Das andere Mallorca: Im Cocktail-Keller des Sala de Personal
Mallorca steht vor Veränderungen und Herausforderungen. Die Insel will weg vom Ballermann-Image, gleichzeitig sorgt Luxustourismus für Raubbau und Verstimmung. Eine andere gastronomische Ausrichtung kann dabei helfen. Und Barkultur. Glaubt zumindest Matias Iriarte Turnes, der mehrere Bars betreibt und vor allem mit seinem Bar-Restaurant „Sala de Personal“ Cocktails auf Höhe der Zeit anbietet.
Für die Deutschen ist es wieder Mallorca-Zeit – wie eigentlich jeden Monat zwischen November und Februar. Oder zwischen November und Februar, aber da erkennt man sie nicht so gut an ihren Socken in den Sandalen; und überhaupt ist der deutsche Urlauber da eher mit der Fahrradausrüstung in der Finca versteckt.
In einem zwei Jahre zurückliegenden Text ging es an dieser Stelle bereits darum, dass sich Mallorca verändert, mausert gar. Auch als Urlaubsort mit einer zunehmend auf Nachhaltigkeit konzentrierten Kreislaufwirtschaft, die Wert auf Cocktailkultur legt: Slow travel, Slow Drink. Hin zu der „Insel, die sie schon immer war: ein Ort, zu Ostern in der Mandelblüte, im Sommer im Stillen einer klaffenden Dürre, im Herbst die Feigen, Mandeln und Oliven und im Winter der Hierbas.“
Bekleidet durch die Wasserknappheit
Passend dazu gehen Mallorquiner aktuell auf die Straßen und an die Strände, um sich gegen den Massen- oder auch Raubtourismus bezeichneten Zustand der Insel auszusprechen. Damit ist nicht der über die vergangenen Dekaden angeprangerte Sauftourismus, sondern der Luxustourismus gemeint. Denn es scheint viele Gesetzeslücken zu geben, die es 5-Sterne-Ressorts ermöglichen, den Wasserhaushalt in bestimmten Regionen in den Ruin zu treiben. Gerade Luxusanlagen mit Spa, riesigen Pools und immensen Gärten mit künstlicher Bewässerung verbrauchen in manchen Gemeinden rund 65 Prozent des verfügbaren Wassers.
Da scheint das seit Mai dieses Jahres bestehende Trinkverbot (an bestimmten Orten) auf offener Straße das deutlich kleinere Problem der Insel zu sein, geht es dabei doch maßgeblich um den Ballermann. Zu dem Verbot gesellen sich auch die Verwendung von Megafonen und Lautsprechern, der Verkauf von Alkohol nach 21:30 Uhr und das Herumlaufen mit nacktem Oberkörper an der Promenade. Zumindest seitens der Regionalregierung. Doch auch die Gastronomen stellen ihre Regeln auf. In einigen Gastronomien in Palma hängt ein Schild, mitunter auf deutsch – natürlich –, auf dem steht sinngemäß etwas wie „Eintritt nur bekleidet.“
Sala de Personal
Die Mallorquinische Mietpreisexplosion
Matias Iriarte Turnes, geboren in Argentinien, lebt seit geraumer Zeit in Palma, das er – im wahrsten Sinne – aufmischt. Als Co-Owner der Ginbogroup eröffnete er im Jahr 2008 das Ginbo, das ist, Überraschung, eine Bar mit Gin-Fokus, ohne dabei den Blick auf andere Spirituosen zu verlieren. 2016 folge das Chapeau 1987, nur wenige Meter weiter und in Stil und Ausrichtung klassischer as sein Vorreiter, aber auch etwas ambitionierter, etwas weniger licht und leicht wie im Ginbo. In Letzterem führt jedoch seit 2022 eine Treppe hinab ins Sala de Personal, ein Speakeasy Cocktail-Restaurant. Der Vollständigkeit halber wäre da außerdem Menut, ein Spezialitäten Coffee Shop. Iriarte Turnes ist außerdem Content Director der Madrid Cocktail Week.
Nun kann man sich natürlich fragen, wer in all diese Läden gehen soll – das sind wohl kaum die Ballermänner, die sich vor lauter Trinkverbot auf der Straße in Iriarte Turnes’ Gin-Tempel retten; und die Luxusleute, nun, die bleiben vermutlich in einer ihrer Ressortbars und schauen der Sprenkelanlage beim Sprenkeln zu.
