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Alexander Rainer spricht über den Schnapsmythos Rochelt

Der Tiroler Solitär: Annia Rainer-Rochelt und Alexander Rainer über den Schnapsmythos Rochelt

Die Jahresproduktion beträgt gerade mal 8.000 Liter. Nicht mit der Menge, sondern der kompromisslosen Qualität – die ihren Preis hat – wurden die Tiroler Rochelt-Brände zum Fixstern in der Top-Gastronomie: MIXOLOGY Online mit raren Insider-Einblicken zu den ikonischen grünen Flaschen.

Zur Beruhigung gibt es vorab Champagner. Denn auch Christian Dehler (im Aufmacherbild links), der an diesem Abend den Gastgeber gibt, gesteht „ein wenig nervös zu sein“. Der Leiter der Weinabteilung von Dallmayr ist gewohnt, mit raren Getränken zu hantieren. Das sieht man an der Nonchalance, mit der er den 1998 gefüllten „Blanc des Blancs“ aus Mesnil-sur-Oger einschenkt.

Doch die weitaus kleineren Schlucke, die an diesem Abend folgen werden, hat auch er selten im Glas. Gleich zehn Brände der Tiroler Brennerfamilie Rochelt stehen auf dem Programm. Die zwischen 500 und 1.200 Euro je Liter gehandelten Fruchtdestillate allein wären schon eine Sensation. Doch diesmal kommentiert jener Mann, der sie erzeugt, die Brände. Und das hat Seltenheitswert. Denn: „Alexander Rainer lässt seine Brennerei in Fritzens nicht gerne alleine“, formuliert man es bei Dallmayr.

Abseits von Tirol macht man sich rar

Den Destillateur Alexander Rainer (im Aufmacherbild rechts) und seine Frau Annia Rochelt-Rainer (mitte) findet man nicht auf Messen. Selbst versierte Spirituosenkenner haben sie persönlich noch nie getroffen; Verkostungen mit den Tirolern sind selten. Doch die Flaschen in Grün haben umso höheren Wiedererkennungswert. „Heute könnten wir das Etikett auch weglassen und jeder würde das als Rochelt erkennen“, wird Alexander Rainer später sagen, als die Rede auf die einem Original aus dem 18. Jahrhundert nachempfundene „Tiroler Zangenflasche“ kommt. Diese „Verpackung“ gehört zum Mythos Rochelt dazu. Ihn hat der 2009 verstorbene Günter Rochelt begründet. Wie man einen klaren Brand mit Kante in eine derart feminine, farbige Flasche füllen konnte, blieb den Zeitgenossen damals ein Rätsel. „Parfümflakon“ war noch eine der netteren Bezeichnungen. Doch Rochelt blieb unbeirrt bei seinen Ideen. „Er wurde erst mit 50 Jahren zum Gründer“, so Tochter Annia Rainer-Rochelt. Das war 1990.

Gebrannt hatte er mit seinem Bruder schon seit den 1970er Jahren. Mit wild gesammelten Vogelbeeren hat alles begonnen. Und der Zugang eines Spitzenkochs war entscheidend. Ihr Vater, so Annia Rochelt-Rainer, wollte kein „übrig gebliebenes Obst nehmen, wie es die Bauern im Unterinntal machten“. Nur beste Zutaten ergeben Top-Gerichte, das hatte er in Lausanne und am Arlberg gelernt. So wollte Günter Rochelt aber nicht nur kochen, sondern auch destillieren. Den besten Tiroler Schnaps eben – bis heute nennt man die im doppelten Wortsinne als Edelbrände gefertigten Getränke in Fritzens am liebsten Schnaps. Der soll getrunken werden. Und schmecken. Für den Destillerie-Gründer war das Brenngerät daher nur ein Werkzeug, alles entscheidend aber die Frucht: „Kein Koch redet viel über seine Pfanne oder Töpfe“, bringt Alexander Rainer einen Vergleich, der den Schwiegervater charakterisiert.

