Sebastian Dresel von Selva Negra im Interview: „Wir gehen dahin, wo Agave schon verstanden wird.“
Tequila oder Mezcal darf sie sich nicht nennen, da diese Bezeichnungen bekanntermaßen herkunftsgeschützt sind. Zumindest aber ist Selva Negra, das im Herbst 2021 auf den Markt kam, die erste deutsche Agavenspirituose. Dahinter stecken Sebastian Dresel, früher bei Diageo, und sein Geschäftspartner Laurin Lehmann. Produziert wird die Spirituose, die markante 46 % Vol. auf die Waage bringt, vom bekannten Brenner Florian Faude im Schwarzwald. Ein Name, der für Qualität steht. Im Interview spricht Sebastian Dresel darüber, wie es zur Idee für Selva Negra kam, was Agavenextrakt damit zu tun tun und warum sie es nicht auf den Massenmarkt abgesehen haben.
MIXOLOGY: Sebastian, wie kam es zur Gründung von Selva Negra? War zuerst der Wunsch nach einem eigenen Produkt da, und kam es im zweiten Schritt zu Agave – oder wollte man von Anfang an eine Agaven-Spirituose machen?
Sebastian Dresel: Während meiner Zeit bei Diageo (regionaler Vetriebsleiter Off-Trade, Anm. d. Red.) von 2014 – bis 2016 habe ich neben der Leidenschaft für Whisky auch eine für Tequila und Mezcal entwickelt, die sich durch meine darauffolgende Zeit in Sydney nochmal verstärkt hat. Ich habe während diesen eineinhalb Jahren auf Reisen vorwiegend in der Gastronomie gearbeitet, mit Barleuten aus aller Welt. Und egal wo, Agave war ausnahmslos bei allen Bartender:innen das Go-To Produkt. Ich habe mich dann gefragt, wieso es keine deutschen Agavenspirituosen gibt. Deutschland produziert Whisky, Rum, Gin und alle anderen Arten von internationalen, alkoholischen Getränken auf höchstem Niveau. Nur an diese eine Kategorie, die weltweit extreme Aufmerksamkeit erfährt, hat sich bisher noch niemand herangetraut. Das fand ich spannend. Die eigentliche Initialzündung kam dann durch Laurin Lehmann, einem guten Freund und jetzigen Geschäftspartner. Er kam vor fünf Jahren mit der Idee eines eigenen Produkts auf mich zu, die er mit Freunden umsetzen wollte. Es ging um einen alkoholfreien Gin, wozu ich ihm aber abgeraten habe, da das Wettbewerbsumfeld damals schon sehr angespannt war in dieser Kategorie. Ich riet ihm zur Agave. Seine Freunde wollten sich nicht in dieses Feld wagen und somit saß ich auf einmal mit im Boot. Ohne Laurin gäbe es also Selva Negra nicht. Und nach eineinhalb Jahren Entwicklung wussten wir übrigens, wieso es bis dato noch keine Agavenspirituosen gab, aber das steht auf einem anderen Blatt.
MIXOLOGY: Ihr importiert als Basis für das Produkt laut eigenen Angaben „Agavenextrakt“, also nicht die Agavenfrüchte, was ja schon allein ein heftiges Volumen und Gewicht wäre. Wie kann man sich dieses Extrakt vorstellen, wie eine Art Melasse beim Rum?
Sebastian Dresel: Unseren Rohstoff kann man sich in der Tat am besten als eine Art Melasse wie beim Rum vorstellen. Anders als klassische Dicksäfte beispielsweise, ist unser Ausgangsmaterial eher bitter, malzig und stark mineralisch. Es enthält eben noch alle wichtigen Informationen aus der Pflanze, die letztendlich sehr wichtig sind, um ein perfektes Endresultat zu erreichen.
»Das Importieren der Pflanzen hätte allein aus ökologischer Sicht keinen Sinn ergeben, da wir kaum Co2 gegenüber den fertigen Produkten aus Mexiko eingespart hätten. Außerdem wäre dieser Import auch sehr riskant gewesen, da es bisher keine Erfahrungen mit dem Transport der Agavenherzen für Übersee gibt.«
— Sebastian Dresel
MIXOLOGY: Grundsätzlich heißt es, dass durch den Import des Extrakts ein besserer CO2-Foodprint entsteht, als fertige Produkte zu importieren. Wie viel Melasse braucht man für beispielsweise 100 Liter Spirituose, wie ist da die Gewichtung?
