalbe der Vogel der ersten Wahl: Nightjar lautet der Name des nachtaktiven Flügeltieres, welches die letzten vier Jahre stets auf Platz zwei oder drei im Ranking der „Worlds 50 Best Bars“ zu finden war. Hochkreative Cocktails, einmalig serviert oder, eher noch, inszeniert. Dazu eine schummrig-intime Speakeasy-Atmosphäre und wundervolle Live-Musik.

The Oriole Bar: Es zwitschert die Goldamsel

Was geschieht, wenn die Betreiber einer der spektakulärsten Bars der nördlichen Hemisphäre, Edmund und Rosie Weil, eine weitere Bar eröffnen? Es muss gut werden! Natürlich ist außerdem klar: So, wie bei Ryan „Mr Lyan“ Chetiyawardana stets der falsch geschriebene Löwe mit dabei ist, muss bei Edmund und Rosie erneut ein Vogel her. Und so wählten sie die hübsch gefiederte Goldamsel. Auf englisch: Oriole.

London ist eine verrückte Bar-Stadt. Die Menschen sind unglaublich ausgehfreudig und an den Wochenenden platzen die guten und angesagten Trinkstätten aus allen Nähten. Ein spontaner Tresenbesuch ist jedoch oftmals eine wenig ratsame Option. In den hochwertigen Bars – wie dem Nightjar – ist eine Reservierung daher meist zwingend notwendig. Gleiches gilt bereits jetzt in der erst wenige Tage geöffneten Oriole Bar in Islington, wenngleich diese mit 120 Plätzen deutlich größer ist als die etwa 1,5 Kilometer entfernte Schwesterbar nahe Old Street.

Und oben schwingt die Rinderhälfte

Der Weg führt in ein Szenario, das auch aus einem Film über Al Capone stammen könnte. Riesige Hallen liegen im nächtlichen Halbdunkel des schummrigen Laternenlichts jenseits der nassen Fahrbahn. Aus den Gullydeckeln steigt mysteriöser Dampf empor. In den geschichtsträchtigen Markthallen des historischen und riesigen Fleischmarktes scheint Ruhe eingekehrt zu sein. Tatsächlich ist das Tagesgeschäft vorüber. Über Tausenden von Rindern, Schweinen und Lämmern wurde gefeilscht und ihr Kauf per Handschlag und Barzahlung besiegelt. Die Rollgitter sind herabgelassen. Doch nun ist neues nächtliches Treiben eingekehrt. Ab und an hält ein Taxi in der Gasse zwischen zwei Hallen an dem silbernen Vordach, das einen Hauch von Art-Déco verströmt, und entlässt seine Gäste an den kräftigen Hüter der Tür, der gewissenhaft prüft, ob eine Anmeldung bewilligt wurde und die Gäste auch pünktlich sind.

Die unterirdische Weltreise

Die lange Treppe führt hinab in die Räume der ehemaligen „Cock Tavern“, wo Händler und Marktarbeiter früher zu frühstücken pflegten. Statt Hahn gibt es nun allerdings Hahnenschwanz. Und einen Empfangstresen mit drei strengen Damen, die sich um Garderobe und Platzzuweisung kümmern. Der Raum ist groß, dominiert von eleganten Holztönen und Messing, und verfügt über mehrere Bereiche. Erhöhte Tische, intim hinter einer Trennwand aufgereiht, eine Empore mit mehreren größeren Tischen und der Bereich um die Bühne herum, auf der allabendlich ab 20.30 Uhr wechselnde Musiker aus den Bereichen Jazz, Swing und Calypso aufspielen. Es gibt nur ein halbes Dutzend Barhocker

Überall verteilt finden sich Vitrinen mit Ausstellungsstücken, die aus der Sammlung eines Forschungsreisenden zu stammen scheinen. Exotische Figuren, filigrane Vasen und allerlei museal anmutende Details laden den Betrachter auf eine Weltreise ein, welche von der Barkarte fortgesetzt wird. Alte Welt, Neue Welt und asiatisch-orientalische Sphäre laden den Gast ein, die internationalen Inspirationen des Barteams zu teilen und neu zu erkunden. Wunderschön gestaltet, ist die Karte einem alten Album für Sammelbilder nachempfunden. Und tatsächlich sind die Fotos der einzelnen Drinks sorgfältig eingeklebt. Einer wirkt verführerischer als der nächste.

Das Auge trinkt mit

Als Erstes wird die Neue Welt getestet und es ist nicht verkehrt, noch über eine nüchterne Aussprache zu Verfügen, wenn man einen „Ollantaytambo“ bestellt, benannt nach einer sagenumwobenen Inka-Festung. Serviert in einem herrlich dekorierten, leicht folkloristisch anmutenden Becher, vermählen sich Pisco, Zitrone, Eiweiß und Ingwer-Soda zu einem köstlich-komplexen Drink, den Karotten-Julienne und in Blue Curaçao (!) eingelegte Mini-Maiskölbchen krönen. Die Bar arbeitet wie eine perfekte Küche. Drei Mixstationen gibt es, an jeder werden jeweils bestimmte der insgesamt 39 Cocktails zubereitet. Ungewöhnliche Gläser und extrem aufwendige Dekorationen liegen bereit. Beispielsweise die großen Pasta-Hörnchen, die als Gefäß für den „Blood & Bone“ dienen (eine Art Bloody Mary-Variante mit Gin Mare, Mandelessig, Karotten und Seaweed Ale), der mit einer großen Pipette in die Schale, also die Nudel, gefüllt wird.

Inspiration trifft Präzision

Es ist beeindruckend, die akkuraten und sehr schnellen Handgriffe des Barteams um Luca und Pierre an jenem Abend zu beobachten. Das Mise-en-place muss Stunden dauern und steht einer gehobenen Restaurantküche in nichts nach. Die Arbeitstechnik ist bemerkenswert und die Drinks kommen sehr schnell. Sie sind perfekt abgeschmeckt und optisch herausragende Kunstwerke. Kein Wunder also, dass die Bartender nicht zu oft von Nebensächlichem – wie etwa Small-Talk am Tresen – abgelenkt werden sollen. Dennoch berichten sie fröhlich von der Zusammenarbeit im Team und den Ideen, die jeder von seinen eigenen Reisen mitgebracht hat, um sie in ein Drink-Detail einfließen zu lassen.

Das köstliche Barfood greift die Weltreise auf, die Küche schickt feine Teller mit Ceviche, Creole Chicken oder Trüffelkroketten. Die Stärkung tut gut, denn man möchte die Karte weiter abtrinken und jeden Drink probieren, beispielsweise den herrlichen „Karachi Sour” oder die fulminanten Mehr-Personen-Drinks, um sein eigenes ornithologisches Oriole-Sammelalbum möglichst komplett zu füllen. Die Vogelfluglinie ist gewiesen und Barfans in London dürfen sich freuen: Es gibt ein neues Lieblingsnest!

Credits

Foto: Alle Fotos via Oriole Bar / Bacchus PR

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