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Das hat die Piña Colada nicht verdient

Pina Colada: Escape-Strategien und drei Zutaten

Die Piña Colada hat es lange schwer gehabt, sie galt (und gilt oft noch) als zuckriger, minderwertiger Sahnecocktail. Dabei hat das mit dem wunderbaren Original nichts zu tun. Und die Geschichte des Drinks beginnt sowieso vor rund 500 Jahren.

Viele Leute wissen gar nicht, dass der weltberühmte Song If you like Piña Coladas von Rupert Holmes eigentlich gar nicht so heißt, sondern den schlichten Titel Escape trägt. Das passt, denn inhaltlich gesehen ist der beschwingt vor sich hin wackelnde Gassenhauer eigentlich eine ziemlich traurige Geschichte über einen frustrierten Langverheirateten, der per Annonce nach einem Seitensprung sucht – bis der Song schließlich doch noch ein komisch-versöhnliches Ende findet.

Noch weniger Leute dürften wissen, dass Holmes in der ursprünglichen Fassung des Textes im Refrain gar nichts über die Piña Colada geschrieben hatte: Dort hieß es zunächst „If you like Humphrey Bogart“. Nun ja. Bogart trank auch gern, aber sicher keine Piña Coladas. Womit wir beim eigentlichen Thema wären.

Der eine tropische Cocktail

Holmes sagte einmal, er selbst könne mit der Piña Colada nicht viel anfangen. Beim Umtexten des Songs sei der Drink schlicht der erste tropische Cocktailname gewesen, der ihm in den Sinn kam. Dass er mit der Piña Colada, wie so viele Menschen, nichts anfangen kann oder konnte, dürfte auch daran liegen, dass er wahrscheinlich jene Version des Drinks kannte, die auch heute noch die meistverkaufte sein dürfte (fatalistische Schätzung): Eine verklebte, synthetische Mischung aus Rum, Ananasnektar, Kokossirup und Sahne. Danke, Siebzigerjahre. Danke.

Das hat die Piña Colada nicht verdient

Glücklicherweise leben wir in einer Zeit, in der sich mehr und mehr Menschen ganz generell bewusster ernähren und auch in Sachen Genuss nach mehr Natürlichkeit suchen. Da passen nachgezuckertes Saftkonzentrat und parfümiert wirkender Sirup nicht so wirklich gut ins Bild. Was der Piña Colada, diesem an sich simplen und köstlichen Cocktail, unglaublich gut getan hat. Denn sie ist im Zuge der Revitalisierung der Bar nicht nur wieder zeitgemäß aufgearbeitet worden – sie wird damit gleichermaßen zu ihren Wurzeln zurückgebracht.

Die Geschichte der Piña Colada beginnt spätestens mit der frühen Kolonisierung der Karibik, womit nichts anderes als gemeint ist: Sie beginnt in dem Moment, in dem aus dem dortigen Zuckerrohr der erste Schnaps gebrannt worden ist.

Der Ausgangspunkt: Rum + Ananas

Vom ersten Tropfen Rum bis zur ersten Proto-Piña-Colada dürfte es nur sehr kurz gedauert haben. Denn die Ananas war zu diesem Zeitpunkt bereits nicht nur vor Ort, sie war auch in aller Munde. Die Frucht ist nach heutigem Kenntnisstand im nördlichen Südamerika heimisch und war zur Zeit der Entdeckung Amerikas durch die europäischen Seemächte bereits in vielen Regionen Lateinamerikas und weiten Teilen der Karibik als Nutzpflanze der Ureinwohner kultiviert.

Auch die Eroberer verloren schnell ihr Herz an die üppige, exotische, süße Frucht: Angeblich um das Jahr 1513 herum erstmals in Tagebüchern erwähnt, wurde die Ananas noch vor dem Ende des 16. Jahrhunderts mehr oder weniger rund um den Erdball in allen tropischen Kolonien angebaut – also etwa auch im heutigen Indonesien und Indien, später gar im eigentlich nicht-tropischen Südafrika.

Die Piña Colada weitergedacht

Piña Colada

Zutaten

6-7 cl aromatischer weißer Rum
4 cl ungesüßtes Kokosmark
4 cm dicke Scheibe einer reifen Ananas (ohne Schale und Mittelstrunk)
optional/nach Bedarf: ein Spritzer Limettensaft und/oder Zuckersirup

Piña Colada: Ein Drink von hier

Jedenfalls liegt es nah, dass ziemlich schnell Ananas – ob als wirklicher Saft oder einfach zerdrückt – mit Rum vermischt und getrunken wurde. Diese Praxis war gängig und blieb es lange: Die meisten Schnäpse waren fuselig, unsauber und hochprozentig, da taten die lokalen Früchte als Verdünner meist ganz gut. Überdies ist bekannt, dass das lokal ebenfalls vorhandene Kokoswasser vielfach (auch unter europäischen Seeleuten) als hygienisch unbedenklicher Trinkwasser-Ersatz getrunken wurde. Womit die Drei Zutaten der Piña Colada im heutigen Sinne dann auch zusammen wären.

