Cocktails für Cineasten: Wie das Rio München das Abenteuer Kinobar wagt
Anne Marx und Nicolai Früchtl sind zwei alte Schulfreunde. Beide, ursprünglich aus München, fanden sich nach der Schule erst einmal in anderen Gefilden wieder. Marx ist gelernte Grafikerin und hat viele Jahre im zur Bar gehörenden Kino gejobbt. Oder ist es die Bar, die zum Kino gehört? Egal, auf jeden Fall wurde sie darauf aufmerksam, dass die Kinobetreiber gewillt waren, die Bar in fremde Hände zu geben, und dann ging es sehr schnell: „Wir hatten Ende April letzten Jahres die ersten Gespräche, am 1. Mai die Schlüssel bekommen, und am 17. Mai haben wir aufgesperrt“, erklärt Nicolai Früchtl grinsend. Seine Vita deutet schon eher auf Bar hin. Angefangen im Weinhandel der Mutter und ins Nachtleben in Münchner Clubs geschnuppert, wurden erst einmal verschiedene Studiengänge in Leipzig und München probiert, bevor es nach Hamburg zum Modestudium ging. Dort landete er dann recht bald im Walrus und entdeckte seine Liebe zur Cocktailbar.
Rio Bar startet mit bescheidenem Budget
An dieser Stelle könnte man einen kleinen Zeitsprung wagen und Corona überspringen, würde aber ein witziges Detail übergehen. Zu Beginn der Pandemie war Nicolai noch in Hamburg, aber es gab schon die Idee, nach München zurückzukehren und mit seinen Brüdern dort eine Bar zu eröffnen. Stattdessen wurde es erst einmal eine echte Speakeasy-Bar im Hinterzimmer einer Weinhandlung. Mit fröhlichem Grinsen kommentiert Nicolai diese Zeit mit: „Das waren sehr lehrreiche Monate. Zum einen, mit sehr wenig Budget auszukommen und trotzdem ordentliche Drinks anzubieten und zum anderen war auch jeder Abend mit ein wenig Nervenkitzel verbunden …“
Alles gut gegangen, und vor allem wurde der Kontakt zur ehemaligen Schulkollegin Anne Marx wiederbelebt, mit oben genannten Folgen. Die Idee mit der von Brüdern betriebenen Bar hatte sich schon erledigt, und der Weg war frei für ein gemeinsames Projekt. Mit einem überschaubaren Budget von knapp € 2.000 begann das Abenteuer der eigenen Bar. Die Einrichtung wurde zum großen Teil aus dem Bestand des Kinos entliehen und der Rest vor allem bei ausgiebigen Flohmarkt-Ausflügen gesammelt. „Immer, wenn wieder etwas Geld da war, haben wir nachgebessert. Jalousien, Lampen und vor allem schöne Rührgläser kamen erst nach ein paar Wochen hinzu.“
Nur noch Abendprogramm im Rio München
Außergewöhnlich dabei ist, dass man dies der Bar nicht anmerkt. Die Idee, einen losen Bezug zur Kinowelt zu schaffen, geht auf, und das ganz ohne großflächige Filmplakate oder anderes cineastisches Klimbim. Vielmehr wird eine Atmosphäre geschaffen, die dem Gast schon nach kurzer Zeit das Gefühl vermittelt, selbst in einem Film zu sitzen. Und das liegt nicht nur am Duft von frischem Popcorn, der immer wieder von nebenan herüberschwappt.
Anfangs war die Rio Bar als Doppelkonzept geplant. Tagsüber Café, abends Bar. Allerdings stellte sich recht bald heraus, dass man mit dem Tagesgeschäft eher die frühen Biertrinker vergangener Zeiten anspricht als das Haidhauser Kaffeepublikum, und die beiden beschlossen kurzerhand, sich auf das Abendgeschäft und Cocktails zu konzentrieren. Wenn das Café in der Lage vielleicht nicht so aufging, die Bar passt dafür umso besser in das Viertel und kann bereits eine Vielzahl an Stammgästen begeistern, die auch ganz ohne Kinobesuch den Weg an den Tresen finden. Dabei werden Klassiker genau so serviert wie eigens kreierte Cocktails. Kleines Detail dabei: Anne trinkt eigentlich so gut wie keinen Alkohol. Hin und wieder wird einmal probiert, aber einen ganzen Drink gibt es nur an hohen Feiertagen. Der kreative Teil obliegt daher zum größten Teil Nicolai, der seine Ideen in regelmäßig wechselnden Karten darstellt.
Dabei gibt es immer wieder eine Verbindung zwischen Drink und Filmen, aber ohne dies zu forcieren: „Manchmal ergibt sich einfach eine Verbindung. Aber die Grundlage ist meist der Wunsch, ein Gefühl oder eine Idee zu transportieren.“ Dies kann ein Twist auf einen Klassiker sein, aber auch einmal eine komplett neue Idee. Beim abendlichen Besuch konnten besonders der „Coffee & Cigarettes“ mit Single Malt, Espresso und Haselnuss begeistern, sowie der „American Allstar“, ein Bourbon Sour mit einem Schuss Ketchup, überzeugen.
Die Rio Bar ist im Viertel angekommen
Nun wird die Rio Bar demnächst bereits ein Jahr alt, und wenn es nach den beiden Betreibern geht, darf es gern so weitergehen wie in den ersten Monaten. Die Bar ist im Viertel gut angenommen worden und lockt mittlerweile auch Cocktailliebhaber aus anderen Ecken der Stadt. Und dies vollkommen zurecht. Die Bar bietet eine tolle Flucht aus dem Alltag und es bleibt die Frage, wieso sich nicht mehr Lichtspielhäuser mit einer hochwertigen Cocktailbar schmücken.
Credits
Foto: Rio