Rose-Manon Baux und die phänomenale Schule der Achtsamkeit
Die gebürtige Pariserin Rose-Manon Baux kam vor einigen Jahren nach Berlin, um sich neu zu erfinden. Mittlerweile ist sie ein elementarer Bestandteil der Neuköllner Bar „Wax On“. Dort haben wir mit ihr über die Philosophie der Phänomenologen, die Bedeutung des Probierens und soziale Angst in der Pandemie gesprochen.
Im Wax On auf der Weserstraße herrscht Stromausfall, weshalb die Notizen im Dunkeln stattfinden, kaum lesbar – doch das macht die tiefe Stimme von Rose-Manon Baux und ihre geistige Präsenz wett.
Die Bar wurde inmitten der Pandemie im letzten Jahr eröffnet. Nicht zuletzt dadurch ist für die gebürtige Pariserin deutlich geworden, wie enorm wichtig die Barszene ist, um einen Ort für das soziale Leben zu stiften. „Die Pandemie hat mit Nachdruck vermittelt, welche Rolle Bars und auch Bartender in puncto gegenseitige Fürsorge füreinander haben“, konstatiert sie. Und natürlich auch die Gäste für die Bartender:innen, um entsprechende Zuwendung zurück zu bekommen.
Die Schule der Aufmerksamkeit
Aber erstmal von vorne: Vor vier Jahren kam Rose-Manon Baux nach Berlin, ohne Plan – wie so viele in dieser Stadt Gestrandete. Ihr Studium in Frankreich hatte sie maßgeblich mit zeitgenössischer Philosophie verbracht, erst Husserl, dann mit all jenen, die ihm folgten: Sartre, Deleuze, die so genannten „Phänomenologen“.
Phänomenologie, das ist die Lehre der unmittelbar gegebenen Erscheinungen, den Phänomenen und wie wir sie wahrnehmen. Sie lässt die Dinge, Räume, die Welt an sich sprechen. Gerade bei Husserl, neben Hegel einem der Begründer der Phänomenologie, geht es um das Wesen der Gegenstände oder einem Sachverhalt und um deren geistig-intuitive Wesensschau. Sie ist eine Schule der Aufmerksamkeit. Was Rose-Manon Baux davon mit an den Tresen genommen hat, lässt sich leicht erschließen: Sie bekommt enorm vieles mit. „Es schult die Empathie, zu verstehen, wem es wie geht und wer welche Form der Aufmerksamkeit benötigt”, so die 26-Jährige: „Natürlich helfen geisteswissenschaftliche Studien immer auch dabei, zu verstehen, was man möchte – und was nicht.”
Besonders deutlich ist ihr das im Umgang mit Brands geworden. Gemeinsam mit ihren Wax-On-Kollegen Sam Orrock und Damien Guichard achtet sie auf kritische Bedachtheit im Umgang mit Marken: „Wir arbeiten gerne mit ihnen, aber nicht für sie.“ Denn letztlich sollte keine Brand darüber bestimmen darüber bestimmen, wie eine Bar funktioniert, welche Aromen dominieren, welche Atmosphäre herrscht und wohin die abendliche Reise geht.
Bewusst setzt man im Wax On dabei auf die frühabendliche Reise – mit moderaten Öffnungszeiten von 18 bis 1 Uhr soll in der Weserstraße 208 keine Station des nächtlichen Bar-Catwalks stattfinden, sondern sich eine gemütliche Nachbarschaftsbar etablieren, in der sowohl Feierabendtrinker wie Experimentierfreunde willkommen sind. „We want to be loud, we want to be lively and accessable“, lacht Rose-Manon Baux und mixt einen Go Apes – aktuell einer ihrer Lieblingsdrinks. Er enthält Rum, geklärten Bananensaft und ein Kaffee Eau de Vie. Der Drink ist glasklar und ersetzt trotz frühjährlicher Wetterlage und einem dunklen Raum im Nordosten Deutschlands einen Karibikurlaub. Kann auch nicht jeder Drink von sich behaupten.
