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Seelenschlussverkauf. Wenn Getränkekonzerne im Rückbuffet glänzen.

Wer eine Bar gründet oder betreibt, sollte genau überlegen, mit wem er ins Bett steigt. Mit coolen Bräuten oder nervösen Jungs. Philip Duff über die beste Strategie, die Getränkeindustrie für sich arbeiten zu lassen statt umgekehrt.

Jeder steht auf Geld. Mir kommt jedes Mal der letzte Drink wieder hoch, wenn mir ein selbsternannter Gutmensch mit ernsthafter Miene weismachen will, es gehe in seiner Bar »nicht ums Geldverdienen«. Worum geht’s denn sonst, du Depp? Punkt 1 eines jeden ernstzunehmenden Businessplans lautet in jedem Fall: Kohle scheffeln!

Auf der To-Do-Liste der meisten frisch gebackenen Barbesitzer steht genau das ganz oben. Was in vielen Fällen allerdings den Mitarbeitern und Gläubigern geschuldet ist, die auf ihr Geld nicht warten wollen. Derart unter Zugzwang tappen viele Anfänger oft in die Falle und lassen sich auf üble Deals ein. Abschreckende Beispiele findet man an jeder Ecke. Da kann die Bar noch so entzückend eingerichtet, das Interieur teuer und das Champagnerglas fürs PR-Mäuschen gefüllt sein – ein kurzer Blick in Rückbuffet und Getränkekarte verrät: Nicht nur hat hier jemand seine Seele an Bacardi, Diageo oder Pernod-Ricard verkauft, sondern das auch noch auf die erdenklich langweiligste Art und Weise. Die üblichen Verdächtigen machen sich großkotzig in der ersten Reihe des Rückbuffets breit. Unpersönlich auch die Cocktailkarte, die ungeschickt mit Markennamen und Logos vollgepflastert aussieht wie das Endresultat eines Workshops für angehende Markenbotschafter.

Wissen Sie, was ein Getränkekonzern zahlt, um ein Jahr lang in der Karte einer Londoner Szenebar vertreten zu sein? Pro Cocktail, Produkt und Jahr bis zu 10.000 €. In den 1970er-Jahren kam diese diskutierbare Praxis in verschiedenen Supermarktketten auf. Die Getränkeindustrie folgte wenig später. Und dort, wo’s nicht erlaubt ist, wird mit oder ohne Deckmantel genau das Gleiche getan. Vor kurzem trank ich ein paar Cocktails mit einem Typen, der mit seinem Team bei Moet Hennessy USA die Marke Grand Marnier von Michel Roux übernommen hatte. Michel Roux, aka lebende Legende von Crillon Importers, hat Grand Marnier von 9.000 Flaschen zu je 6 € auf 450.000 Kisten zu 22 € pro Flasche hochgejagt. Und nebenbei Absolut und Bombay Sapphire aus der Wiege gehoben. Ein Mann also, der weiß, was er tut. Problem: In Michels Barkasse fehlte eine sechsstellige Summe. Es stellte sich heraus, dass die Tausender als Schmiergeld draufgegangen waren, auf dem Grand Marnier in die großen Küchen und Bars der Welt rutschte.

Firmen als Freier, Bargründer als Trottel

Die meisten Getränkefirmen gehen die Sache vorsichtiger an und investieren in Events, Vertriebsmitarbeiter, PR-Agenturen und Markenbotschafter. Im Namen der Öffentlichkeitsarbeit rücken die Konzernfuzzis also aus in neue Bars, bestellen jede Menge Drinks und verteilen nebenher ein paar Visitenkarten. Statt irgendwelchen gehaltlosen Quatsch auf ihren Laptops zu verzapfen. Sehr gut. Damit rechnen sollte man allerdings nicht. Es kommt durchaus vor, nach monatelangen Verhandlungen mit einem Konzern zwar das Geld, aber nie ein Gesicht dazu gesehen zu haben. Wozu auch?, meint der Konzern. Der Freier hat bezahlt, Punkt, Aus, Ende. Von Kuscheln danach war nie die Rede. Genauso wie man weder zu reich noch zu dünn sein kann, kann man als Barbesitzer in den ersten drei Geschäftsjahren nie zu viele Rücklagen haben. Die meisten Bars, die in ihrem ersten Jahr pleitegehen – an die 70 % – scheitern an schlechtem Cashflow. In der entscheidenden frühen Phase reicht der Verkaufserlös allein noch nicht, um die Rechnungen zu zahlen und einen gewissen Standard zu halten. Da Gründer im Barbusiness von Banken keine Kredite erwarten dürfen, schustert man sich sein Startkapital aus Geldern von Brauereien, Getränkefirmen, Familie, Freunden und Schwachköpfen zusammen. Dabei verfügen viele angehende Barbesitzer über keine nennenswerte Arbeitserfahrung – ich schätze, etwa 40 % haben noch nie eine Bar geleitet, geschweige denn einen Managerkurs besucht – sondern träumen von Szenarien a la Casablanca oder Carlito’s Way. Bittere Ironie: Börsenmakler und Hedgefondmanager können mit mehr als genug Geld aber keinerlei Barerfahrung locker eine umwerfende Bar eröffnen, während Koryphäen unserer Branche bei jeder neuen Eröffnung selbst bei makelloser Erfolgsbilanz um jeden finanzierten Cent kämpfen müssen.

