Das Schloss Neuschweinsteiger macht vor, warum es nicht immer gleich Gentrifizierung sein muss
»Links: gefrostete Gläser, Bartender mit Fliege und 100 Gins mit 1.000 Botanicals. Und rechts: lauwarmes Sternburg, Gespräche über Ausländer und ein Gast, der am Tisch eingeschlafen ist. Oder rechts: Techno, Red Bull und 15 Jahre alt. Und links: roter Wein, weißer Wein und Port, so alt und dick wie das Leder der Garnitur. Offen seit 15 Tagen.«
Es gibt so Läden, in die geht man einfach nicht. Da muss gar kein Hakenkreuz an der Tür sein. Es reicht, wenn die Leute irgendwie…oder wenn die Musik einfach…oder wenn die Drinks eben, naja…sind.
Man geht an ihnen vorbei und wundert sich, dass jemand am Tresen sitzt. “Wieso sitzen die da am Tresen?” denkt man sich. “In diesen Laden geht man doch einfach nicht.” In einigen Stadtteilen, die sich besonders schnell verändern, liegt häufig nicht viel Luftlinie zwischen Läden, in die man geht, und Läden, in die man nicht geht.
Manchmal trennt sie nur eine Wand. Links: gefrostete Gläser, Bartender mit Fliege und 100 Gins mit 1.000 Botanicals. Und rechts: lauwarmes Sternburg, Gespräche über Ausländer und ein Gast, der am Tisch eingeschlafen ist. Oder rechts: Techno, Red Bull und 15 Jahre alt. Und links: roter Wein, weißer Wein und Port, so alt und dick wie das Leder der Garnitur. Offen seit 15 Tagen.
Eine etwas umständliche Beschreibung von der Gentrifizierung, das stimmt. Aber das mit der Gentrifizierung ist eben auch eine umständliche Angelegenheit. Denn dieses „man“ ist schließlich etwas Individuelles. Wer wo reingeht, das entscheidet eben: man.
Der Autor des Artikels hat versprochen, nicht zu erwähnen, dass das Schloss Neuschweinsteiger übrigens früher „Helmut Kohl“ geheißen hat. Obwohl es ihm schwer fällt, so eine Geschichte links liegen zu lassen, mag er sich doch daran halten. Deshalb verzichten wir also darauf, zu erzählen, wie Helmut Kohls Anwälte sich eingeschaltet haben und das Helmut Kohl zur Umbenennung, sagen wir, überredet haben.
Und dann gibt es einige wenige Bars, die einfach wachsen. Um sie herum verändert sich die Welt, der Kaffee kommt irgendwann aus teureren Maschinen, Mieten steigen auf wie Greifvögel, und aus Arbeiterschuhen werden Espandrillas, später Kalbsleder-Budapester, noch später Maßschuhe vom Italiener.
Das Schloss Neuschweinsteiger in der Emser Straße ist so ein Laden. Vor acht Jahren war es eine Kneipe, in der das Bier vom Fass zwei Euro gekostet hat. Und ungefähr zur Espandrilla-Zeit gab es einen Whiskey Sour, der sich sehen lassen konnte, der auch Bartender selbst über die unsichtbare Genussgrenze hinter der Weserstraße gelockt hat. Denn ein guter Whiskey Sour in Berlin-Neukölln: Vor acht Jahren war das sicher keine Selbstverständlichkeit.
Im Wandel der Zeit ein zeitloser Wandel
Und als dann die Kalbsleder-Budapester die Emserstraße zum Dinner aufsuchten, da war die Cocktailkarte des Schloss Neuschweinsteigers längst die Avantgarde des letzten Zipfels wilden Neuköllns, auf das es die Kalbsleder-Budapester ja eigentlich abgesehen hatten.