Mit der Vogelbeere fing bei Günter Rochelt alles an
Mit der Vogelbeere fing bei Günter Rochelt alles an
Die ikonischen grün-türkisen Flaschen gehörten zum Mythos Rochelt dazu
Die ikonischen grün-türkisen Flaschen gehörten zum Mythos Rochelt dazu

Mit Top-Jahrgang in die nächste Generation

Rainer ist ein Mann, der von Berufs wegen gewohnt war, mit Argumenten zu überzeugen. Jahrelang arbeitete er in London als Unternehmensberater, ehe es zurück nach Österreich ging. Dass der Schwiegervater, der in der Hoch-Zeit der österreichischen Edelbrände produzierte, ein Juwel geschaffen hatte, erkannte sein Business-geschultes Auge schnell. Doch es bedurfte des eigenen Unbehagens im Consulting Business, um in Fritzens einzusteigen. 2003 war der erste Brenn-Jahrgang mit dem Schwiegervater zusammen. Das sollte ein gutes Omen werden! Die Wachauer Marille dieses Jahres zählt zu den großartigsten Bränden dieser Frucht, die in Österreich je erzeugt wurden: Klar, enorm fruchtig und entgegen jeder Brenner-Physik sogar zart mineralisch schmeckte dieser Jahrgang, den Winzer damals als einen der heißesten verfluchten. Freilich war das, bevor man vom Klimawandel sprach. Heute würde man sich einen „2003er“ wünschen. In den Rieden und im Obstgarten.

Denn es bedarf 150 Lieferanten, „manche davon haben nur zwei Bäume“, um die Wachauer Marille verlässlich zu produzieren. Die Spätfröste setzen der Frucht zu, gibt Alexander Rainer ein Beispiel: Der Ertrag schwanke zwischen drei Tonnen und 100 Tonnen, seit man dieses Destillat erzeuge. Der Quereinsteiger hatte sechs Jahre Zeit, alles von Günter Rochelt zu erlernen. Dazu gehört auch die Vermeidung des Verdünnens der Destillate bis zum letzten Augenblick. Rochelt-Brände reifen daher bis zu zehn Jahren in Glasballons. Der natürliche Verlust an Alkohol (startend von den 65 bis 72% Vol. des Feinbrands) bedeutet aber auch viel Schwund: Der „Angel’s share“ beträgt jährlich zwei Prozent. Doch am Ende bedarf es nur ganz wenig Wasser, um auf 50% Vol. zu kommen, die Stärke der meisten Destillate in der grünen Flasche. Noch mehr vom Geist des Gründers durchzieht die Naturstark-Linie. Sie sind quasi die „Ballon-Stärken“ (Fässer gibt es in Fritzens keine) des Hauses.

Die Schnäpse von Rochelt reifen ausnahmslos in Glasballons in der Produktionstätte in Fritzens
Die Schnäpse von Rochelt reifen ausnahmslos in Glasballons in der Produktionstätte in Fritzens

Skrupulöse Suche nach perfektem Obst

Zur Bekanntheit, die auch Dallmayr zu einem „Kunden fast der ersten Stunde“ (Christian Dehler) machte, trugen auch die Bekanntschaften des Spitzenkochs bei. „Er ist nicht über die Sommeliers gekommen, sondern durch die Tür der Köche“, erinnert sich Annia Rainer-Rochelt an Größen der Münchener Gastronomie wie Hans Haas oder Eckart Witzigmann. Für sie bürgte quasi ein Kollege für die Qualität der Brände. Diesen Vorzug hat Nachfolger Rainer nicht, doch er ist ähnlich akribisch hinter den besten Früchten her. Für die Schwarze Ribisl etwa werden drei alte Johannisbeer-Sorten aus Tirol verwendet. Allerdings hat man sie aus dem rauen Tirol in das Obst-Bundesland schlechthin verpflanzt: In der Steiermark reifen nun die Beeren zur Perfektion. Am Ende steht dann ein flüssiges After Eight, bei dem offenbar auch Cassis in die Füllung gerutscht ist. Auch für Alexander Rainer ist das „unserer komplexester Schnaps“.

