Es ging um Sex, die Raygrodski Bar
Zürich ist ein heißes Pflaster, jedenfalls wenn man die Raygrodski Bar an einem Wochenende besucht. Da wird dann jede Zurückhaltung abgelegt und es wird ausgiebig getrunken, geflirtet und gefeiert. Eine klassische Bar im Ausnahmezustand.
Ein Samstagabend in Zürich. Eine ausgehfreudige Stadt, eine Stadt der Banken, eine teure Stadt, eine hervorragende Stadt für erstklassigen Cocktailgenuss. Bewährte Klassiker, wie Kronenhalle und Widder Bar verströmen klassische Zuverlässigkeit. Die Onyx Bar bietet getränketechnische Inspiration im eleganten Ambiente eines früheren Parkhauses. Im Old Crow wirken die versiertesten Gastgeber der Stadt.
Es wird eng
Dazu gesellen sich verstecktere kleine Inseln der Barkultur, um so manch klassischer Konvention zu entfliehen. Das „Office“ ermöglichte eine geraume Zeit, dem Satz: „Ich muss ins Büro“ einen ungewohnt angenehmen Klang zu verleihen und das „Dante – a Bar and a Basement“ sorgt beständig für hochwertige Drinks in ungezwungener Atmosphäre zu Preisen, die auch einem studentischen, jüngeren Publikum ermöglichen, die Bandbreite der Barkultur zu erkunden.
Die Raygrodski Bar zielt in ebendiese Richtung. An diesem Samstagabend ist der angenehm schlicht-minimalistische Raum rings um den kolossalen Tresenblock gefüllt mit fröhlichen Menschen. Dichtes Gedränge herrscht an der Bar, um gegen die Lautstärke der DJ-Beschallung eine durstige Bestellung loszuwerden. Mit bewundernswerter Geduld, Präzision und Geschwindigkeit, schickt das Barteam einen Cocktail nach dem anderen hinaus. Die muntere Meute vergisst zuweilen, die schönen Gläser und hübsche Deko im Drink angemessen zu würdigen. Gin Basil Smash, Lynchburg Lemonade und White Russian scheinen an diesem Abend sehr angesagt zu sein. In der Enge empfiehlt sich ein Drink im Tumbler, der Inhalt einer Cocktailschale schwappt nur allzu rasch an ihre Grenzen.
Die Karte ist klassisch geprägt mit Drinks, wie Vesper, French 75 und Last Word. Unter der Woche, an den ruhigeren Tagen, widmen sich die Bartender den Gästen selbstverständlich ausführlicher. Dann ist die Beratung sehr persönlich und abwechslungsreiche Eigenkreationen werden improvisiert. Der zentrale und raumdominierende Tresen bildet auch den optischen Mittelpunkt. Ein Eyecatcher, der aus mancher Perspektive beinahe wie ein Käfig wirkt. An der Decke schwebt ein markantes Gitter, von dem etliche Flaschen herabhängen, in greifweite der Bartender. Nackte, scheinbar unbehandelte Wände umrahmen unspektakuläre Sitzmöbel. Im hinteren Bereich wartet eine Art Salon. In der reduzierten Ausgestaltung setzen ausgewählte Designelemente entsprechend auffällige Ausrufezeichen, wie eben der Tresen oder die wunderschönen Lampen. Es steckt viel Liebe im Detail und viel Aufmerksamkeit im Design.
Verhütung
Wer sich die Mühe macht und nach dem zungenbrecherischen Namen fragt, erhält eine Bildungslücke geschlossen. Paula Brupbacher-Raygrodski, deren Bubikopf-Profil die Karte ziert, war in der Zeit um den Ersten Weltkrieg eine selten emanzipierte und gebildete Frau und Ärztin. Ihr Einsatz und politisches Engagement für freien Zugang zu Verhütungsmitteln, für die Abtreibung und für mehr sexuelle Aufklärung brachte ihr zeitweises Redeverbot ein.
Einige der munteren Gäste der Bar dürften ebenfalls manche Gedanken an erotisierende Augenblicke sexueller Annäherung in Betracht gezogen haben, ob sie dabei ebenfalls die Verhütung berücksichtigten, wurde nicht recherchiert. Erhitzte Gesichter, flirtige Menschen, Körper dicht aneinandergeschoben, sodass der Service große Mühe hat, einen Weg zu bahnen, um die Tische abzuräumen. Auch der Vorplatz der Bar hat sich reichlich gefüllt. Einige Gäste scheinen eigene Getränke mitgebracht zu haben, die sie auspacken und öffnen. Merkwürdig.
Die Preise der Cocktails liegen um die 16 Franken, was ungefähr 13 Euro entspricht. Für Zürich darf dieser Preis als relativ moderat gelten.
Der Gast jedenfalls kommt auf seine Kosten, was Atmosphäre, Spaß, Getränke und Gesellschaft in der Raygrodski Bar anbelangt. An einem Samstagabend in Zürich.