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Die Geschichte des Pousse Café, Teil 1

Die Geschichte des Pousse Café, Teil 1 – Einleitung und Kaffeekultur im Osmanischen Reich

Pousse Cafés sind heute weitestgehend vergessen und spielen in der zeitgenössischen Barkultur keine Rolle. Trotzdem sind sie für die Drinks-Historie ebenso wichtig wie der Punch. In unserer zehnteiligen Serie „Die Geschichte des Pousse Café“ widmet sich Armin Zimmermann allumfassend den bunten Schichtgetränken und präsentiert eine Reise, die uns mitnimmt zur orientalischen Kultur, französischen Sitten, der Emanzipation der Frau, der Entwicklung des Salons, der Kolonialpolitik, der Auswanderung und Flair-Bartending.

Prolog

Den Pousse Café kennt heute niemand mehr. Wer Barbücher liest, mag sich an ihn erinnern, als ein kunterbuntes Schichtgetränk aus süßen Likören. Man meint zunächst, dass man über ihn nicht viel berichten könne, dass man ihn vernachlässigen könne, und dass er überhaupt ein unwichtiges Getränk sei.

Wenn man sich jedoch näher mit seinem soziokulturellen Hintergrund beschäftigt, erkennt man, wie tief er in die Trinkkultur Europas, in die gesellschaftlichen Sitten eingebunden ist. Sein Ursprung reicht weit in die Vergangenheit, und man kann ihn für die Entwicklung der Mischgetränke als ebenso wichtig wie den Punch erachten. Englische, französische und deutsche Kultur verschmolzen miteinander in der amerikanischen Bar und alles vereinigte sich zu dem, was wir heute als amerikanische Barkultur kennen. Begleitet mich in den folgenden Beiträgen dieser Serie auf einer Reise, die all diese Zusammenhänge aufzeigen wird. Wir werden sehen, wie wichtig orientalische Kultur, Kaffeehauskultur und französische Sitten, die Emanzipation der Frau, die Entwicklung des Salons, die Kolonialpolitik, deutsche Regimentsmischungen, die Auswanderung und Flair-Bartending für den Pousse Café sind.

Zu jedem Beitrag dieser Serie präsentieren wir einen historischen Pousse Café
Zu jedem Beitrag dieser Serie präsentieren wir einen historischen Pousse Café

Pousse Café

Zutaten

1/6 Himbeersirup
1/6 Maraschino
1/6 Chartreuse jaune
1/6 Brandy
1/6 Vanilla (hier Giffard Vanille de Madagascar)
1/6 Curaçao

Derwische

Beginnen müssen wir ganz am Anfang – beim Kaffee. Die Pflanze stammt aus Äthiopien und im Jemen wurde sie vermutlich erstmals kultiviert. Im Sufismus, einer dort praktizierten Variante des Islams, versetzte man sich in eine Trance, indem man die Blätter des Kathstrauches kaute. Diese waren jedoch nicht immer erhältlich, weshalb ein islamischer Rechtsgelehrter empfahl, stattdessen Kaffee – er nannte ihn „qahwa“ – zu trinken. Dieses Getränk vertriebe nämlich nicht nur Müdigkeit, sondern auch Schwermut. Dadurch wurde es für die Sufis – so nennt man die Anhänger dieser Glaubensrichtung – möglich, den „Tanz der drehenden Derwische“ aufzuführen.

Mekka

Es dauerte nicht lange, bis sich Kaffee weiter verbreitete. Ende des 15. Jahrhunderts errichtete man in Mekka Kaffeehäuser. Zwischenzeitlich wurde der Genuß von Kaffee als „harām“, als etwas Unerlaubtes, erklärt und verboten. Nach kurzer Zeit wurde Kaffee jedoch wieder konsumiert.

