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Professor Langnickel: Die Tollheit der Kirsche

Der Professor Langnickel ist ein früher Obstbrand-Drink aus dem Le Lion in Hamburg. Die Basis dafür bildet ein besonderer Kirschlikör aus Frankreich. Wir haben mit dem Erfinder des robusten Cocktails, Mario Kappes, die Geschichte nachgezeichnet.

Ein Cocktail, der Professor Langnickel heißt, hat es leicht und schwer gleichzeitig. Zum einen weckt der Name aufgrund seiner Ungewöhnlichkeit sofort Interesse. Andererseits weckt er dabei nicht unbedingt aromatische Assoziationen; man denkt nicht sofort an etwas Cremiges wie bei Colada oder erahnt gedanklich bereits das erfrischende Prickeln eines Fizz. Und wie wir alle wissen: Auch ein Cocktail ist nichts anderes als eine Kaufentscheidung, die man im Bruchteil einer Sekunde fällt.

Das betrifft im übrigen auch Leseentscheidungen. Wer also bis hierher gekommen ist, der oder die ist schon mal interessiert an einem Drink, der Professor Langnickel hießt. Gut so. Treten Sie näher. Es lohnt sich. Vor allem für Kirschenfreunde.

Professor Langnickel

Zutaten

4 cl Kirschwasser
2 cl Guignolet de Dijon Gabriel Boudier
2 cl Lustau San Emilio Pedro Ximénez Sherry

Eine gute Geschichte hilft immer

Wir werden die Spannung auch nicht künstlich in die Länge ziehen wie in einer schlechten Netflix-Serie. Also kein Cliffhanger, sondern direkt mit Kopfsprung rein in die Coupette: Der Professor Langnickel ist nach einer wahren Person benannt. Diese heißt Hans Langnickel, ist ehemaliger Professor der Soziologie und seit 2001 auch Betreiber der Bar Barfly in Köln.

Dort ist der Drink, der nach ihm benannt ist, allerdings nicht entstanden. Vielmehr wurde er von Mario Kappes im Jahr 2008 im Le Lion entwickelt, genauer gesagt: am 20. Januar 2008. Hans Langnickel und seine Frau waren in der damals erst wenige Wochen jungen Hamburger Bar zu Gast, und nach einigen Sherry-Drinks sollte Mario Kappes einen neuen Sherry-Cocktail aus dem Köcher zaubern. Also tat er das, wofür er in seiner Zeit als aktiver Bartender bekannt war: gekonnt improvisieren. Das Ergebnis war in diesem Fall ein Dreiteiler aus Kirschwasser, dem Kirschlikör Guignolet de Dijon von Gabriel Boudier sowie Lustau San Emilio Pedro Ximénez Sherry. Ein Ergebnis, das heute selbstverständlicher klingen mag, als es das damals war; 2008 waren Kirschwasser oder Kirschbrand schließlich alles andere als gängige Cocktail-Zutaten. Oliver Ebert war zu jener Zeit noch lange nicht der Obstbrand-Guru, der er heute ist, und in Offenburg war man im Schoellmanns ebenfalls eher noch bei kleineren Obstbrand-Twists.

Mario Kappes hatte in seiner Zeit im Le Lion aber immer Obstbrände um sich, etwa für einen Hazelnut Alexander. „Der Professor Langnickel hat sich bei den Nerds durchgesetzt, was in dieser Zeit nach der Eröffnung der Bar natürlich toll war“, erinnert sich Mario Kappes. „Mir war aber bald klar, dass man diesen Drink im Vorfeld erklären muss. Wenn der Gast Kirsche liest und sich auf eine entspannte Fruchtbombe freut, wird es schwierig.“