Man brauchte dafür damals noch keinen gesonderten Namen, man trank eben, was gerade da war. Ab dem frühen 20. Jahrhundert kommen dann schriftliche Quellen auf, die entsprechende Mischungen z.B. als „Piña fria“ bezeichnen, also als „gekühlte Ananas“. Denn mittlerweile gab es natürlich auch Eis als meist verfügbaren Bestandteil. Auch die Begrifflichkeit der „Colada“ kommt auf, was soviel wie „gesiebt“ bedeutet. Feste Basis ist in diesen Erwähnungen, wie etwa 1910 durch den Journalisten Herbert de Lisser oder 1922 im Travel Magazine, schlicht die Mixtur aus Ananas und Rum. Hinzu kommen je nach Quelle mal Kokos, aber auch Zucker oder Limette.

Der Schritt vom Getränk zum Drink

Den wirklichen Schritt hin zur als Drink definierten Piña Colada machen u.a. die beiden Cocktailhistoriker Anistatia Miller und Jared Brown durch zwei Faktoren in der Mitte des 20. Jahrhundert aus: Erstens entwickelte sich der kurz vor dem dem Zweiten Weltkrieg auf den Markt gebrachte Elektromixer, der Blender, ab den Fünfzigern zu einem Verkaufsschlager. Und zweitens kam in Konserven abgefülltes Kokosmark bzw. Kokoscrème in den Handel.

„Frozen Drinks“ waren das Sommergetränk der Zeit, auf Kuba etwa arbeitete die Floridita Bar den traditionellen Daiquiri zu ihrem Topseller um, der dort bis heute im Blender zubereitet und millionenfach verkauft wird. Und im Caribe Hilton auf Puerto Rico (mehr US-Exklave geht wohl kaum) schenkte Bartender Ramon Perez seine als Piña Colada bezeichnete Mischung aus Rum, Kokosmark und Ananasfruchtfleisch aus, alles mit Eis im Blender zu einem viskosen, eiskalten Drink vermixt. Das Hilton in San Juan beansprucht bis heute „the birthplace of the Piña Colada“ zu sein.

Die Sahne: der große, zeitgeistige Irrtum

Dass der an sich großartige, seidig-fruchtige und feinsüße Drink dann besonders im deutschen Kontext zur oben erwähnten Entsetzlichkeit aus Sahne und Sirup mutierte, ist wohl schlicht ein Zeichen der Zeiten gewesen. Der hiesige Nachkriegsgaumen wollte Süßes, einen Cocktail gewordenen Schokoriegel, der nicht mehr nach Rum schmeckt. Daran wäre eigentlich nichts Schlimmes, wenn dadurch nicht das generelle Ansehen der ursprünglichen Piña Colada gelitten hätte. Denn wenn es irgendwann nur noch den zuckrigen Abklatsch gibt, versteht niemand mehr, warum der Drink eine zentrale Berechtigung hat.

Die Renaissance der Bar hat sich glücklicherweise irgendwann auch der Piña Colada zugewandt. Nachdem die neue Bartender-Generation den braunen, gerührten Kosmos der Manhattans und Old Fashioneds lang genug ausgelotet hatte, kam das Interesse an fruchtigen, tropischen Drinks wieder – nur eben mit einem neuen Fokus auf Zutaten und Qualität. Und welcher Drink steht mehr für exotischen, tropischen Cocktailgenuss? Eben. Und tatsächlich braucht es auch nicht mehr als die Urform: Rum, reife Ananas und Kokos sind als Mischung perfekt, mitunter muss je nach Geschmack der Frucht mit einer Spur Zuckersirup oder Limettensaft nachgeholfen werden, um die richtige Balance zu erzeugen.

Die Piña Colada weitergedacht

Besonders zeigt sich inhaltliche Auseinandersetzung dadurch, dass alte Rezepturen nicht nur wiederbelebt, sondern auch weiterentwickelt werden. Abseits der echten, klassischen Piña Colada aus Rum, pürierter Ananas und Kokosmark ist heute vieles möglich. So nahm der Münchener Barbetreiber und Buchautor Klaus St. Rainer die Variante aus seiner Goldenen Bar in sein 2014 erschienenes Buch mit auf: Rainer reduziert die Mischung zu einem Drink aus 6 cl Banks Rum und jeweils 4 cl Kokoswasser und frischem Ananassaft. Serviert in einer Schale ohne Eis, kommt seine Piña Colada mit feiner Bindung und festem Schaum eher wie ein fruchtiger Medium Drink mit dichter Aromatik rüber.

Einen Schritt weiter ging der taiwanesisch-amerikanische Bartender Gn Chan, der mit seinem Venceremos im Jahr 2016 die weltweite Bacardi-Legacy-Competition gewinnen konnte: Darin denkt er im Prinzip die Piña Colada weiter, indem er weißen Rum mit Saft aus Limette, Ananas und Gurke kombiniert und die nussige Komponente durch Kokoslikör und Sesamöl integriert. Ein herausragender, zeitgemäßer Cocktail.

Wir wissen nur nicht, ob er Rupert Holmes geschmeckt hätte. Aber Humphrey Bogart ganz sicher. Und ein bisschen flüssiger Eskapimus tut eben manchmal gut.

Credits

Foto: ©Sarah Swantje Fischer

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