TOP

Sasha Petraske: „Über Cocktails“

Stil, Etikette, Stammgast und Katzencocktails – am allerwenigsten, so scheint es, geht es in Sasha Petraskes Werk um Getränke an sich. Das posthum erscheinende Kompendium des zu früh verstorbenen Bar-Visionärs erklärt ebenso vieles wie es Fragen aufwirft. Und ist natürlich jede Lektüre wert.

Milk & Honey, ein Schlaraffenland, in dem Milch und Honig fließen. Die kleine New Yorker Bar, ursprünglich in der Eldrige Street, Lower East Side, angesiedelt, ist zur Legende mutiert. Ebenso wie der Mann dahinter. Sasha Petraske war Bartender, Gentleman, Lebemann, „eine Persönlichkeit mit einem großen Herzen in einem Beruf, der oftmals die gegenteiligen Seiten eines Menschen zum Vorschein bringt“,  schreibt Dale DeGroff würdigend in seinem Vorwort.

Grundlagen und Geschichten

DeGroff selbst ist eine der Ikonen der Barwelt und maßgeblich mitverantwortlich für die hart erkämpfte, neue Wertschätzung der Profession. Der Mann weiß, wovon er spricht. Fast wie ein Nachruf auf einen besonderen Freund liest sich die Einleitung, ebenso wie viele weitere Passagen des Buches. 2015 verstarb Petraske an einem Herzinfarkt, 42 Jahre jung, nur drei Monate nach seiner Hochzeit.

Sein schriftliches Werk konnte er nicht mehr vollenden. 75 Drink-Rezepturen umfasst „Über Cocktails“, welches von Petraske in seinen Grundzügen aufgesetzt, schlussendlich aber von seiner Ehefrau Georgette Moger-Petraske finalisiert werden musste. „Das Buch,“ so Moger-Petraske, „soll wirken, als würden wir daheim eine Cocktailparty geben.“

In den Grundlagen zu Beginn schmökert man sich durch Empfehlungen rund um die eigene Hausbar. Werkzeuge, Zutaten, Gläser – selbst dem „gefrorenen Wasser“ und wie viel Schmelzwasser jeder Drink möglichst aufweisen sollte, wird minutiöse Beachtung geschenkt. Der Hauptteil widmet sich den Rezepten: Jede Seite erzählt die Geschichte eines Drinks, der in Petraskes Bars erfunden oder populär gemacht wurde. Stets begleitet von persönlichen Anekdoten diverser Kollegen, Mitarbeiter und Weggefährten, mutiert die Kollektion zu einem flüssigen Tribut an jenen Mann, der zu den großen Visionären der Bar-Welt gezählt werden muss.

Schöne Lektüre, schwierige Lesezeichen

Es sind keine aufwendig inszenierten HD-Fotos, die einzelne Drinks in glamouröses Licht tauchen. Schlichte Illustrationen von Glas und Inhalt sollen auf den ersten Blick jegliche Kreation de-mystifizieren, ohne dabei prätentiöse Eyecatcher unters Volk zu jubeln. Als Legende dient ein beigelegtes Lesezeichen, welches jeder geometrischen Form eine bestimmte Zutat zuteilt. Charmant gedacht, bei der Lektüre eine Herausforderung. Die heillose Vielfalt gepaart mit der Ähnlichkeit von Formen und Farben macht ein Entziffern bisweilen schwierig. Besonders in schummrigen Bars ist der geneigte Leser mit millimetergroßen Dreiecken, Quadern und Würfelchen verloren.

Man muss sich also am geschriebenen Wort und den ausformulierten Rezepturen festkrallen. Diese zeigen einmal mehr Petraskes penible Detailverliebtheit und seinen unabdingbaren Qualitätsfokus. Da wird nicht gerundet, nicht der Einfachheit halber – wie oft bei amerikanischen Barmaßen – mit Unzen und half ounces jongliert. 7,5 ml hier, 2,2 cl da. Nicht alles davon ist praktisch, gerade für den Alltagsgebrauch in betriebsamen Cocktailbars. Bei 11 ml muss der Barmann schon eine ruhige Hand beweisen, während ihm gegenüber four deep die durstigen Mäuler stehen. Andererseits hätte sich der Autor in so einer Atmosphäre auch nicht wohlgefühlt.

Manieren als Markenzeichen

Die Übersetzung aus dem englischen Original ist gut gelungen, vereinzelte Begriffe wirken etwas holprig – Stichwort „rückwirkungsfrei“. Dies sorgt aber bestenfalls für kurzes Schmunzeln, kaum für ernsthafte Verständnisprobleme. Wenn als sinnvoll erachtet, gibt der Autor Empfehlungen zu individuellen Marken, ansonsten verwendet er generische Begriffe und unterscheidet einzelne Kategorien wie „Espadín“ Mezcal oder „Islay“ Whisky. Wermutliebhaber müssen sich mit „trocken“ oder „süß“ zufrieden geben, angelehnt an frühe Barbücher und ihrem Verständnis von französischem sowie italienischem, rotem Wermut.

Als abschließendes „Farewell“ gibt das Werk eine Fülle von Empfehlungen und Regeln hinsichtlich der Etikette mit auf den Weg: „Prinzipen“ genannt. Es ist der perfekte Abriss dessen, was Petraske zu Lebzeiten geprägt und ausgezeichnet hat, wie er selbst das Benehmen anderer zu erwarten gedachte. „Gute Manieren sind das Markenzeichen eines Gentleman“, philosophierte der Autor; egal, ob man nun eine Dame anzusprechen erwägt, sich als Stammgast einer Lokalität etablieren möchte, oder welche Haltung man hinsichtlich des Reisens, der Wohltätigkeit und des Trinkens in der eigenen Bar an den Tag legt.

„Über Cocktails“ ist in seiner ersten Essenz ein Cocktailbuch. Der verheißungsvolle Titel stellt dies ebenso klar wie die inhaltliche Gewichtung. Doch es ist nicht die Aufzählung und korrekte Abmessung einzelner Zutaten, die diese Seiten mit Leben füllt. „Man soll Cocktails nicht intellektualisieren“, hatte Petraske einst pointiert, „ein Drink ist eine einfache Sache. Worauf es ankommt, ist, ob du es richtig machst.“

Das Wesen des Gastgebers

Water Lily, der perfekte Daiquiri, Getränk für Katzen. Hinter all dem stehen tiefergreifende Gedanken, und die Bar-Legende Petraske zaubert dem Leser Fragezeichen ins Gesicht. Es sind andere Fragen als schlicht jene, wie viel von welcher Flüssigkeit in ein Glas kommt. Die innere Haltung und das Wesen des Gastgebers sind jene Parameter, die ein Getränk gelingen und – viel wichtiger noch – zu einer denkwürdigen Erinnerung werden lassen. Und so ist „Über Cocktails” am wirklichen Ende eben nicht nur ein Cocktailbuch. Sondern eine Erinnerung an einen speziellen Abend, eine ganz besondere Bar. Und an einen außergewöhnlichen Menschen, der viel zu früh sein Lebenswerk beschließen musste.

Credits

Foto: Tim Klöcker

Kommentieren