Mallorcas Cocktail-Szene auf den Radar bringen
Es ist ein sonderbares Geflecht dieser Tage auf „Malle“, und gerade die Highend-Bar-Szene muss sich umsehen. Und das tut sie auch, und zwar über den Inselrand hinaus: „Ich denke, wir können zunehmend Gründe kommunizieren, auch außerhalb der Sommersaison auf die Insel zu kommen. Was diese nämlich braucht, sind Menschen, die das ganze Jahr über aus verschiedenen Gründen hier sind; so lässt sich Tourismus mit den Einheimischen möglicherweise auf eine für alle respektvolle Weise verbinden”, erklärt Iriarte Turnes.
Dabei müsse von allen Seiten an einem Strang gezogen werden, findet er: Die Sommer müssten weniger überfüllt sein und mehr Leute dezidiert für die gehobene Bar-Gastronomie kommen. Das scheint deutlich leichter gesagt als getan. Wie gehen wir das an? „Wenn die Leute nicht wissen, dass diese Art von Szene auf Mallorca existiert, können sie die natürlich auch nicht auf dem Radar haben. Daher ist es wichtig, sichtbar zu sein, damit die Leute wissen, dass es hier eine lebendige Branche gibt; wo hochwertige Drinks und Gastfreundschaft auf internationalen Standards erlebbar sind. Dann werden die Leute eines Tages wegen der guten Bars nach Mallorca kommen, und nicht nur, um sich mit billigem Bier zu besaufen,” hofft Iriarte Turnes.
Geht ja ohnehin nicht mehr allzu lange gut, wie es scheint. Dabei ist der konkrete Ballermann ein relativ überschaubares und vermeidbares Gebiet. Worum es allerdings wirklich geht, ist eben auch der Einzug des Luxustourismus, der Anstieg der Energiekosten und der Ausverkauf der mallorquinischen Immobilien: „Das Problem, mit dem wir Insulaner dieser Tage konfrontiert sind, besteht darin, dass wir wegen der dramatisch gestiegenen Mietpreise keinen Wohnraum mehr haben. Noch vor vier bis fünf Jahren war es nicht so, dass wir uns eine Wohnung teilen mussten – an diesem Punkt sind wir jetzt.” Der derart explodierte Tourismus wirkt sich für alle Mallorquiner:innen auf das tägliche Leben aus.
Sala de Personal: Cocktails durch Zeit und Raum
Bei all dem Übel, das also die Deutschen, Engländer und alle anderen in verschiedenen Facetten des Grauens auf die Insel bringen, fragt sich doch, ob das nicht auch Gutes bringt. „Natürlich, alles hat seine eigenen Vor- und Nachteile. Man darf die Insel-Situation nicht vergessen, Einheimische sind oftmals etwas verschlossener gegenüber Veränderungen. Das macht es schwieriger, innovativ zu sein. Gleichzeitig kommen viele Touristen, die gerne etwas erleben und ausprobieren möchten; so versuchen wir nach und nach auf beiden Seiten, Vertrauen aufzubauen.” Bei den Besuchern scheint das ein My einfacher zu gehen, die kommen immerhin mit einer Menge Möglichkeitssinn daher, haben hie dort etwas gesehen von der Welt und der Geldbeutel ist auf Ausgeben gepolt; dennoch will Iriarte Turnes die Einheimischen alles andere als links liegen lassen: „Man muss sie eben heranführen.“
Und zwar in genau der Reihenfolge: Ginbo, Chapeau, Sala de Personal. Im Ginbo – übrigens schlichtweg „Guter Gin“ im mallorquinischen Catalán – gibt es über 200 Ginsorten, außerdem zuletzt eine famose 90er Jahre-Karte, inzwischen eine, die der AI gewidmet ist. Catchy also, und ein schmackhaftes Gin-Getränk haben noch die meisten für sich entdeckt – zumindest unter dieser Auswahl und jener Anleitung. Bier gibt’s auch, das Ginbo ist quasi eine Fine Dive Bar. Auch im Chapeau gestaltet sich die Karte originell, aber verständlich. Das Chapeau ist eine Hotelbar ohne Hotel, Musik aus den Siebzigern bis Neunzigern und das Publikum ab 30. Überdies die erste Bar auf der 50Best Discovery-Liste der Insel. Die letzte Karte, namentlich „Remake“, widmete sich dem Gedanken an die Erfinder klassischer Drinks unter der Prämisse, dass ihnen heutige Techniken bekannt gewesen wären. Da wäre dann der – aus unbekannten Gründen tatsächlich zum Revival katapultierte – Porn Star Martini als Tinder Martini mit Pfirsichvodka, Tonkabohne, Joghurt und Sekt. Oder ein Moscow Mule als Somera mit Tequila, Mezcal, Empirical Symphony 6, Minze, Ginger Beer und scharfem Öl. Schon anders, dennoch erkennbar und somit wie gemacht zum Abholen – und woanders hinbringen.
