Der Porn Star Martini ist ein Welterfolg. Wird der Name auch zu einem Politikum?
Der Porn Star Martini zählt weltweit zu den erfolgreichsten Cocktails. Ein legendärer Neoklassiker. Kein mixologischer Geniestreich, sondern ein simpler, zugänglicher Drink, dessen Weltberühmtheit auch in seinem Namen begründet liegt. Aber seine Geschichte erzählt auch noch von anderen Dingen, die ebenfalls vor der Bar und ihren Produkten nicht Halt machen.
Beginnen wir mit einem Missverständnis, besser mit einem Ärgernis, das im weiteren Verlauf des Artikels noch Gegenstand der Erörterung sein wird. Neulich sagte ein Bartender zu mir, dass man ja als Kreativer seiner Zunft durchaus zu den Kulturschaffenden zu zählen sei. Unfug! Besagter Bartender legt großen Wert auf seine Sprachsensibilität, einem der Buzzworte des zeitgeistigen Mainstreams. Zu dumm nur, dass der Kulturschaffende eine von den Nazis nach Gründung der Reichskulturkammer popularisierte Vokabel ist, die es 1946 sogar ins »Wörterbuch des Unmenschen« geschafft hat. Und weil sie so schön nach staubigem Kartoffelsack riecht, wurde sie in der DDR gleich weiterverwendet. Heute ist der Kulturschaffende gebräuchlich, um Inklusion anzuzeigen. Eine traurige Genese des Unguten zum Gutgemeinten.
Der Bartender, der aus bestehenden Materialien und Rezepten Neues entstehen lässt oder gar Terra Incognita betritt, darf sich mit Fug Künstler nennen. Als Treiber der Cocktailkunst. Manches daran hat sogar die Kraft des Disruptiven, der Grenzüberschreitung, der schmerzhaften Provokation, die nicht in ihrer produktiven Kraft sofort erkannt wird. Franz Kafka hat dafür in einem Brief an einen Freund die Metapher vom gefrosteten Meer gefunden. Nicht nur weil das Eis ein wichtiges Werkzeug des Bartenders und ein nicht minder wichtiger Bestandteil von Cocktails ist, beschreibt seine Definition von wirkmächtiger Literatur ebenso die Wirkung innovativer Cocktails. „Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selbst schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muss eine Axt sein für das gefrorene Meer in uns.«
Porn Star Martini
Zutaten
6 cl Vodka
1,5 cl frischer Limettensaft
3 cl Vanille-Sirup (hausgemacht)
2 ganze Passionsfrüchte
Champagner
Der Name bleibt
Klingt martialisch und pathetisch, wie ein Anschlag auf Safe spaces und wenig sensibel. Aber genau darin besteht das Wesen der Kunst, auch der Cocktailkunst. Dabei ist es völlig egal, wie man vorgeht. Moderne Klassiker (ebenso wie die »alten« klassischen Drinks) sind meist nach einfachen Kriterien gebaut: Komplexität in der Simplizität, Reproduzierbarkeit, Affinität und Differenz zugleich zum Zeitgeist und – sehr wichtig – Assoziationskraft des Namens. Wer erinnert sich schon an die vielen technisch, sensorisch und geschmacklich herausragenden Siegerdrinks der unzähligen Wettbewerbe? Die wenigsten haben jemals Einzug in das Barmenü relevanter Bars gehalten oder sind gar international rezipiert worden. Es blieben Bartender-Drinks, die die eigene Blase nie überwunden haben. Aber Orgasmus und Sex on the Beach erinnern an erste erotische Abenteuer, Swimming Pool und Mai Tai an Fernreise und Exzess, der Gin Basil Smash an die kühle Perfektion des sophisticated Bartendings nach der Renaissance der Barkultur.
Sturzbesoffen – sturzbetroffen
Genauso gut funktioniert die Dekonstruktion. Die bei distinguierten Bartendern so verhasste Piña Colada wurde von Martin Hein in seinem Düsseldorfer Edelrestaurant schon mal zum in seine Bestandteile zerlegten On-top-Dessert zur Steinbutt-Hummer-Bratwurst. Das Downgraden, das Herausholen aus dem Elfenbeinturm heiliger Ikonen wie des Sankt Martini war nur eine Frage der Zeit. Und die war zum Millenniumswechsel reif.