Sebastian Dresel: Genau, das Importieren der Pflanzen hätte allein aus ökologischer Sicht keinen Sinn ergeben, da wir kaum Co2 gegenüber den fertigen Produkten aus Mexiko eingespart hätten. Außerdem wäre dieser Import auch sehr riskant gewesen, da es bisher keine Erfahrungen mit dem Transport der Agavenherzen für Übersee gibt. Unser Extrakt hat sich als ideale Lösung erwiesen. Zum einen sparen wir 80% C02 gegenüber den abgefüllt importierten Tequilas und Mezcals, zum anderen bringt er ein hervorragendes Endprodukt hervor. Wie ergiebig er genau ist, behalten wir für uns. Da darf jeder seine eigenen Erfahrungen machen. Wir können aber schon einmal verraten, dass der Weg zum Produkt sehr teuer ist. Auch wenn am Ende der Entwicklungszeit alle Parameter passen, ist das Produkt zwar sehr gut skalierbar, aber wird dadurch mit Sicherheit auch kein Schnäppchen werden. Agaven wachsen 8-10 Jahre und können nur einmal geerntet werden. Ein teurer Rohstoff, der in unserem Fall auch noch biozertifiziert weiterverarbeitet wird. Das ist und bleibt kostspielig.
MIXOLOGY: Agavenpreise unterliegen Schwankungen, aktuell sind sie – trotz der hohen Nachfrage nach Agavenspirituosen – so niedrig wie lange nicht. Betrifft das auch den Rohstoff, den ihr importiert?
Sebastian Dresel: Nicht wirklich, um ehrlich zu sein. Der Importmarkt bildet nicht die Preise in Mexiko ab, die auch vorwiegend durch die Blaue Weber Agave indexiert werden. Wir arbeiten mit der Salmiana, einer Wildagavensorte, die kommerziell eher weniger häufig verwendet wird. Zudem sind unsere Preise sehr stark vom Peso abhängig, der sich gegenüber den westlichen Währungen in den letzten Jahren kontinuierlich verstärkt hat. Diese Entwicklung wird im Übrigen, neben der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, der starken Nachfrage nach Tequila und Mezcal zugeschrieben.
MIXOLOGY: Bist du selbst auch regelmäßig vor Ort in Mexiko, gibt es eine persönliche Beziehung zu den Leuten, mit denen ihr vor Ort zusammenarbeitet?
Sebastian Dresel: Bisher haben wir es noch nicht zu unserem Lieferanten geschafft. Während Corona war das geplant, wurde aber durch die damaligen Regelungen wieder verworfen. Nach wie vor ist das natürlich interessant für uns. Wir würden gerne erfahren, wo unser Rohstoff herkommt und wie der Agavenmarkt in der kulturellen Heimat des Tequila und Mezcal funktioniert. Auch wenn unser Produkt etwas komplett Neues in der Kategorie darstellt, wurde es durch die mexikanischen Klassiker inspiriert und daher ist es ein Muss, dort auch mal vor Ort zu sein. Ich muss aber dazu sagen, dass es bei mir auch ein zeitliches Thema ist. Selva Negra ist für mich, anders als für Laurin, noch nebenberuflich. Wir haben uns das strikt aufgeteilt. Meine Aufgaben sind die Öffentlichkeitsarbeit, die Strategie und das Marketing. Laurin übernimmt den kompletten Vertrieb und das operative Geschäft, was deutlich mehr Zeit beansprucht. Dort wird auch das Geld verdient und daher ist es auch logisch, dass er zu 100% bei Selva Negra beschäftigt ist. Wenn wir eine Reise nach Mexiko machen, dann wollen wir das gemeinsam tun. Da ich aber auch recht frisch Vater geworden bin, ist die Reise nach Mexiko, von meiner Seite aus, nicht mal eben einzuplanen. Für unsere Produkt-DNA spielt es ohnehin eine eher nachgelagerte Rolle. Unser Ansatz ist ja nicht cultural appropriation. Die Idee ist, die Agave für ein breiteres Publikum interessant zu machen, um somit die Nachfrage nach der Kategorie in ihrer Gesamtheit zu stärken. Selva Negra wird kommunikativ und aromatisch immer einen Sonderweg in der Kategorie bestreiten. Wir sind keine Kopie, sondern eine spannende Ergänzung, die Möglichkeiten aufzeigt und eine Vorreiterrolle in Europa einnimmt. Das soll auch so bleiben.