Von Sóller und Valdemossa nach Palma
Zum Beispiel zurück ins Ginbo, bloß eine Etage tiefer, ins Sala de Personal. Dieser Ort ist Iriarte Turnes’ ganzer Stolz. Das Konzept ist simpel in der Theorie und anspruchsvoll in der Umsetzung: serviert wird, was die aktuelle Jahreszeit hergibt und von regionalen Produzenten erstanden werden kann. Gewechselt wird einmal die Woche. Ausgezeichnet ist das Sala de Personal mit 1 Sol Repsol durch den „Repsol Guide“, das entspricht in etwa einem spanischen Michelin-Stern. Hier finden dann Dinge statt wie Sake-Kasu-Kimchi, eingelegte Entenzunge, Pollen-Miso und Spanferkelkopf mit Wurzelgemüsesauce, meist sind es sechs Gänge, dazu sechs Drinks, astrein aufeinander abgestimmt.
Nein, das ist falsch: die Gerichte sind auf die Drinks abgestimmt, so rum. Iriarte Turnes’ Lieblingspairing ist eines aus dem vergangenen Juni. Das war ein Salat aus den aromatischsten Tomaten, die er finden konnte, sowie den ersten Feigen des Jahres – kombiniert mit einem Drink aus Rum mit Temperanillofass-Finish, Tomatenwasser und laktofermentierten Feigen. „Wir schicken die sehr genau ausgesuchten Zutaten hier auf die Reise durch einen ganzen Kreislauf an Konsistenzen, das macht die Spannung bei diesem Pairing aus“, begründet er seine Wahl.
Platz gibt es im Sala de Personal für maximal 14 Menschen, die Atmosphäre ist lauschig, an den Betonwänden prangt das neonrote Treppen-Logo. Die rote Leiter auch an der Decke, verziert mit Chiliketten, die über den Köpfen der Gäste wackeln. Für Bartender versucht Iriarte Turnes, es etwas zu beschleunigen und veranstaltet Dinge wie das Palma Fine Drinking Forum, zu dem er namenhafte Bars und Experten vom Fach einlädt, um über Gegenwart und Zukunft der Branche zu sprechen. So schwammig das formuliert sein mag, für die Mallorquiner ist das herzlich konkret. Es geht darum, gemeinsam lokale Produzenten, Märkte und Bars zu besuchen, um mit Industrie und Kollegen eine Vision der nächsten Cocktail-Generation zu teilen. Bei der medialen Lektüre der, nennen wir es einmal „gastronomischen“ Szene auf der Insel, liegt dieses Unterfangen nah: Es braucht gemeinsame Visionen, die Entwicklung von Wegen und Zielen, vor allem aber einen Raum des Austauschs. Den schafft Iriarte Turnes mit seiner Bar-Trias zweifelsohne.
Das andere Mallorca zeigen
Mallorca hat rohstofflich alles, was es braucht; Aufmerksamkeit und Menschen auch, aber es gibt diesen Knick. Einen, der Missverständnisse schafft: zwischen dem, was die Insel hergeben und teilen will – und dem, was Menschen glauben, nehmen zu dürfen. Es gibt einen Unterschied, ob man halbnackig im Zug von Palma ins pittoreske Sóller an der Westküste sitzt, um von dort aus ein Selfie beim Pflücken mehrerer Orangen zu versuchen, während man den Zug mit San Miguel vollschüttet; oder sich von Iriarte Turnes erklären lässt, wie er den aus eben jenen Orangen hergestellten Likör mit aus Valdemossa geernteten und ebenfalls zu Likör verarbeiteten Mandeln kombiniert und in den Gin von Bodegas Suau – eine der ältesten Weinkellereien Mallorcas – einbindet. Es gibt eben verschiedene Möglichkeiten, sich Orte zu erschließen.
Und wenn man nicht auf die Insel kommt, dann kommt die Insel zu einem. Das ist zumindest der Plan. „Wir werden weiterhin reisen und Sala de Personal durch die Welt tragen. Wir wollen Mallorca zeigen, wie es wirklich ist, wollen seine fantastischen Aromen teilen und dabei so viel Präsenz zeigen, wie nur möglich.“
Credits
Foto: Sala de Personal