Es ging dem König des Cocktails an den Kragen. Während Trash-TV, Unisex-Toiletten, Love Parade, Kit Kat Club, Internet und Porno anschlussfähig für die Populärkultur wurden, hat auch der Martini Bekanntschaft mit dem harten Leben machen müssen. Es ist nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet während die Barlandschaft vor 20 Jahren sich auf ihre reichen historischen Traditionen besann und einen gewaltigen qualitativen Schub erfuhr, das Credo des Anythig goes auch vor dem Martini Cocktail nicht halt machte. Die Abwandlungen wie Vesper (okay), »Espresso Martini«, »Chocolate Martini« und »Dirty Martini« fanden noch gnädige Aufnahme bei den Hütern der Zunft. Aber dann: »Apple Martini«, mit Apfelkorn oder Calvados, »Breakfast Martini« mit Cointreau und Orangenmarmelade, Bubblegumtini mit Kaugummisirup und Blue Curacao. Oder gar, da ist er nun endlich, ein »Porn Star Martini«.
Die Puristen waren entsetzt. Die einen sturzbesoffen, die anderen sturzbetroffen. Dass praktisch alle genannten Drinks mit Vodka als Hauptspirituose zubereitet wurden, hat nicht unerheblich zum Höllengang dieser Spirituose vor dem jüngsten Gericht der Mischologen beigetragen. Ein Schnaps, der alles mit sich machen lässt und jede Sünde vergibt, ist zwar geistlich, muss aber exkommuniziert werden. Aber warum so papistisch? Werfen wir einen genaueren Blick auf den Porn Star Martini. Anhand seiner Geschichte und einiger Nebenaspekte erfahren wir Interessantes, auch über die reine Historie des Drinks hinaus.
Geniestreich Porn Star Martini
Zunächst einmal ist der Porn Star Martini ein Geniestreich, sein Erfinder Douglas Ankrah, der im Spätsommer 2021 unerwartet verstarb, wurde durch ihn ein wohlhabender Mann. Ankrah war bereits ein renommierter Bartender, der die ausgezeichnete Lab Bar in London betrieb und im Begriff war, seine zweite Bar Townhouse zu eröffnen. Eigentlich wurde der Drink maßgeblich in Australien entwickelt, bestehend hauptsächlich aus Vodka und Passionsfrucht. Ankrah hat ihm mit einer Dosis Vanille und als Sidekick ein extra serviertes Glas Champagner, zu einem wunderbaren Sommerdrink und einem der populärsten Cocktails der Welt gemacht. Auf MIXOLOGY Online wurde 2019 schon das Harpers Magazine zitiert, in dem ein Sprecher der gigantischen Cocktailbarkette Be At One zu Protokoll gab: „Der Porn Star Martini ist der Cocktail, der seit seiner Einführung im Jahre 2013 den größten Absatzzuwachs verzeichnet. Sein Anteil am Absatz beträgt 15 Prozent. Wir verkaufen jeden Tag 1.500 Stück, und das macht über eine halbe Million Cocktails pro Jahr.“
Laut einer Recherche von The Spirits Business, dem weltweit wichtigsten Pressedienst für die Spirituosenbranche, ist der Porn Star Martini (Stand Juli 2021) inzwischen in 18 Ländern rund um den Globus der am meisten gegoogelte Cocktail überhaupt – darunter Indien, Russland und die Philippinen. Unterordnen muss er sich in besagter Liste überhaupt nur sehr wenigen Drinks, die alle in einer völlig anderen historischen Liga spielen: Margarita, Piña Colada, Moscow Mule, Sangria und Old Fashioned. All diese Drinks gibt es seit Jahrzehnten oder Jahrhunderte. Der Porn Star Martini brauchte nur ein paar Jahre.
Es gibt und gab auch von ihm diverse Varianten und Ready-to-serve-Abfüllungen als Me-too-Produkte unter anderem Namen, auch von Douglas Ankrah selbst, der seinen angeblich originalen Drink (14,9 % Vol.) in 0,7-Liter-Flaschen vermarktete.