Suleiman der Prächtige

Von 1520 bis 1566 war Suleiman der Prächtige Sultan. Während seiner Regierungszeit kam Kaffee in Konstantinopel, so nannte man Istanbul damals, in Mode. Der osmanische Historiograph Ibrahim Peçevi schrieb: „Bis zum Jahr 962 [= 1554/1555] war sowohl in der Hauptstadt als auch allgemein in den osmanischen Gebieten Kaffee unbekannt, und es gab keine Kaffeehäuser. Um dieses Jahr herum kamen ein Mann namens Hakim aus Aleppo und ein Mann namens Schams aus Damaskus in die Stadt. Sie eröffneten jeweils einen großen Laden im Stadtteil Tahtakalé und begannen, Kaffee zu liefern. Diese Läden wurden zu Versammlungsorten für Vergnügungssüchtige, Müßiggänger, aber auch für einige literarische Schöngeister; sie machten es sich zur Gewohnheit, sich in Gruppen von zwanzig oder dreißig zu treffen; einige lasen Bücher oder schöne Schriften, andere waren mit Trie-Trac oder Schach beschäftigt, wieder andere brachten neue Gedichte mit oder sprachen über Literatur. Diejenigen, die es gewohnt waren, viel Geld für Mahlzeiten auszugeben, um sich zu versammeln, stellten fest, daß sie die Freuden des Zusammenseins auch erreichen konnten, wenn sie nur einen oder zwei Aspre als Kaffeepreis ausgaben. Das ging so weit, daß alle Arten von arbeitslosen Beamten, Richtern und Professoren, die alle nach Beförderungen suchten, und Unbeschäftigte verkündeten, daß es keine vergleichbaren Orte für Vergnügen und Entspannung gäbe, und sie füllten sie, bis es keinen Platz mehr gab, um sich hinzusetzen oder aufzustehen. Das wurde so wohlbekannt, daß neben den Inhabern hoher Ämter auch große Männer nicht anders konnten, als dorthin zu kommen. Imame, Muezzine und scheinheilige Fromme sagten: „Die Leute eilen in die Cafés, und niemand kommt in die Moscheen“, und die Ulema verkündeten ihrerseits: „Das sind Häuser des schlechten Lebens; es ist besser, in eine Taverne zu gehen als dorthin“. Die Prediger bemühten sich sehr, Cafés zu verbieten: Die Muftis argumentierten, daß alles, was bis zur Verkohlung verbrannt wird, also zu Kohle wird, illegal sei, und erließen Fatwas gegen das Café.“

Die folgenden Sultane

Unter den auf Suleiman folgenden Sultanen wurden Kaffeehäuser wieder verboten, einige Muftis erlaubten den Kaffee, andere lehnten ihn ab. Kaffeehäuser waren ein Ort, an dem die Regierung kritisch kommentiert wurde, weshalb durch die Behörden Dekrete dagegen erlassen wurden – die jedoch wenig Wirkung zeigten. Schließlich war Kaffee so verbreitet, dass man sein Verbot aufheben mußte. Es wurde erklärt, dass Kaffee ja gar nicht vollständig verkohlt sei, und deshalb sei das Kaffeetrinken doch nicht illegal. Später wurden Kaffeehäuser wieder verboten, da die Bevölkerung ihre Unzufriedenheit darin zu sehr äußerte. Schließlich wurden sie unter Sultan Mehmed IV, der zwischen 1648 und 1687 regierte, wieder eröffnet.

Trotz all dieser Verbote wurde Kaffee zu einem festen Bestandteil der islamischen Kultur und das Kaffeehaus entwickelte sich zu einer politischen Institution. Man diskutierte dort miteinander und kritisierte den Sultan und die Obrigkeit, weshalb Kaffeehäuser überwacht wurden.

Europäische Kenntnisnahme

Auch in Europa nahm man Notiz vom osmanischen Kaffeekonsum. So schrieb beispielsweise Pietro della Valle um 1614: „Die Türken haben auch ein anderes Getränk, dessen Farbe schwarz ist, und im Sommer ist es sehr erfrischend, während es im Winter sehr heiß ist, … und man trinkt es in langen Zügen, nicht vor dem Essen, sondern danach, als eine Art Süßigkeit, und in Schlucken, um sich in der Gesellschaft von Freunden bequem zu unterhalten … . Dieses Getränk, … und die Frucht, die er hervorbringt, heißt Cahvé, … .“ Jean Thevenot schrieb im Jahr 1664: „Aber sie haben noch ein anderes [Getränk], das ihnen sehr gewöhnlich ist. Sie nennen es Cahvé und verwenden es zu allen Stunden des Tages … ; manche mischen Nelken und einige Kardamonkörner … hinein, andere fügen Zucker hinzu … . Es gibt keinen Armen oder Reichen, der nicht mindestens zwei oder drei Tassen am Tag trinkt, und es ist eines der Dinge, zu denen der Ehemann verpflichtet ist, seine Frau zu versorgen… .“

Fazit

Die Sitte, Kaffee zu trinken, kam also aus dem Jemen ins osmanische Reich. Dort wurde der Kaffeekonsum zu einem festen Bestandteil der Kultur. Man traf sich im Kaffeehaus, um zu diskutieren, man trank ihn mit Freunden, um sich zu unterhalten, nach dem Essen servierte man Kaffee.

Im nächsten Teil der Serie werde ich einen Zeitgenossen zu Wort kommen lassen, der uns mehr über die osmanischen Sitten und die Ankunft des Kaffees in Paris zu berichten weiß.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

Comments (1)

  • Vincent

    Ich freue mich schon sehr auf die gesamte Artikelserie. Danke dafür.

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