Die Geschichte des Cocktails, Teil 9: Der Sazerac (1899)
Die Geschichte des Sazerac Cocktails ist voller Mythen, wer hätte noch nicht davon gehört. Man erzählt sich folgendes: Nach Aufständen in San Domingo flieht Antoine Amedée Peychaud 1793 nach New Orleans. Mit sich führte er das Rezept für seinen Peychaud’s Bitters, mit dem er in New Orleans berühmt werden sollte. Er serviert ihn, vermischt mit Cognac, in einem kleinen, doppelseitigen Eierbecher als Heilmittel bei Magenleiden.
6 cl Rye Whiskey
0,25 bis 0,5 cl Absinth (abhängig von den Zutaten)
2 Dashes Peychaud’s Bitters
0,5 cl Zuckersirup 2:1
Zubereitung: Gerührt. Mit einer Zitronenzeste abspritzen.
Der Mythos des Eierbechers
Diesen Eierbecher, aus dem sich später der Jigger entwickelt haben soll, nannte man „Coquetier“, manche sprachen auch vom „Cock-tay“ – und so wurde daraus schließlich die Bezeichnung „Cocktail“. Bald schon wurde dieses Getränk in den Kaffeehäusern der Stadt, so nannte man damals die Saloons, ausgeschenkt: Man begann damit, Brandy Cocktails zu trinken.
John B. Schiller war in New Orleans der lokale Vertreter der Cognacmarke Sazerac-de-Forge aus Limoges. 1859 eröffnete er in der Exchange Alley das Sazerac Coffee House und servierte dort auch Peychauds Brandy Cocktails. Schnell sagte man dazu „Sazerac Cocktail“, und er wurde sehr populär. 1870 folgte ihm sein Buchhalter Thomas H. Handy als Inhaber. Es kam nun zu einer Änderung der Rezeptur. Cognac wurde durch Rye Whiskey ersetzt und ein Spritzer Absinth wurde hinzugefügt. Letzteres soll die Idee von Leon Lamothe gewesen sein. In diesem Zusammenhang wird oft davon gesprochen, dass der Sazerac Cocktail eines der ältesten Mischgetränke der Welt sei.
Diese lange, schöne Geschichte des Sazerac Cocktails wird immer wieder kolportiert und meist mit weiteren Details unterlegt. Für den Einsatz eines Rye Whiskeys sei beispielsweise nicht nur die Vorliebe der Gäste ausschlaggebend gewesen, sondern auch der durch die europäische Reblausplage verursachte Brandy-Mangel.
Vom Coquetier zum Imperium
Jedenfalls bauten Thomas H. Handy und seine Nachfolger ein Imperium auf. Die Sazerac Company wurde gegründet, 1873 erwarb man die Rechte für Peychaud’s Bitters, und heute ist das familiengeführte Unternehmen Besitzer vieler traditionsreicher Destillerien.
Doch dieser Mythos stimmt so nicht. Die Gattung der Cocktails wurde nicht nach einem Eierbecher benannt. Antoine Peychaud ist nicht der Erfinder des Cocktails. Er kam nicht 1793 nach New Orleans, denn er wurde erst 1803 geboren. Den Sazerac Cocktail gab es Mitte des 19. Jahrhunderts nicht. Doch was ist nun die wahre Geschichte des Sazerac Cocktails? Das Ergebnis ist ernüchternd.
Die wahre Geschichte des Sazerac Cocktails
Bereits 1843 gab man in New Orleans etwas Absinth in seinen Brandy Cocktail. Diese Art der Zubereitung wurde in den 1870er Jahren als „Improved Cocktail“ bekannt, wie wir schon früher in dieser Reihe besprochen haben.