Dabei begann alles – wie so oft – ganz einfach. In einem Interview mit The Buyer erzählte Ankrah, wie er in Kapstadt war und an seinem Buch Shaken – Douglas Ankrah‘s Cocktails schrieb. Er habe einen Club namens »Maverick« (Einzelgänger) besucht, da habe er seinen Heureka-Moment gehabt und die Idee für den Cocktail ausgebaut. Zunächst hieß er auch »Maverick Martini«, bevor er sich zum Porn Star Martini hochschlief.
Conor Myers, ein aus Dublin stammender, umtriebiger Bartender, ist ein großer Fan des Drinks und der Kultur, die dahinter steht. Er sei vor vielen Jahren nach London gekommen, um sich inspirieren zu lassen. Zu seiner Überraschung waren die Bartender nicht in Dreiteiler wie Al Capone gekleidet, sondern trugen einfache Kleidung mit oder ohne Schürze. Der Umgang mit dem Gast sei ebenso leger gewesen: „Das war eine Wohltat. Es war ja die Zeit, als man schief angesehen wurde, wenn man keinen Mezcal getrunken hat. Bei Ankrah wurden Drinks gemacht, die dem Gast schmeckten und nicht unbedingt dem Bartender.“ Eine Maxime, die er zu seinem Ethos werden ließ. Inzwischen ist Myers der kreative Kopf im Underdog in New York und kann sich das Feixen nicht verkneifen, wenn er demonstriert, wie er mit einer der Slushy-Maschinen einen Frozen Porn Star Martini mit Haselnusslikör produziert.
Manhattan – Womanhattan
Wenn man den sagenhaften Erfolg des Porn Star Martini beleuchtet, kommt man an seinem Namen nicht vorbei. Er ist verantwortlich für die Megastory, so ehrlich muss man sein. Er ist natürlich auch immer wieder verantwortlicher Anlass heftiger Debatten. Sogar Zensur wird daran geübt, wobei doch gewöhnlich die Kunstfreiheit und selbstverständlich auch die Titulierung des Werkes durch den Künstler zu seiner Autonomie gehört. Ankrah hat die Gefahr bereits erkannt, die einer uneingeschränkten Vermarktung seiner Kreation unter dem provozierenden Titel im Wege steht und macht Konzessionen an die Bigotterie und Doppelmoral des zeitgeistigen Reinheitsgebots der Sprache. In The Buyer auf den Namen angesprochen, erklärte er treuherzig, der sei in keiner Weise sexuell konnotiert. Er habe sich einfach nur vorgestellt, was wohl so ein Porn Star gerne trinken würde. Beinahe im gleichen Atemzug charakterisiert er den Drink aber als neckisch, keck und sexy.
Allein, wer will es ihm glauben? Über den weitaus unverfänglicheren Espresso Martini von Dick Bradsell kursiert die Legende, er habe ihn erfunden als ein Model – vermutlich Kate Moss oder Naomi Campbell, Bradsell hat das Geheimnis nie preisgegeben – an die Bar im Fred‘s Club Ende der 1980er Jahre kam und die Order abgab, sie wolle »something to wake me up and then fuck me up«.
Eine Anekdote, wahr oder nur gut erfunden, die heute beinahe aus der Zeit gefallen scheint. Inzwischen grassiert der mit weltlich-religiösem Furor aufgeladene Ungeist in den Sozialen Medien, Unternehmen und deren Produkte anzuklagen, verbal zu teeren und zu federn, wenn Bezeichnungen vermeintlichen sittlichen Ansprüchen nicht genügen. Nicht gemeint sind diskriminierende oder rassistische Bezeichnungen von Personen, Gruppen, Ethnien oder Geschlechtern, sondern die Idee mit Sprachkärcherei eine homogene Welt schaffen zu können. Eine Utopie, die sich historisch betrachtet stets in eine Dystopie aus Freudlosigkeit und Monokultur verwandelt hat. Eine Welt jedenfalls, in der Kunst und Kreativität nicht oder nur klandestin existieren.
