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Corona Chronicles, Teil 11 – Red Needle, Leonard Cohen und die Quarantäne

Zugegeben, als Quarantäne-Soundtrack eignen sich Leonard Cohens melancholische Songs nur bedingt. Der vom 2016 verstorbenen Bonvivant kreierte Tequila-Dreiteiler „Red Needle“ hingegen ist wie geschaffen für die Zeit an der Heimbar.

Eigentlich sollte dieser Artikel eine Tourismus-Werbung werden: Fahren Sie nach Kopenhagen! Denn dort wäre dieser Tage die letzte Gelegenheit gewesen, die einzige Europa-Station der Ausstellung „A Crack in Everything“ zu sehen. Sie versammelt künstlerische Beiträge, die sich mit der Musik und Poesie von Leonard Cohen auseinandersetzen.

Aber „eigentlich“ ist aus dem Wortschatz der Welt gestrichen. Es steckt hinter einer Atemschutzmaske und traut sich nicht mehr unter die Leute. Und so endet auch die Schau in der dänischen Kunsthalle vor der Zeit. Schade, denn im dortigen Museumsshop wurden „ante Coronam“ auch Cocktails serviert. Genauer gesagt: Der Drink für alle Fans der 2016 verstorbenen Ikone aus Montréal.

In der Mojave gab’s nur Tequila. Und zu Hause?

Mixologisch ist die Hintergrundgeschichte dieses Red Needle wenig aufregend. In vielen Bars hat man schon den weit spektakuläreren Austausch von Grundspirituosen praktiziert. Oder von Fillern. Denn man kann die Rezeptur als Tequila-Variante eines „Cape Codders“ sehen oder die Mischung aus Cranberry und Zitrone als zweiteiliges Surrogat für Grapefruit-Limo einer Paloma. Was immer in der Stadt Needles nicht als Zutat zur Hand war, damals im Jahr 1976: Es war jedenfalls verdammt heiß in der Mojave-Wüste. „Es hatte 46 Grad“, erinnerte sich Leonard Cohen später an jenen Tag im San Bernardino County, als er seine Tequila-Mischung erstmals trank.

Und wer Cohen-Fan ist, kennt die Ambivalenz seiner Zeilen, in denen Geilheit und Gebet nur einen Vers entfernt wohnen:

But remember when I moved in you
And the holy dove was moving too

So heißt es in „Hallelujah“, das sich katholische Paare gerne zur Trauung aufspielen lassen. Doch es geht nicht um einen Song allein. Will man das Œuvre auf einen Satz eindampfen, dann lautet er: Egal, woher eure Ekstase kommt, Freunde, sie kommt wieder!

Red Needle
Leonard Cohen machte seinen Red Needle im Weinglas. Eine modernere Variante wäre im Tumbler

Wie der Asphalt von Los Angeles…

Der Sänger kannte die Niederungen, aber auch die nie tot zu bekommende Hoffnung auf bessere Zeiten. Als 1992 rund um ihn die Ausschreitungen nach dem Tod von Rodney King tobten – 63 Tote gab es am Ende in L.A. –, lag eine Frage nahe. Warum er nicht abhaut ins friedliche Kanada, nach Hydra, auf seine geliebte griechische Insel, oder wenigstens nach Paris? Nein. Los Angeles musste es sein: „It has the decay, and some sort of wild hope too, like weeds growing through the asphalt”.

Das ist erdiger als seine berühmt gewordene Zeile aus dem im gleichen Jahr veröffentlichten Album „The Future“, das unter anderem den Mauerfall in Berlin verarbeitet. Aber es meint das gleiche Prinzip wie der Song „Anthem“:

There is a crack, a crack in everything
That’s how the light gets in.

Red Needle

Zutaten

6 cl Tequila blanco
12 cl Cranberry-Saft
1,5 cl Zitrone

Red Needle als lebensbejahendes Zeichen

Der „Red Needle“ floß übrigens reichlich für dieses Album, das in den Capitol Record Studios entstand. Nicht nur deshalb ist Cohens Cocktail auch ein Notbehelf in unsicheren Zeiten an der Heimbar. Denn es zählt die Geste des Feierns an sich, ja, und die lebensbejahende rote Farbe.

Man braucht kein Zeichentheoretiker zu sein, um festzustellen, dass der Poet unter den Rockstars ausgerechnet für seinen Lieblingsdrink einen prosaischen Namen wählte. Der cranberryrote Cocktail aus Needles heißt einfach Red Needle. Er strahlt über den Dreck des Alltags hinweg. Er kann einen aus der Lethargie pieken. Das, was ihm Bedeutung gibt, muss aber jeder selbst daraus machen. Der Gastgeber macht dieses Signifikat signifikant (nur, damit die Zeichentheoretiker nicht nölen).

Red Needle: der Riss im Corona-Vorhang

Die tröstende Botschaft für alle, die ihre Ausgangsbeschränkung fern der Sammlung rarer Extra añejos mit handgeschriebenen Labels von Pancho Villas Stiefelknecht absitzen: „Es ist egal, was du nimmst, solange es Tequila ist“.

Also sprach Meister Leonard persönlich. Im einzigen Video, das den Kanadier live beim Mixen des Drinks zeigt, hatte der dänische Rundfunk DR nämlich Probleme, anständigen Tequila aufzutreiben. Doch auch die No-name-Flasche tut es für den Gast in „Talkshowet“. So lange sie ein potentes Mischverhältnis ergibt.
Wer Cohens Biographie von Sylvie Simmons („I’m your Man”) kennt, erinnert sich an die Szene, in der Cohen den Studio-Hausmeister holen musste, nachdem er sich abrupt zum „großen weißen Telefon“ begeben musste, wie die Amerikaner das gerne nennen. Die Toilette bei „Capitol“ in Hollywood war schnell gesäubert. Wichtiger ist auch hier das Fazit: „Several musicians told me it was the happiest time they ever spent in a record studio”.

Der Red Needle ist eher für den herberen Gaumen

Serviert wurde der Drink „for myself and everybody else who wanted communion” bei dieser denkwürdigen Session mit Tequila, Cranberry-Saft und frischen Früchten mit Zitronen und Limetten”. An anderer Stelle wiederum – einem Interview mit der TV-Journalistin Barbara Gowdy – listet Cohen „tequila and cranberry juice and Sprite and fresh-cut fruit“ als Zutaten auf. Das macht die Angelegenheit frischer und etwas süßer. Und weist den Red Needle endgültig als idealen Anti-Corona-Cocktail aus: Was herb und sauer ist daheim, kommt rein. Nur nichts Süßes.

Aber danach ist momentan eh niemandem. Vermutlich sitzt „Simple Syrup“ gerade neben „eigentlich“ und tauscht Schnittmuster für Schutzmasken aus. Leonard Cohen hätte eine in Rot gekauft.

Damit das Licht durchscheinen kann.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

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