»Unser Fokus liegt in der modernen Barszene, im Fachhandel und der gehobenen Hotellerie. Laurin und ich sind aus der Getränkebranche und haben uns von Anfang an auf den On-Trade konzentriert. Unser Ziel ist ein nachhaltiger Markenaufbau. Der Massenmarkt und der schnelle Euro interessieren uns nicht.«
— Sebastian Dresel
MIXOLOGY: Wie kam es zur Kooperation mit dem Brenner Florian Faude – und warum Florian Faude?
Sebastian Dresel: Als wir damals nach einem geeigneten Brenner suchten, fiel der Name Florian Faude mehrmals. Wir haben einen erfahrenen Brenner gesucht, der verrückt genug war, dieses Projekt mit uns anzugehen, und auch die nötige Ausdauer besitzt, diese Sache durchzuziehen. Florian ist bekannt durch seine bedingungslose Brenn-Disziplin. Seine Produkte tragen eine klare Handschrift. Geduld bei der Herstellung und eine starke Vor-und Nachlaufkontrolle zeichnen Flo aus, wie keinen Zweiten. Er ist wie Selva Negra: kompromisslos. Kurzum, er war von Anfang an der Richtige und war auch formal schnell Teil der Firma.
MIXOLOGY: Der Tequila-Boom findet vor allem in den USA statt, hierzulande ist das eher Bar-spezifisch und nicht in der großen Masse. Wie geht ihr da als deutsche Agavenspirituose ran, wie kommuniziert ihr, diese Klischees zu brechen?
Sebastian Dresel: Unser Fokus liegt in der modernen Barszene, im Fachhandel und der gehobenen Hotellerie. Laurin und ich sind aus der Getränkebranche und haben uns von Anfang an auf den On-Trade konzentriert. Unser Ziel ist ein nachhaltiger Markenaufbau. Der Massenmarkt und der schnelle Euro interessieren uns nicht. Wir gehen dahin, wo Agave schon verstanden wird. Wo innovative und jung denkende Menschen aufeinandertreffen, um Neues zu probieren, ist unser Markt. Dort sind Preiseinstiegs-Spirituosen schon lange nicht mehr en vogue. Die Menschen suchen nach Qualität, Geschmack und Einzigartigkeit. Mit dieser Zielgruppe arbeiten wir. Die Klischees gegenüber Tequila sind ein Thema, natürlich. Aber nicht bei den Fachleuten. Die trinken alle schon Agave. Die Klischees sind beim Publikum ab 30 Jahren aufwärts zu finden. Die Mixto-Tequila-Vergangenheit hat nachvollziehbarerweise vielen Menschen in Deutschland die Lust auf Agave verdorben. Unsere Arbeit liegt darin, sie zurückzuholen und vom Gegenteil zu überzeugen. Dafür sind wir angetreten und das ist unsere tagtägliche Arbeit. Unser Sprachrohr ist die Zukunft, und unser Mittel ist ein unvergleichbares, innovatives und kompromissloses Premiumprodukt.
MIXOLOGY: Konzentriert ihr euch erstmal auf den deutsch(sprachig)en Markt, oder geht es schon weiter hinaus?