Gute Deals für die Individualität

Brian Rea, weltgrößter Barbuchsammler und ehemaliger Bartender des New Yorker »21« – nur eine von vielen Stationen einer über 70-jährigen Karriere – erzählte mir einmal, dass es zu seiner Zeit noch viel einfacher war, eine Bar zu eröffnen. In der Zeit nie versiegender Geldquellen zahlten Getränke- wie Zigarettenfirmen bereitwillig Unsummen dafür, im Regal stehen zu dürfen. Die Garderobe wurde, ebenfalls gegen Gebühr, von externen Schlaumeiern als unabhängiges Geschäft betrieben. Rea zufolge war es also anno dazumal die einfachste Sache der Welt, eine Bar zu eröffnen. Doch wer ein bisschen weiter denkt, findet den Haken. Folgendes Beispiel: General Motors wird für symbolische 1 $ an die berühmte Gruppe Investoren verkauft. Was folgt, sind Milliardeninvestitionen, um das Unternehmen wieder in Gang zu bringen. Ebenso können Sie mit 20.000 $ zwar eine Bar eröffnen – der Trick ist aber, die Bar auch am Laufen zu halten, bis die Verkäufe die Rentabilitätsmarke knacken. Irgendwie plant niemand diese Kosten in seinen Businessplan ein.

Die Sache ist die: Der gemeine Markenmanager kennt seine Grenze nicht. Zunächst bietet er meinetwegen 8.000 € dafür, dass Sie ein Jahr lang Jim Beam kaufen und für alle Bourboncocktails verwenden. Klingt erst mal fair. Schönes Produkt. Aber weil der Markenmanager in seinem perfiden System zu einem hinterhältigen Ganoven verkommen ist, wird er versuchen, über diese einmaligen 8.000 € sein komplettes Sortiment in Ihr Rückbuffet zu schleusen. Und reitet wie die internetgeorderte thailändische Braut mit der gesamten Großfamilie ein. Genau hier liegt der Hund begraben: Denn auf einmal gleicht Ihre Cocktailkarte dem Lappen der Bar gegenüber wie ein Ei dem anderen. Außerdem wird der Markenmanager verlangen, dass Sie seine Produkte von seinem offiziellen Händler zum höheren Preis kaufen anstatt bei Drittanbietern wie Haromex und Van Wees. Und um der ganzen Sache die Dornenkrone aufzusetzen, wird – wenn Sie es zulassen – die ganze Bar samt Team und Karte mit Logos, Slogans und Markennamen zugepappt. Da sehen auf einmal die 8.000 € gar nicht mehr so fett aus: Wer nachrechnet stellt fest, dass er seine Seele für etwas weniger als 4.000 € bzw. 78 € pro Woche verkauft hat. Eindeutig ein abgrundtief schlechter Deal.

 

(Dieser Artikel erschien erstmals in MIXOLOGY Issue 3/2012. Das Printmagazin MIXOLOGY erscheint alle zwei Monate. Informationen zum Abonnement finden Sie hier auf MIXOLOGY ONLINE.)

Comments (2)

  • Max

    Danke für diesen Artikel, oder sollte ich Vorwarnung sagen?
    Es gibt heutzutage zu viel Heuchlerei und zu wenig ehrliche Worte, um das
    Geschäft durchsichtig zu gestalten. Danke!

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  • marc stein

    netter bericht, aber auch nichts neues. Wer geschäfte machen will muß in jedem arbeitsfeld damit rechnen, dass andere etwas vom kuchen abhaben wollen oder dich für ihre zwecke benutzen. das war schon immer so und wird sich nicht ändern. die balance sollte man aber immer stehts im auge behalten. ich habe im lager noch etwa 5000 gläser von verschiedenen marken. dazu ettliche tischaufsteller, barmatten, servietten, eisboxen und und und… wer nen lkw hat, kann sie gern bei mir abholen.

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