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In einem ehemaligen Postamt von Oslo haben sich mehrere Bars zu einer Art Drinkhub zusammengeschlossen, den Posthallen

Neun Konzeptbars unter einem denkmalgeschützten Dach: das Osloer Avantgarde-Projekt „Posthallen“

Food Markets erobern die Städte. In den „Posthallen“ in Oslo aber wagt man den Schritt vom Teller zum Glas: In einem ehemaligen Postamt der norwegischen Hauptstadt haben sich mehrere Bars zu einer Art Drinkhub zusammengeschlossen, um die Drinks-Qualität der Stadt unter einem Dach zu präsentieren. Und das funktioniert. Zu Besuch bei einem Avantgarde-Projekt.

Kaum aus dem Zug in Oslo ausgestiegen, tut sich zur linken der majestätische Opernkomplex auf, der sichtlich einem Eisberg nachempfunden ist. Geplant als Prestigeprojekt der norwegischen Kapitale, teilt er sich mit dem Berliner Flughafen die dekadenlange Diskussion um ihn. Von ihm unterscheidet sich jedoch die Aufteilung von Planung und Umsetzung. Während in Oslo bereits über Jahrzehnte vorher geplant und bereits fünf Monate vor anvisierter Fertigstellung eröffnet wurde, war es in Berlin … anders.

Auch der Neubau des Munch-Museums direkt dahinter – der inzwischen dreimal so groß ist wie seine Vorgängerversion – zeigt dem Osloer Ankömmling: geschlafen wird woanders; in Oslo entsteht. Aus Berlin kommend, beinahe provozierend. Dort wird diametral anders nicht geschlafen. Auf dem Oslofjord schwimmen dampfende Saunen, der Boden ist müllfrei, Zigarettenstummel mit eingerechnet. Bestimmt können die Osloer auch irgendetwas nicht. Doch seit dem 11. November vergangenen Jahres glänzt die Stadt zusätzlich mit einem liquiden Comeback ihrer historischen Posthallen, und zwar mit weltweitem Alleinstellungsmerkmal.

Posthallen Oslo

Posthallen

Prinsens gate 8
0152 Oslo

High-end Guilty Pleasures in den Posthallen

Hier hauchten Alex Breivik und sein bester Freund und Compagnon Erkan Yelkenci Oslos altem Hauptpostamt neues Leben ein. Die geschichtsträchtigen Mauern haben bereits so einiges hinter sich; erbaut von 1914 bis 1918 sowie von 1921 bis 1924, steht der Raum unter dem mehr als 11 Meter über dem Boden befindlichen Dach längst unter Denkmalschutz. Über dem Raum thront jetzt ein Kronleuchter oder eine Neonröhren-Installation oder beides. Wo früher Versandtheken standen, stehen heute Regale im gleichen Stil. Doch werden hier nicht mehr Pakete und Briefe abgeholt, sondern Cocktails und Drinks in allerlei Formen und Farben. Nämlich an acht Bars verschiedenster Façon: Da wäre das Tukan, eine tropische Tiki Bar, betrieben von der Cocktailbar Svanen, die Aperitif-Bar Red Drop unter der Leitung von Tomas Ricciardi, ehemaliger Barmanager der Osloer Bar Bettola und Finalist diverser Cocktail Competitions, oder Seid, die norwegische Antwort der Bar mit einer ganzen Menge Aquavit und unter der Ägide von Magnus Thorseth, der 2021 die World Class für Norwegen gewonnen hatte.

Da wäre außerdem die Guilty Pleasure Bar, in der getrost Piña Coladas (mit Maulbeeren!) und Strawberry Daiquiris bestellt und auf höchstem Niveau kredenzt werden, sowie die Gin Bar Chair – dort gibt es Gin. Im Dios Mio schenkt Luis Vavik, ursprünglich Mexikaner und in Texas und Oslo aufgewachsen, Tequila, Mezcal und Bourbon aus, seine Mutter Yolanda verantwortet das “texican food.” In der Postbar gibt es Bier und im Bacchus Wein. Allen Bars der Posthallen gemein ist eine kollektive Prep-Küche, die alle nutzen können – „so können die Bars miteinander arbeiten und voneinander lernen“, so Breivik. Er und Yelkenci nennen das Konzept „Drinkhub“, also eine Kneipenhalle – die erste Norwegens sowie die erste weltweit.