In den 1890er Jahren begannen einige Firmen erfolgreich damit, Cocktails fertig abgefüllt in Flaschen zu verkaufen. Die Eigentümer des Sazerac House erkannten ihre Chance und brachten ebenfalls verschiedene Cocktails in Flaschen auf den Markt. Darunter waren der Whiskey Cocktail, Manhattan Cocktail, Tom Cocktail, Holland Gin Cocktail oder Vermouth Cocktail. Sie alle wurden unter dem Markennamen „Sazerac Cocktails“ vermarktet. Ein spezieller Cocktail mit der Bezeichnung Sazerac Cocktail war nicht darunter. Vielmehr verstand man unter einem Sazerac Cocktail jeden beliebigen Cocktail der Marke „Sazerac Cocktails“, was bis zum Beginn der Prohibition der Fall blieb.
Es scheint so zu sein, dass man allgemein unter einem „Sazerac Cocktail“ ab einem bestimmten Zeitpunkt überwiegend den Whiskey Cocktail aus der Reihe der Sazerac Cocktails verstand. Bis zur Prohibition gab es jedoch niemals einen abgefüllten Cocktail, der selbst Sazerac Cocktail hieß.
Nach dem Ende der Prohibition, im Jahr 1933, begann die Sazerac Company wieder damit, Flaschencocktails zu vermarkten. Allerdings nicht wie zuvor verschiedene Cocktails unter der Markenbezeichnung Sazerac Cocktails, sondern einen Whiskey Cocktail, den man Sazerac Cocktail nannte. Das ist auch ein Grund dafür, warum man heute unter einem Sazerac Cocktail einen Cocktail versteht, der nichts anderes ist als ein Improved Whiskey Cocktail.
Die Rezeptur eines Improved Whiskey Cocktail
Wie eine Analyse der überlieferten Rezepturen zeigt, ist eine eindeutige Rezeptur für einen Sazerac Cocktail nicht vorhanden. Er wird zwar überwiegend mit Whiskey hergestellt, doch man darf auch zusätzlich Wermut und Rum verwenden, oder anstelle eines Whiskeys auch andere Spirituosen. In der Regel werden Bitters und Absinth verwendet, meistens auch Zucker oder die Öle einer Zitrone, doch es geht auch ohne.
Welcher Bitters zu verwenden sind, ist nicht eindeutig. Peychaud‘s Bitters werden jedenfalls nicht klar bevorzugt. So muss man nach einer Analyse feststellen, dass der Sazerac Cocktail in keinster Weise wohl definiert ist. Er ist nichts anderes als ein nicht näher spezifizierter Improved Whiskey Cocktail.
Der Mythos, der den Sazerac Cocktail groß gemacht hat, ist nichts weiter als eine Mär, wohl aus Marketinggründen erdacht oder kolportiert. Nichtsdestotrotz: Wenn der Sazerac Cocktail (oder vielleicht besser gesagt: ein Improved Whiskey Cocktail) gekonnt zubereitet wird, ist er wahrlich eine Köstlichkeit, die man nicht missen möchte.
Die Geschichte des Cocktails
Teil 1: Der Ursprung des Cocktails
Teil 3: Der Brandy Crusta (1862)
Teil 4: Der Japanese Cocktail (1862)
Teil 5: Der East India Cocktail (1882)
Teil 6: Der Manhattan Cocktail (1882)
Teil 7: Der Bamboo Cocktail (1886)
Teil 8: Der Princeton Cocktail (1895)
Teil 10: Der Deshler Cocktail (1916)
Teil 11: Der Aviation Cocktail (1916)
Credits
Foto: ©Sarah Swantje Fischer
Daniel Juchem
Schöner Artikel, wunderbare Bilder! Kann man erfahren in welchen Gläsern der Sazarec dort Kredenzt wird?
Mixology
Lieber Daniel,
danke für die Blumen, ganz besonders auch im Namen der Fotografin Sarah Fischer! Leider ist das abgebildete Glas ein Vintage-Einzelstück aus dem Besitz der Fotografin, zu dem wir Dir nicht nennen können, woher es stammt oder welche Firma es hergestellt hat.
Herzliche Grüße
// Nils Wrage