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Robert von Lucius Kiezkneipe | Mixology — Magazin für Barkultur

„Noch’n Bier“ wirft einen modernen, unromantisierten Blick auf die Berliner Kiezkneipe

Der Journalist Robert von Lucius und der Fotograf Henning Kreitel haben 16 Berliner Kiezkneipen porträtiert. Die Voraussetzung: Die Kneipen mussten seit mindestens 30 Jahre bestehen und Fassbier anbieten. MIXOLOGY Online hat Robert von Lucius zum Interview gebeten.

Die Kneipe als Ort des gemeinsamen Trinkens kam schon Anfang des 18. Jahrhunderts in Deutschland auf. Auch heute noch sind Kneipen beliebte Ausflugsziele für ein Feierabendbier, gesellige Runden am Wochenende – oder einfach, um nicht alleine zu Hause zu sitzen. In ihrem Buch „Noch’n Bier“ spüren der Journalist Robert von Lucius und der Fotograf Henning Kreitel den Berliner Kneipen nordsüdlich der Spree nach. Im Gespräch erzählt Robert von Lucius über die soziale Bedeutung der Kiezkneipe und den Wandel der Berliner Kneipenlandschaft.

Robert von Lucius Kiezkneipe
Journalist Robert von Lucius und der Fotograf Henning Kreitel spüren den Berliner Kneipen nordsüdlich der Spree nach.

» Auch ein Generationswechsel findet statt, der durchaus begrüßt wird, öfter habe ich von den Wirten gehört, dass sie froh über die jüngeren Menschen sind, da sie neue Gesprächsinhalte mitbringen. «

MIXOLOGY: Herr von Lucius, in Ihrer aktiven Zeit als Journalist waren Sie als Korrespondent für die FAZ jahrelang in der Welt unterwegs, nun sind es die Berliner Kneipen.

Robert von Lucius: Ich habe schon immer gerne Unterschiedliches gemacht und so praktisch überlebt. Nach meiner Pensionierung vor viereinhalb Jahren bin ich wieder zurück in meiner Geburtsstadt Berlin gezogen. Und das war natürlich eine perfekte Art, die Stadt neu kennenzulernen und zu erkunden. Ich war fünf Jahre in Stockholm als Nordeuropa-Korrespondent tätig. In einer Bar in Helsinki ist mir aufgefallen, dass die Hälfte der Leute auf ihr Handy gucken. Wozu geht man denn abends aus? Doch nicht, um auf dem Handy zu spielen. Das finden Sie weniger in Berliner Kneipen.

MIXOLOGY: Was zeichnet die Berliner Kneipen an sich denn aus?

Robert von Lucius: Sie sind sehr vielfältig. Es gibt für jede Wohn- und Lebenslage sowie Alter etwas, und das in Gehweite. Erstaunt hat mich, wie stark die Kneipen sich auf ihre Nachbarschaft konzentrieren, viele Gäste kommen sehr regelmäßig, fast jeden Abend. Die Kiezkneipe bedeutet auch ein Stück Heimat. Da kommen Alleinlebende oder diejenigen, die sich zu Hause nicht mehr so viel zu erzählen haben und in der Kneipe einen erweiterten Kreis von Großfamilie sehen. Auch Nachbarschaftshilfe findet teilweise aktiv statt.

MIXOLOGY: Als Klischee ist der Kneipengänger ein leicht versoffener Typ, der ein Herrengedeck bestellt und am Ende der Nacht auf dem Tresen einschläft …

Robert von Lucius: Der Kneipengänger sind viele unterschiedliche Leute. Menschen in ihren 60ern zum Beispiel, die im Wandel von der Arbeit in den Ruhestand sind und was Neues suchen. Ich erinnere mich an einen Gast, der am besten Platz einer Kneipe am großen Fenster meist für drei Stunden saß, ein Glas Wasser trank und Sudokus löste. Wenn er sich verabschiedete, sagte er „Bis morgen wieder“. Genau so gibt es Freundesgruppen, Menschen aus der Nachbarschaft oder Jugendliche, die sich in Traditionskneipen treffen, weil sie es auch schätzen, einen Ort zu haben, an dem man sich unterhalten kann, ohne laute Musik – und mit bezahlbarem Bier.

Robert von Lucius Kiezkneipe | Mixology — Magazin für Barkultur
Die Möve im Felsenkeller in Schöneberg - Akazienstraße 2, 10823 Berlin.