Startup-Spirit meets Hospitality

In Deutschland erinnert dieser Begriff stark an die Trinkhalle, einen seit 2021 zum immateriellen Kulturgut gezählten ruhrländischen Umschlagplatz für Getränke aller Art, irgendwo angesiedelt zwischen dem Berliner Spätkauf und einem Imbiss.

Doch dieser Vergleich hinkt massiv. Die Posthallen sind viel eher eine „Bar Mall“, eine Flaniermeile des guten Geschmacks, ein aus Tresen und Sitzmöbels bestehendes Harrods. Werbung und PR hat es für den Eröffnungstag der Posthallen nicht gebraucht. Um 16 Uhr ging es los, „und plötzlich waren hier hunderte von Menschen“, so Breivik: „Die Nachricht hat sich deutlich schneller herumgesprochen, als wir zu hoffen gewagt hätten. In den ersten 30 Tagen waren rund 20.000 Gäste hier.“

Er erzählt, dass das Chair und Guilty Pleasure am schnellsten angelaufen sind, wobei alle Bars Anklang finden – gerade weil man von einigen Bartender durch ihre Stationen im Svanen oder Himkok bereits gehört hat. „In der Barindustrie dreht sich alles um die Menschen und darum, wie sie miteinander interagieren. Wenn man also einen Ort wie diesen gründet, braucht es die richtigen Leute in ihren Positionen. Sie sind diejenigen, die am Ende die Lokalität und ihre Atmosphäre formen.”

Auch die einzelnen Konzepte bleiben bei den jeweiligen Bars und ihren Bartendern. Wie aber kommt man zu einem Großprojekt dieser Natur? Dass sich acht Konzeptbars unter einem denkmalgeschützten Dach finden, die alle für individuelle Themen und Getränkezubereitungen haben, und dennoch miteinander funktionieren? Nicht dennoch – deswegen, lautet die Antwort. Vom Tech Business kommend und auf das Bar Business losgelassen, war es Breivik bald klar, dass es hier nach Potenzial riecht. Für gewöhnlich, erzählt er, gehören in Norwegen viele Gastronomien nur einem Besitzer – diese großen Konglomerate seien der Qualität tendenziell nicht dienlich. Im Sinne der Kreativität nahm Breivik die Wertschätzung vieler kleiner Player aus der Startup-Szene mit. Wenn es allen Bartendern in den Posthallen gelänge, auch außerhalb der Halle eine Bar aufzuziehen, würde ihn das ausgesprochen freuen.

Der Ansturm auf die Posthallen war von Tag Eins an groß
Der Ansturm auf die Posthallen war von Tag Eins an groß
Die Posthallen versammeln einige der führenden Bartender:innen Norwegens
Die Posthallen versammeln einige der führenden Bartender:innen Norwegens

Oslo als Cocktail-Kapitale

Breiviks Idee der Posthallen als eine Spielwiese für Bartender und ihre Barkonzepte ist gesäumt von der Vorstellung, dass sich hier ausprobiert, ausgetauscht und das Publikum erkundet wird, und das Konzept draußen expandiert. Zumindest in der Theorie; noch wolle keiner weiterziehen und den Rest der liquiden Postamt-Belegschaft verlassen. Auch wenn die Stadt Großes mit ihnen vorhätte nach einer Rampe, als die Breivik die Posthallen versteht. Denn Oslo, verrät Breivik nur halb witzelnd, dafür umso geheimnisvoller, „ist die Cocktail-Kapitale der Welt.“