Aber, und das ist eben das Ungewöhnliche, der Nachbar trinkt hier noch immer sein Bier. Obwohl es mittlerweile, nicht viel, aber doch ein paar Cent teurer geworden ist. Einer der Gründe dafür lässt sich schon vor der Eingangstür erahnen. Denn durch die etwas milchigen Fenster scheint ein Licht nach draußen, das ein „Innen“ vermuten lässt, wie in einer einsamen Berghütte. Und das alles zwischen Baustellen, Wettbüros und drei Buslinien.
Das „Innen“ hält dann auch, was es verspricht. Es ist nicht unbedingt ein Wohnzimmer, aber ein, trotz seiner enormen Größe, so gemütlicher Gastraum, dass man sich hier wohl fühlt. Ein Stück Frieden im beschworenen wilden Neukölln.
Schloss Neuschweinsteiger, eine Oase der Gastfreundschaft
Früher stand Inhaber Michel Braun noch viel selbst hinterm Tresen. Doch in den letzten Jahren hat er das Zepter weiterreichen können, an Erik Albrecht, einen der sympathischsten und aufmerksamsten Chef de Bars, die Berlin so zu bieten hat. Wir reden etwas über Nachhaltigkeit und kommen eher zu Experimenten.
So kochen die Mixologen im Schloss ihr Kartoffelwasser zu einem Sirup für einen Vodka Cocktail oder reduzieren ihre entzesteten Zitrusfrüchte auf eine leckeres Konzentrat. Das Argument mit der Nachhaltigkeit schlucken wir nicht ganz (denn es geht ja vor allem um Kartoffelschalen!), aber die Ergebnisse lassen sich ganz einfach sehen. Kommen wir also dazu, was der Autor des Artikels in seinen italienischen Maßschuhen so probiert hat.
Als erstes stand der Heyday Punch auf dem Gesprächstresen, eine Kreation des Inhabers selbst. Abuelo 7yr, Hibiskustee, Lemon Sherbet und ein Barlöffel Absinth, mit Muskat on top. Sehr überzeugend. Als Nächstes gab es den Cocktail der Woche, Honeymoon in Jerez. Oloroso Sherry, Jameson, Grapefruitsaft und Honigsirup. Das Resultat ist ein geschmeidiger, sehr schokoladiger und frischer Drink, von dem eigentlich nicht genug getrunken werden kann. Bezaubernd!
Es ist also eine Bar für alle, das ist klar. Und in einer Zeit, in der sich die Gesellschaft mehr und mehr homogenisiert, in der „man“ in manche Läden einfach nicht geht, ist das Helmut…, äh, das Schloss Neuschweinsteiger eine Oase der Gastfreundschaft.
Credits
Foto: Sarah Swantje Fischer
Julia Franke
Voll gut geschrieben! Informativ und sehr humorvoll! I like that!
ADK
Dieser Artikel beschreibt treffend, weshalb diese Bar lange Jahre bereits die Bar meiner Wahl ist. Geschmunzelt hab ich auch.
Zur Bar: Die Qualität der Drinks variiert aktuell je nach Barpersonal – Albrecht hängt die Messlatte hoch. Gute Drinks und sehr gutes Preis-Leistungsverhältnis, entspannte Atmosphäre.
SH
Lasziv, göttlich, just en Pointe!
Eine wirklich tolle Beschreibung des Schlosses, das von seinen Stammgästen auch liebevoll „Schweini“ genannt wird. Die Magie dieses Ortes einzufangen ist gelungen. Hier vergreist man nicht und dennoch wird der Tag nie jünger. Und obwohl man nicht im Berghain ist, soll man auf den Toiletten trotzdem gut Sex haben können.
Das war natürlich Spaß, die Toiletten sind gerade groß genug, um sich vorstellen zu können, wie es wäre, wenn man sich einmal um die eigene Achse drehen würde, wenn mehr Platz da wäre.
Kalbslederbudapester sieht man zum Glück aber selten. Hey, vielleicht kann Erik da einen Drink heraus zaubern?
Empfehlung: Intercontinental Sour von Erik oder Gil (hieß er so? naja der Kleine jedenfalls) und 1 Packung Gitane (muss man leider noch selbst mitbringen).
Hoch lebe das Schweini!