MIXOLOGY: Kann man Berliner Geschichte an den Kneipen ablesen?

Robert von Lucius: Mehr Bezirksgeschichte, dafür sind die Kneipen zu unterschiedlich, wie zum Beispiel der „Heidelberger Krug“, die älteste Kneipe am Chamissoplatz, die seit über 100 Jahren Mittelpunkt des Kiezes ist. Einst fuhren die Kutschen, dann die ersten Autos dort entlang, und SA-Männer tranken dort ihre Biere. In den 1960-er Jahren lebten und feierten viele Linksalternative in dem Kiez, die letzten besetzten Häuser wurden Anfang der Nullerjahre geräumt. Heute wohnen viele jüngere Familien mit einem guten Einkommen in der Ecke. Der Heidelberger Krug ist noch da und sowohl Treffpunkt für ehemalige Bewohner des Kiezes als auch für neue.

MIXOLOGY: Auch vor den Kneipen macht der Berliner Mietwahnsinn keinen Halt, immer mehr Kneipen schließen. Ist die Berliner Kneipe in Gefahr?

Robert von Lucius: Es gibt sicherlich Veränderungen, aber ich neige nicht dazu, zu sagen, „Früher war alles besser“. Viele der (Eck-)Kneipen waren so richtige Trinkkneipen. Die Kneipen in unserem Buch zeigen ein anderes Bild, da geht es um Geselligkeit, um Orte, wo man auch alleine nicht einsam sein muss, wenn man dort hingeht. Auch ein Generationswechsel findet statt, der durchaus begrüßt wird, öfter habe ich von den Wirten gehört, dass sie froh über die jüngeren Menschen sind, da sie neue Gesprächsinhalte mitbringen.

» In unsere Auswahl haben wir nur Kneipen genommen, die seit mindestens 30 Jahre bestehen und zum zweiten Fassbier anbieten. «

Robert von Lucius Kiezkneipe | Mixology — Magazin für Barkultur
Die kleine Philharmonie in Charlottenburg.- Schnaperstraße 14, 10719 Berlin.

MIXOLOGY: Die 16 Kneipen in ihrem Buch wirken wie kleine Biotope, die nicht unbedingt das Licht der Öffentlichkeit suchen, sondern eher für sich bleiben möchten. War es schwer – und dann auch noch als Journalist –. mit einem konkreten Vorhaben das Vertrauen der Wirte und ihrer Gäste zu gewinnen?

Robert von Lucius: Wir sind strategisch vorgegangen: In unsere Auswahl haben wir nur Kneipen genommen, die seit mindestens 30 Jahre bestehen und zum zweiten Fassbier anbieten. Um so zu sichern, dass sie nachhaltig sind, Geschichten erzählen können – und es um Bier geht. Vor Ort haben wir uns zunächst nicht zu erkennen gegeben, ein Bier getrunken und uns in der Kneipe umgeschaut. Wenn wir das Gefühl hatten, die passt gut, dann sind wir ein zweites Mal hin und haben erzählt, was wir vorhaben. Meistens haben wir den Wirt oder die Kellner gefragt, wer die Stammgäste sind. In der Regel haben sich die Gäste gefreut, gefragt zu werden.

MIXOLOGY: Gemeinsame Kneipentouren schweißen zusammen. Gehen Sie und Henning Kreitel noch Biere trinken in einer „Ihrer“ Kneipen?

Robert von Lucius: Wir haben vier intensive Monate daran gearbeitet. Leider wohnen wir beide recht weit weg voneinander, und Henning ist beruflich viel unterwegs, so dass wir selten dazu kommen, gemeinsam ein Bier trinken zu gehen. Generell gehe ich gerne in Kneipen, vor allem in solche, wo es etwas zu Essen gibt, zum Beispiel ins „Wendel“ in Charlottenburg, ins „Yorckschlösschen“ oder „Schlawinchen“ in Kreuzberg, wenn ich mit Jüngeren unterwegs bin. Die „Tiergartenquelle“ ist bei mir um die Ecke, die suche ich auch gerne auf. Generell möchte ich mich aber nicht festlegen, dafür ist die Auswahl zu spannend.

Robert von Lucius Kiezkneipe | Mixology — Magazin für Barkultur
Bei Schlawinchen in Kreuzberg- Schönleinstraße 34, 10967 Berlin.
Credits

Foto: Mitteldeutscher Verlag / Henning Kreitel

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