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Reinheitsgebot – Ein Reinfall für die Ewigkeit?

Das Reinheitsgebot wird kein durch die UNESCO geschütztes Weltkulturerbe. Was dem rheinischen Karneval und der Brotkultur beschieden wird, bleibt diesem deutschen Heiligtum verwehrt. Warum Reinheit nicht gleich Feinheit bedeutet und warum diese Entscheidung ein gutes Zeichen ist, erläutert Peter Eichhorn.

Das kann ja heiter werden. Am 23. April 2016 erscheint zur Feier des Tages eine Sonderbriefmarke der Post. Was feiern wir denn? Achso, jaja: 500 Jahre Reinheitsgebot. Na, das wird eine Sause. Womit stoßen wir denn an? Ich schlage Witbier vor. Dieses Teufelszeug, vor dem sich jeder anständige bajuwarische Braumeister gruseln muss. Zumindest, wenn es nach dem Bayerischen Brauerbund e.V. geht. Orangenschale und Koriander in einem Weizenbier, Pfui Deifi! Da könnte man ja gleich Granatapfel, Kaktusfeige oder Limette hineingeben. Hoppla, schon passiert.

Witbier – Wehe, wehe!

Mit bierernster Entschlossenheit verdammte der Beirat des Bayerischen Brauerbundes im September 2014 Konsum und Herstellung von Getränken, wie „Pumpernickel-Porter, Chrysanthemenbier, Fruchtbier“ und vor allem dem Witbier.

Aufrichtige Entrüstung geht aus dem Dokument vom 29. September hervor, in dem besondere, also vom Reinheitsgebot abweichende Biere, in Bayern unerwünscht bleiben und in dem insbesondere die Thüringer Behörden kritisiert werden, die jüngst die Bezeichnung „Bier“ für ein durchaus ansprechendes Witbier aus Bad Köstritz genehmigten.

Gibt es ein Friedensnobelbier?

Der große Reformer Martin Luther trank dereinst auch in Thüringen so manchen geschätzten Gerstensaft. Und so ist von ihm das Zitat überliefert: “Wer kein Bier hat, hat nichts zu trinken.” Ob ihm die Biere vor oder nach 1516 besser mundeten, ist nicht überliefert.

Ein Schelm, wer nun an den Namensvetter Martin Luther King erinnert wird. Ein weiterer wegweisender Reformer, der Missstände in den Südstaaten anprangerte und einen Traum von Freiheit, Vielfalt und Gerechtigkeit träumte.

Nun, es wird keinen Friedensnobelpreis geben, wenn irgendwann auch in Bayern Bier, Ale und Brauspezialität friedlich nebeneinander im Regal stehen. Und für den Bayerischen Brauerbund ist keine Umbenennung in Brew Glucks Clan in vorgesehen.

Es sind auch hoffentlich noch keine Einreiseverbote zum Besuch der Braukunst Live in München ausgesprochen worden, sodass dort wieder spannende Biere mit Rhabarber, Chili, Hafer, Salz, Minze, Schokolade, Fichte, Kamillenblüten, Kartoffel, Koriander oder Orange verkostet werden dürfen.

Wie vorläufig ist ein Biergesetz?

Auf Bilsenkraut, Ochsengalle und Holzspäne verzichten wir gerne im Bier. Das Verbot von derlei Zusatzstoffen war sicher auch das Ansinnen von Herzog Wilhelm IV. und seinem Bruder Ludwig X., als sie 1516 auf dem Landesständetag zu Ingolstadt die neuen Regelungen erließen. Zu den ursprünglichen Bestandteilen Wasser, Hopfen und Malz kommt im 19. Jahrhundert noch die Hefe hinzu. Erst im 20. Jahrhundert setzt sich der Begriff „Reinheitsgebot“ allgemein durch.

1906 verordnet Kaiser Wilhelm II. ein neues Biergesetz, was die vorangegangenen Regelungen erweitert und die Verwendung weiterer Malzvarianten, Süßungsstoffe und Färbemittel genehmigt. 1993 tritt das „Vorläufige Biergesetz der Bundesrepublik Deutschland“ in Kraft, welches auf massiven Druck der EU 2009 erweitert wird.

Der Vorwurf lautet: Brauwaren aus anderen bierproduzierenden Mitgliedsländern wird die Einfuhr und somit der Wettbewerb ungerecht erschwert. Deutschland muss zähneknirschend einlenken und die Verordnungen entsprechend ändern. Wann aus dem „Vorläufig“ ein „Endgültig“ wird, steht in den Hopfendolden.

Hopfenkaltschale vorerst doch kein Kulturerbe

Im Dezember 2014 tagte die Deutsche UNESCO-Kommission e.V., um unter 83 Bewerbungen diejenigen auszuwählen, die sich für eine Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes qualifizieren. 27 Kandidaten konnten die Hürde nehmen und das kritische Gremium überzeugen. Die Auszeichnung der UNESCO genießen nun beispielsweise der Rheinische Karneval, der Rattenfänger von Hameln, die Passionsspiele Oberammergau, die Deutsche Brotkultur und die Lindenkirchweih Limmersdorf.

Dem Reinheitsgebot blieb trotz des bevorstehenden Jubiläums die Aufnahme versagt. Der Vorsitzende des Auswahlgremiums, Professor Dr. Christoph Wulf, äußerte sich zu dem ablehnenden Bescheid wie folgt: „Das Bierbrauen nach dem Reinheitsgebot wurde in der dem Komitee vorliegenden Bewerbung leider nicht überzeugend dargestellt.

Hier stand die Lebensmittelvorschrift zu sehr im Vordergrund. Wir hatten auch den Eindruck, dass die Bierproduktion inzwischen sehr industriell geprägt ist. Der Mensch als Wissensträger der Brautradition scheint zunehmend eine nachrangige Rolle zu spielen.“

Hauptsache Vielfalt

Das Reinheitsgebot ist eigentlich nicht verkehrt. Es könnte ein großartiges Qualitätssiegel sein, wenn es richtig eingesetzt wird. Es kann durchaus die Identität hervorragender deutscher Biere stärken und internationales Ansehen begleiten. Innerhalb des Reinheitsgebots sind großartige Biere möglich.

Außerhalb aber eben auch, wie zahllose internationale Traditionsbiere und kühne moderne Brauinterpretationen beweisen. Kein qualitätsbewusster und kompetenter bayerischer Brauer muss sich vor irgend einem konkurrierenden Bier fürchten. Möge er voller Stolz auf sein Qualitätssiegel „Gebraut nach dem bayerischen Reinheitsgebot“ verweisen.

Wenn aber jenes Qualitätsmerkmal nur dazu dient, Vielfalt und Kreativität zu verhindern und zeitgemäße Brauer zu unterdrücken und zu ächten (wie es derzeit durchaus geschieht), dann ist ein solches Verhalten schädlich und verlogen.

Nun ist aber erst einmal mal 2015 und am 23. April können Gegner und Befürworter auf 499 Jahre Reinheitsgebot feierlich anstoßen. Womit denn? Wie wäre es mit Champagner?

Credits

Foto: Martin Luther und Bayren Flagge via Shutterstock. Postproduktion: Tim Klöcker.

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