Weit davon entfernt zu sein heißt nicht, bereits erste Spielarten dieser Tendenzen nicht kritisch in den Blick zu nehmen. Bei Amazon ist kein Ready-to-serve namens Porn Star Cocktail oder Porn Star Martini zu finden, wohl aber ein Nachahmerprodukt aus Holland, »Passion Fruit Martini«, mit miserablen Bewertungen ob seiner Zuckerlastigkeit. Auch der britische Einzelhandelsmulti Marks & Spencer mit seiner Marktmacht von 10 Milliarden Pfund Umsatz pro Jahr hat sich den Anwürfen gebeugt: Man würde mit dem Porn Star Martini Pornografie normalisieren. Nun heißt er »Passion Star Martini«. Manche Bars führen ihn unter »P*** Star Martini«. Marks & Spencer hat dafür viel Kritik einstecken müssen, aber die Angst vor dem Shitstorm war größer. Apropos »Storm«: Stormy Daniels, eine berühmte amerikanische Pornodarstellerin, hätte beinahe Donald Trump gestürzt und war nur gegen eine hohe Schweigesumme dazu bereit, die Welt nicht mit den Einzelheiten der horizontalen Debakel des ehemaligen Präsidenten zu beglücken.
Gekünstelte Homogenität ist Gift
Es ist eine einzige Bigotterie und verlogener, geistig-moralischer Niedergang, das Spiel mit dem Begriff »Porno« zu stigmatisieren oder zu ächten. Porno ist Teil des Jugendslangs, in dem man sich besonders anerkennend über etwas als »das ist porno« äußert. Die Gesellschaft wird gegenüber nicht heteronormativen Lebensmodellen immer durchlässiger und toleranter, die gesamte Werbung ist sexualisiert – aber kein Porno? Porno ist überall, darf nur nicht so heißen. Pornografisch ist allenfalls der Eingriff in die Freiheit von Wort und Kunst. Wer die Dinge nicht benennt, verliert das kulturelle Gedächtnis und wenn wir Namen und Assoziationsketten tilgen, tauchen wir in eine hermetische, puritanische Sphäre ein, die nicht progressiv ist, weil kein Weiterdenken aus den Widersprüchen heraus mehr möglich ist. Homogenität mag bei der Milchherstellung sinnvoll sein. Nicht aber in der Fantasie.
Auch wenn es verständlich ist, dass man in Phasen erhitzter gesellschaftlicher Debatten seine Produkte schützt und umbenennt, stellt das einen klaren Eingriff in die Autonomie dar. Noch bedenklicher ist es, wenn auch Bars oder Medien aufgefordert werden, sprachliche Eingriffe vorzunehmen. Erste Tendenzen sind hier bereits dokumentiert. Die Welt der Bars und Drinks läuft in die Falle, wenn sie sich jakobinisch auflädt. Die Bar ist das Unkorrekte, Hedonistische, die Nacht und das Sakrileg. Anders ist sie nichts. Sie ist nicht das Heilige, das Sündenfreie – das ist bekanntlich nicht einmal die Kirche. Obwohl sich die Kirche einmal fragen sollte, warum in den meisten Pornos öfter »Oh, my God« gerufen wird als in jedem Gottesdienst.
Bis dahin bleibt eigentlich nur, diese Phänomene und Verirrungen mit Humor zu begleiten. In den USA erlangte kürzlich ein Pastor und Abgeordneter negative Berühmtheit, weil er eine Eröffnungspredigt des Kongresses mit den Worten »Amen and A-women« beendete. Natürlich wusste er, dass die liturgische Formel »Amen« (So sei es!) etymologisch aus dem Hebräischen stammt und nicht gegendert werden kann. Somit hat in gewissem Sinne auch er Humor im Dienste seines Anliegens bewiesen. Fug und Unfug liegen nahe beieinander. So ist es auch eher nicht zu erwarten, dass demnächst auf den Barkarten dieser Welt zu lesen sein wird: Manhattan and Womanhattan. Aber wer weiß das schon. Echt Porno das Ganze.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Printausgabe 4-2021 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur. Für diese Wiederveröffentlichung wurde er minimal adaptiert und aktualisiert. Information zu der Bestellung eines Einzelheftes findet sich hier, Information für ein Abonnement hier (via Verlagsseite Meininger Verlag).
Credits
Foto: Jule Frommelt