Sebastian Dresel: Wir sind bereits in einigen Ländern vertreten. In der Schweiz gibt es einigen Bars in beispielsweise Zürich oder St. Moritz. Dort werden die Kunden vorwiegend durch unseren Partner Haromex beliefert. Mit der Firma Weisshaus haben wir jetzt den attraktiven österreichischen Markt begonnen und auch mit der Firma Bemakers sind wir aktuell in Skandinavien an den Start gegangen. Tequila beziehungsweise Mezcal ist eine internationale Hype-Kategorie. Selva Negra ergänzt diesen Markt und ist von Anfang an international ausgerichtet. Unsere größten Fans in Baden-Württemberg sind beispielsweise von Anfang an die Amerikaner:innen aus den US-Army-Basen. Weitere Länder sind im Gespräch. Wir arbeiten aber nur mit Distributoren, die ihr Handwerk auch im Vertrieb verstehen. Exportieren können wir selbst. Wir halten unsere internationalen Partnerschaften so wie die nationalen: Wer Bock auf Selva Negra hat, der kann gerne unser Partner werden und Teil dieser Story werden. Damit sind wir bisher gut gefahren und haben so auch immer die richtigen Partner gefunden.
»Wir sind ein Top-Shelf-Produkt, nach dem explizit verlangt wird beziehungsweise für das sich die Gastronomen bewusst entscheiden. Wir wollen nicht generisch, in beliebigen Drinks landen, sondern Drinks mit unserer Spirituose definieren und charakterisieren.«
— Sebastian Dresel
MIXOLOGY: Ihr seid mit 65 Euro für 500 ml im oberen Premium-Segment unterwegs. Für Drinks-Kalkulationen ist das nicht einfach. Wie definiert ihr eure Klientel?
Sebastian Dresel: Tequila und Mezcal ist teuer. Unsere Zielgruppe weiß das und gibt das Geld gerne auch für Selva Negra aus. Drinks mit Agave werden generell zukünftig kostspieliger werden. Unser Preis bildet den globalen Markt auch sehr gut ab. Durch unseren höheren Alkoholgehalt und den markanten Geschmack reichen auch 2 cl, um das Produkt in jedem Drink herauszuschmecken. Damit lässt es sich auch sehr gut kalkulieren für die Gastronomie. Zudem liegen auch unsere Anreizsysteme im On-Trade. Wir haben eigene Premium-Glasware zur Aktivierung und auch unsere schärfsten Preiskritiker bekommen nach einem Gespräch mit uns ihre Drinks mit Selva Negra abgebildet. Dennoch, wie gesagt, wir sind eine Ergänzung und kein Pouring-Produkt. Das wollen wir auch nicht sein. Wir sind ein Top-Shelf-Produkt, nach dem explizit verlangt wird beziehungsweise für das sich die Gastronomen bewusst entscheiden. Wir wollen nicht generisch, in beliebigen Drinks landen, sondern Drinks mit unserer Spirituose definieren und charakterisieren. Das funktioniert bisher auch sehr gut. Unsere Klientel definiert sich durch die Menschen, die genau danach Ausschau halten.
MIXOLOGY: Wieviel Prozent eurer Kunden sind aus der Gastronomie, und wie viele sind Endverbraucher?
Sebastian Dresel: Durch die vielen Onlineshops und Fachhändler lässt sich das nicht mehr wirklich sagen. Gemessen an unserem eigenen Shop kann ich aber sagen, dass der On-Trade 90 Prozent unseres Absatzes ausmacht. In Gesamtheit lässt es sich nur schätzen, wir gehen aber von 20 Prozent Endverbrauchermarkt aus. Wie beschrieben, wollten wir keinen Direktvertrieb etablieren, sondern ein attraktives Produkt für den mehrstufigen Online- und Offline-Handel schaffen. Das haben wir auch erreicht. Dadurch geben wir natürlich ein paar Informationen an den Markt ab und dieser ist etwas intransparenter für uns. Das ist aber einkalkuliert. Unser Produkt wird zunehmend nachgefragt und konsumiert. Unsere Konsumenten treffen wir außen auf der Fläche und die Realität bezüglich unserer Zielgruppe deckt sich mit unseren Vorstellungen. Somit passt das für uns.
MIXOLOGY: Letzte Frage: Dein Lieblingsdrink mit Selva Negra?
Sebastian Dresel: Selva Negra Paloma, Pur oder als Old Fashioned. We keep it classy with a modern touch.
MIXOLOGY: Lieber Sebastian, danke für das Gespräch.
Credits
Foto: Selva Negra