Selbst die destillierten Himbeeren stammen aus Wildsammlung, wovon die meisten Brenner Europas aus Preisgründen längst abrücken mussten. Nicht so Rochelt. Hier bekommt man dafür einen fast schon absurd intensiven Himbeerduft geliefert. Freilich stehen auch 60 Kilo Beeren hinter diesem Destillat, ein Aufwand, der den Preis von 149 Euro für 10 cl ebenso erklärt wie der Schwund während der Reifung in Fritzens. Auch die Vogelbeere, den Brand, mit dem alles begann, hat man weiter optimiert. Die Früchte dafür kommen heute aus Finnland. Für Rainer bieten sie „von Natur aus bessere Qualität als bei uns“. Es ist die einzige Frucht, bei der er gefrorene Ware akzeptiert. Ansonsten wird die Logistik so ausgeklügelt, dass die Früchte stets frisch im Inntal landen. Doch die Vogelbeere soll ja durch zwei Fröste gehen, um mürber und weniger bitter zu werden. Zudem verwendet der mit Preiselbeeren groß gewordene Lieferant aus dem hohen Norden ein Gerät, das man aus der Brennerszene nun wahrlich nicht kennt. Eine optische Sortieranlage, wie sie sich nur Top-Weingüter und eine Handvoll Kaffee-Plantagen leisten, lässt jede einzelne Frucht an einer Kamera vorbeirollen. Entspricht die Farbe und Reife nicht dem gespeicherten Muster, scheidet die Pneumatik die Vogelbeeren aus.

Optische Sortierung für Wildbeeren

Wer mit diesem alpinen Digestiv-Klassiker vorrangig Marzipanaroma alias „Stein-Ton“ verbindet, erkennt den Unterschied beim ersten Schnuppern am winzigen Rochelt-Glas: Dieser „Vogelbeer“ ist würzig, cremig und aufregend zugleich; irgendwo zwischen Erdnusscreme, Hagebuttenmarmelade und blanchierten Mandeln. Auch bei den anderen Früchten zahlt man gerne den siebenfachen Preis. Auf Masse ist Rochelt nämlich nie nicht aus. Das erfuhren etwa die piemontesischen Birnen-Lieferanten, die mit der Brennerei ins Geschäft kommen wollten. Am Ende überzeugten die als Gastgeschenk mitgebrachten Wildpflaumen der Italiener viel mehr. „Die nur olivengroßen Früchte hatte ich während des Gesprächs beinahe alle weggenascht“, lacht Alexander Rainer. Liefern wollte man sie doch nicht: zu kleine Menge, zu viel Aufwand.

Doch schon ab einer Tonne Obst maischt man in Fritzens ein. Und so sorgte die Wildpflaume für ein neues Destillat. Der Jahrgang 2015 ist erst die dritte Abfüllung – auch er reifte einmal acht Jahre am Dachboden. Rund 70.000 Liter umfasst dieses Reifelager, abgefüllt werden gerade einmal 5.000 bis maximal 8.000 Liter pro Jahr. Von rund 20 Spezialitäten wohlgemerkt. Darunter sind drei Cuvées, die den guten alten „Obstler“ als Edelspirituose neu definieren. Aber auch ein Gin, „gegen den ich mich jahrelang gesträubt habe“ so Alexander Rainer. Doch wie bei Günter Rochelt war es auch hier eine Privatabfüllung, die sich verselbständigt hat. Lediglich Wacholder fungiert als Botanical, den Rest des Geschmacks gibt der hauseigene Gravensteiner Apfel. Er ist Annia Rainer-Rochelts Lieblingsschnaps und so trägt am Ende diese Kreation den Namen Annias Gin.

Dass das rektifizierte Destillat streng genommen kein Gin ist, da man keinen Agraralkohol mit 94% Vol. verwendet hat, sondern den weit hochwertigeren, gereiften Apfelbrand, erwähnt Brenner Rainer explizit. Denn am Ende hat er auch hier ein gutes Argument vorzuweisen: den Geschmack. Weshalb man ihn auch in der Regel nicht mit Tonic Water serviert, sondern als wohltuenden Digestif. „Kranewitt“ hieß so etwas in der Tiroler Volksmedizin früher.

Und das hätte wohl auch Günter Rochelt selig gefallen.

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