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Der Pastel Cocktail ist ein Signature Drink auf Vodka-Basis aus dem A Bar with Shapes for a Name in London

Vodka-Drinks werden selten zu Signature Cocktails. Der „Pastel“ ist eine Ausnahme.

Der Pastel ist einer der ersten Cocktails, die Rémy Savage und Team in ihrem „A Bar with Shapes for a Name“ in London kreiert haben. Der Drink lief von Anfang an und ist heute noch so populär, dass man ihn sogar im 16-Liter-Fass kaufen kann. Was nach einem einfachen Vodka-Drink aussieht, ist das Ergebnis eines langen Prozesses. Wir haben ihn uns erklären lassen.

„Wir hängen zu oft der Idee nach, dass gute Drinks komplizierte Drinks sein müssen, mit diesem einen, bestimmten Pilz, mit destilliertem Schweineblut, all sowas.“ Das spricht nun ausgerechnet Rémy Savage, dessen Vorstellung von „simpel“ sich definitiv von jener der Allgemeinheit unterscheidet, und die hin und wieder auch in Rezepten mit Viertelgramm-Angaben ihren Ausdruck findet.

Andererseits ist die Einfachheit ein Grundprinzip seiner nur durch drei farbige Symbole gekennzeichneten Bar in London, „A Bar with Shapes for a Name“ oder einfach nur kurz dem „Shapes“. Der Drink, auf den er hier anspielt, nennt sich „Pastel“ und ist eines der flüssigen Gründungsmitglieder der Bar – Rémys Partner Paul Lougrat erinnert sich an die Anfänge: „Der Pastel war der erste Drink, den wir nur für die Bar enwickelt haben; anfangs war es eine Art Pisco Tonic mit einem Hauch Himbeer, woraus wir dann das entwickelt haben, was es jetzt ist, mit Vodka als Basis. Dabei wollten wir den Fokus rein auf dem Drink halten, ganz ohne Garnitur: Glas, Eis, Flüssigkeit.“

Pastel

Zutaten

Vokda (Haku )36 gr
Klarifizierter Rhabarbersaft 31 gr
Zuckersirup (1:1) 32 gr
Recomposed Lime 16 gr
Capreolus Raspberry 2 gr
Gefiltertes Wasser 84 gr

Komplexe Einfachheit

Rhabarber, Himbeer und Vodka, dazu ein bisschen Blubber, das klingt tatsächlich weder besonders komplex noch allzu schwierig. Außerdem mag es für den Gast wenig spektakulär erscheinen, wenn ein Fläschchen Pastel vor ihm entkronkorkt und in ein Highball-Glas gegossen wird, auch wenn sich in letzterem eine Statuette aus abwechselnd Kugel- und Würfeleis befindet (womit das Eis selbst zur Garnitur wird, und zwar recht eindrucksvoll). Er sieht allerdings auch nicht, dass es volle drei Tage gedauert hat, um den Drink zu produzieren.

Die Einfachheit im Shapes ist nicht die eines Wasser-und-Brot-Galeerensträflings, sie gleicht vielmehr einer Schneeflocke, die ihr kompliziertes Grundgerüst nur demjenigen offenbart, der ganz genau hinsieht. Diese Einfachheit ist eher ein gastronomisches Duck Syndrome: nach außen hin gleitet alles geschmeidig, unter der Wasseroberfläche wird gestrampelt.

Recomposed Lime for the win

Der Vodka (Haku) wird 24 Stunden mit Rhabarber infusioniert (36 Gramm), hinzu kommen 31g klarifizierter Rhabarber, 32g Zuckersirup (1:1), 2g Capreolus Raspberry (später mehr dazu), 16g Recomposed Lime und 84g gefiltertes Wasser. Wenn man bedenkt, dass der Pastel immer in größeren Mengen zubereitet wird, dann wirken die Gramm-Angaben gleich viel weniger nerdig.

Die Limette im Cocktail ist „recomposed“, also neu zusammengesetzt, was einen Prozess im Rotationsverdampfer samt anschließender Säuregabe beschreibt (42 Grad, 30 Millibar, hier der komplette Prozess). Und: g wie Gramm ist kein Schreibfehler, alle Zuaten werden im Shapes gewogen. Der Drink wird karbonisiert und auf Flaschen gezogen, weshalb man, der Haltbarkeit wegen, nicht auf frische Säurelieferanten zurückgreifen kann – und ausschließlich künstlich ist eben den eigenen Ansprüchen nicht genügend. Also Neubau-Natur.

Pastel wird auch im 16 Liter Fass verkauft

Bar-Managerin Maria Rravdis gehört zur Stammtruppe des Shapes, und nach wie vor begeistert sie sich für die schier unendlichen Möglichkeiten des Kenntnisgewinns: „Der Drink war ja auch unsere erste gemeinsame Arbeit. Dann ging es um die Frage nach der Karbonisierung, und wir haben uns umgesehen, wer das am besten kann. Wir haben einen Brauer gefunden und auch da wieder unglaublich viel gelernt.“ Auch CO2 ist schließlich nicht gleich CO2.