Der Kirschlikör im Zentrum

Richtig. Denn der Professor Langnickel ist keine eskapistische Kirschensauna. Er ist vielmehr eine komplexe Kirschdecke, die sich geschmeidig um den Gaumen wickelt. Es ist dabei eine Zutat, die den Drink für seinen Erfinder zu dem macht, was er ist: der Guignolet de Dijon von Gabriel Boudier. Ein betont fruchtiger, dabei ungemein trockener Kirschlikör aus Frankreich. „Jeder andere Kirschlikör funktioniert nicht, zumindest keiner, den ich ausprobiert habe. Der Guignolet de Dijon von Boudier ist am gesamten Konstrukt am wenigsten austauschbar“, erklärt Mario Kappes, „Das Destillat wiederum muss als Gegengewicht ein klares, eindeutiges Kirschdestillat sein, auf jeden Fall eines ohne Saft oder Süßungsanteil. Mit zu fruchtdominierten Spirituosen funktioniert der Drink nicht.“

Das Experiment gibt ihm Recht. Mit Kirschwasser (in diesem Fall Sutterer aus dem Schwarzwald) entfaltet der Drink seine komplexeste Wirkung. Sowohl Kirsche als auch Sherry-Finish halten sich feinbalanciert die Waage. Ersetzt man das Kirschwasser beispielsweise durch Humbel XK Kirsch, hat man einen fruchtigeren Drink, gegen dessen vordergründige Kirsche der Sherry aber sich so erfolgreich stemmt wie ein fünfjähriges Kind gegen einen Baumstamm. Ebenso die Variante mit dem wunderbaren Kamin-Kirsch von Scheibel, dessen besondere Rauchnote jeden Anflug von spanischer Traube im Keim erstickt. Beides sind für sich genommen süffige Drinks, andererseits bleiben sie auch erkenntlich eindimensionaler. Eine gänzlich andere Spirituose als Trägerrakete zu wählen, hatte Mario Kappes wiederum schon in der Geburtsstunde des Drinks verworfen: „Wenn man Kirschlikör und PX Sherry mit Whiskey oder Rum mischt, ist das Ergebnis ein Einheitsbrei. Dann ist der Drink nicht mehr differenziert.“

Darüber hinaus darf man auch den Ursprung des Cocktails nicht vergessen: Er wurde als Wunsch nach einem Sherry-Drink erfunden, also muss auch Sherry erkennbar bleiben. Ein ungelagertes, im Grunde leicht „spritiges“ Kirschwasser ist dafür der am besten geeignete Träger. Es lässt dem süßen Sherry am Ende den Raum, der den Drink letztlich erst abrundet und Tiefe gibt. Eine Sache will Mario Kappes aber noch unbedingt mit auf den Weg geben: „Ich bin eigentlich kein Freund davon, überall zu zesten. Aber dieser Drink braucht es. Die Zitronenzeste hilft der gesamten Fruchtigkeit. Ohne sie kann der Drink sehr süß und anstrengend werden, wenn er sich erwärmt. Wir haben damals teilweise sogar ein zweites Mal nachgezestet.“

Den Professor Langnickel gibt es auch in Köln

Natürlich ist das effektivste Mittel gegen das schnelle Erwärmen eines Drinks immer: ihn schnell austrinken. Wie schnell Hans Langnickel mit seiner Frau damals seinen Drink im Le Lion getrunken hat, weiß er heute nicht mehr. Aber dass die Geschichte so gewesen sie und sie keine Mythenbildung darstellt, dafür verbürgt er sich. „Ja, so hat es sich zugetragen“, lacht der heute 74-jährige. Auch sein Barfly in Köln gibt es noch, und auch dort bekommt man den nach ihm benannten Drink, wenn man danach fragt. „Immer im Originalrezept, den französischen Kirschlikör haben wir auch immer extra dafür besorgt“, so Hans Langnickel.

Und wer bis hierher gelesen hat, sollte den Drink dann jetzt auch ausprobieren.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

Comments (2)

  • Ben Dover

    Die Zitronenzeste ist nicht mit im Rezept angegeben

    reply
    • Mixology

      Lieber Ben,

      vielen Dank für den Hinweis. Haben wir ergänzt.

      Grüße aus der Redaktion
      // Nils

      reply

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