Wax On
Weserstraße 208
12047 Berlin
Di - Sa 18 - 1 Uhr, So & Mo geschlossen
Rose-Manon Baux wollte sich in Berlin neu erfinden
Ihre ersten Stationen waren das im Prenzlauer Berg gelegene Mrs. Robinson, wo sie sich vor allem mit Naturwein beschäftigt hatte, sowie der Members-Club Soho House in Berlin-Mitte. In Letzterem arbeitete sie sich von der Kellnerin an die Bar hoch. „Für mich war es richtig und wichtig, nach dem Master etwas komplett anderes zu machen und mich in Berlin neu zu erfinden. Das Studium war eine intensive Zeit und natürlich musste man sich zu dieser Zeit noch erklären, was man nach einem Masterstudium in Philosophie am Tresen verloren hat“, erzählt sie.
Doch diese Fragen haben sie gelehrt, an sich zu wachsen und sich nicht durch Hierarchien und Klischees von etwas abhalten zu lassen, das ihr schlichtweg Freude bereitete: Geschmäcker und deren Herstellung. Ihre allererste Station war naturgemäß ein Studentenjob, und zwar bei Jacques – von dem sie glaubt, er freue sich tierisch, wenn er an dieser Stelle sein „Le Corridor“ im 2. Arrondissement in Paris erwähnt sähe. Diese – nomen est omen – zum Flur geformte Geburtsstätte ihres Schaffens war in der Tat der Weg zu einem Verständnis, das ihr zeigte, dass sie in der gehobenen Gastronomie einen Platz finden würde können.
Finalistin der deutschen World Class 2021
Medial die Runde machte ihr Name vor allem als (einzige weibliche) Finalistin der deutschen World Class 2021. Gewonnen hat sie nicht, aber sie hat sich die Worte der Jury zu Herzen genommen; hat sich Gedanken gemacht, was besser geht, welche Kritik sie annehmen will, und welche ihr weniger weiterhilft. „Das Gute am Philosophiestudium ist ja eben, dass man dazu gezwungen ist, über sich und andere nachzudenken. Das hilft ungemein.“
Apropos Kritik als Bestandsaufnahme – wie ist die derzeitige Stimmung der Gäste, was hat sich am Umgang mit ihnen verändert? „Man sieht eine deutliche Veränderung im sozialen Verhalten der Leute, Smalltalk fällt uns allen schwerer, es gibt eine soziale Angst und oftmals habe ich den Eindruck, die Leute wissen nicht mehr so recht, wie sie sich verhalten sollen.“ Es wird etwas leichter getrunken als vorher, meint sie, aber die Probierfreudigkeit bleibt. Rose-Manon Baux ist das gerade recht, denn wenn sie im Kellerlabor arbeitet, dann für die Liebe an der Kreation von Neuem.
Rückblickend ist ihr Lebenslauf geradezu der phänomenologische Beweis dafür, dass der Bartender an sich, in Form und in Inhalt, immer schon eine Schule durchläuft, die von Unsicherheit und Überwindung, von Überzeugung und Urinstinkt geprägt ist. Am Ende geht es immer ums Probieren – sich an der Welt, eine Idee, den Drink.
Atmosphärische Einfachheit und aromatische Erlebnisse
Einmal ganz von ihrem Beruf abgesehen, probiert sie natürlich liebend gern neue Orte aus, weiß innovative Projekte und die gastronomische Anziehung zu schätzen. Ihr letztes schönes Gastro-Erlebnis? Bei Hallmann & Klee in Neukölln, wo sie eine frische Energie verspürt hat und sieht, dass sich hier Neues getraut wurde.
Wer also mutig sein und dennoch Nachbarschafts-Vibes verspüren will, wer atmosphärische Einfachheit und aromatische Erlebnisse zugleich haben will – der gehe auf einen Go Apes ins Wax On. Der Strom ist auch schon wieder da.
Credits
Foto: Audun Lindholm