Gerade dieses Wissen hat sich bereits bezahlt gemacht: Seit seiner Einführung steht der Pastel auf der Karte und ist unvermindert der beliebteste Drink der Bar, und zwar in einem derartigen Ausmaß, dass man ihn fassweise kaufen kann: „Wer mag, kann ihn gleich in einem 16-Liter-Keg mitnehmen, das dann in seiner eigenen Bar anzapfen und den Drink als seinen eigenen verkaufen,“ meint Savage.

In dieser Hinsicht sind ihm Besitzstandswahrungen fremd, auch wenn er ohne falsche Scham etwa vom Pastel spricht: der sei „objectively good“, und da kann man ihm auch nicht gut widersprechen. Die „Bauhaus Bar“ ist aber seit jeher auch als Schule und Zentrum für Wissensaustausch gedacht, weshalb die Rezepte für seine Drinks öffentlich zugänglich sind – wenngleich nur die wenigsten angehenden Plagiator:innen über den Gerätepark, geschweige denn über die nötige Bedienerkompetenz verfügen dürften, um die Schöpfungen tatsächlich halbwegs original nachbauen zu können. Die Erfinder hätten jedenfalls nichts dagegen, und das ist doch schon mal nett.

Eau de Vie aus den Cotswolds

Ebenfalls neidlos wird auch der Name des für den Himbeerbrand verantwortlichen Destillateurs bekannt gegeben, nämlich die Capreolus Distillery, gelegen im überaus idyllischen Südwesten Englands, den Cotswolds. Da nun für einen Liter dieses wahrhaft herausragenden Eau de Vies etwa 30 Kilo Himbeeren benötigt werden – was sich natürlich im Preis des Endprodukts niederschlägt – steht auch hier nicht zu befürchten, dass besonders viele Mitbewerber auch damit aufwarten werden. Gut, in der Seed Library, dem neuen Kind von Ryan „Mr. Lyan“ Chetiyawardana, macht man damit den Raspberry Champagne, aber das ist eben London.

Im Shapes hat der Drink seine eigene Evolutionsgeschichtre, die nur unzulänglich mit verschiedenen Begriffen eingefangen werden kann. Natürlich geht es um Funktionalität, um Minimalismus, und vielleicht auch um Understatement, aber wer sich ein bisschen mit Maria, mit Paul oder mit Rémy unterhält, der bekommt schnell auch ein Gefühl der Zwangsläufigkeit, das man ansonsten nur aus Autohäusern kennt, wenn einem schlüssig erklärt wird, dass alles andere als der neue Maserati eine komplett irrationale Kaufentscheidung wäre.

Der Vodka bietet das Grundgerüst des Pastel; er leuchtet die Bühne aus für die anderen Artisten. Etwas anderes als diesen speziellen Himbeerbrand für den Drink? Ich verstehe die Frage nicht. Wie, Sie wollen ihre Limette nicht rekomponieren? Darf’s vielleicht das grüne Plastikfrüchtchen aus dem Supermarkt sein, weil, schmeckt ja eh keiner? Loup de Mer oder Forelle Müllerin Art, Flosse ist Flosse? Ja, geht’s noch? Und am Schluss alles mit dem Sodastream aufsprudeln, vermute ich …

Ein roter Löffel

Der Pastel ist vielleicht als Drink zu unterschätzen, weil er geschmacklich sehr zugänglich ist und nicht das alte Klischee bedient, wonach nur das gute Kunst sein kann, was man zumindest nicht auf Anhieb versteht. Die Komplexität jedenfalls ist eher eine versteckte, zugrunde liegende, als eine offen sichtbare, auf die man vielleicht sogar stolz hinweist.

Das passt natürlich zur Bar, das ist die Einfachheit des Bauhaus, die auf das schnörkellose Ergebnis hin getrimmt ist, ohne die Geburtsschmerzen auch nur andeuten zu wollen. Als Maria Rravdis ihren neuen Job antrat, wurde ihr als erstes der Auftrag gegeben, einen roten Löffel zu finden, der als Besteck in die Bar passen würde. Eigenartiger Auftrag, mag man meinen; noch eigenartiger aber, dass sie bislang trotz großer Mühen keinen Löffel finden konnte, der den Erwartungen entsprach.

Sie wird diesen Löffel aber finden, und wenn sie ihn denn gefunden haben wird, dann wird auch klar sein, dass es nur dieser Löffel hatte sein können, dieser unter allen Löffeln auf Gottes weiter Erde.

Credits

Foto: A Bar with Shapes for a Name

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