Und das nicht erst, nachdem das Himkok auf die Liste der World’s 50 Best Bars gekommen ist, dennoch ab dann mit Anlauf. Gerade die letzten sieben bis acht Jahre sieht er als wegweisend im Aufpoppen von Bartender:innen und Bars mit internationalem Renommee, wie etwa Chair Bar, Pir42 oder Svanen. Dafür macht er insbesondere die hohen Löhne und guten Arbeitskonditionen verantwortlich, außerdem zwei weitere Bewegungen: International gesehen, wird Oslo immer attraktiver für Bartender, die sich ausprobieren wollen. Auf nationaler Ebene sehe es eher so aus, dass die Osloer Barkultur nach außen strahle – nach Bergen, Trondheim oder Tromsø. Was in Oslo funktioniert, wird adaptiert. Und was in Oslo funktioniert, das wird in einem neuen Inkubator ausklamüsert.

Übrigens muss man sich nicht entscheiden, in welcher Bar man einkehren möchte, was gerade für größere Gruppen mit diversen Vorlieben von Vorteil ist. Mithilfe einer eigens für die Drinkhub entwickelte App können Drinks aus allen Etablissements bestellt und entsprechend abgerechnet werden. Mit der App sieht man außerdem, wieviel Bestellungen noch vor der einem liegen: „Die gute Sachen daran: Wenn man sieht, dass da noch 40 Drinks vor dem eigenen gemacht werden, schaut man sich möglicherweise nach einer anderen Bar in der Halle um – so verteilen sich die Gäste und probieren auch einmal etwas neues,” erklärt Breivik.

Im Dios Mio gibt es Tequila, Mezcal, Bourbon und “texican food“
Im Dios Mio gibt es Tequila, Mezcal, Bourbon und “texican food“
Mit dem Tukan gibt es auch modernes Tiki in den Posthallen
Mit dem Tukan gibt es auch modernes Tiki in den Posthallen

Feiern für Feingeister

Apropos Gruppen: Vielleicht ist es eine German Angst von Barkultur-affinen Menschen, doch wenn man von „Gruppen“ im Barkontext spricht, schieben sich schnell wüste Vorstellungen von Junggesell:innenfeiern und dergleichen in den Mandelkern der Amygdala. Nicht einmal mit dem im 1980er Miami Vice-Stil gehaltenen Guilty Pleasure ist dieser Gedanke erträglich.

„Damit haben wir überhaupt keine Probleme“, versichert Breivik. „Hier gibt es absolut ausreichend Raum für Bachelorpartys.” Er sagt klipp und klar, dass er nicht will, dass die Posthallen eine steife, exklusive Meute von Schnöseln beherberge – bloß solle die Bachelorparty gern gehen, bevor sie richtig betrunken werde. Breivik und Yelkenci haben es mit ihrer Kuration von Bars und Interieur geschafft, eine Atmosphäre herzustellen, in der die Gäste wissen, wie sie sich zu verhalten haben. Außerdem gäbe es da noch ein paar Guards, stets einsatzbereit. Von Donnerstag bis Samstag sind es teilweise bis zu 2.000 BesucherInnen, wobei es erst einmal dazu kam, dass eine Sicherheitskraft eingreifen musste. Inzwischen sind 14 Firmen am Projekt Posthallen beteiligt, 60 Prozent aller über den Tresen gegebenen Getränke sind Cocktails.

Wofür man ansonsten eine Städtetour gebraucht hätte, bestenfalls mit Guide und ausgefeilter Logistik, hält heute die Prinsens gate 8 her. Hier verleibt man sich eine seismographische Stunde norwegischer Barkultur in einer Nussschale ein. Also, im Sinne eines Tumblers. Quasi ein Schloss Neuschwanstein der norwegischen Cocktail-Kultur für „Europa in 3 Tagen“-Reisende. Trinkbares Oslo, serviert auf einem Silbertablett in Art déco.

Als kurz vor Eröffnung die Leute vom Denkmalschutz kamen, waren diese positiv überrascht und die Abnahme verlief überaus flauschig. Solche und andere magische Begebenheiten tragen sich in den Gemäuern des alten Postamts der Munch-Stadt zu.

Credits

Foto: @katyaskamera

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