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Sexismus in der Industrie

Das Bild von grapschenden Männerhänden, die weibliche Barmitarbeiter belästigen, ist vielleicht nicht mehr aktuell. Aber ist Sexismus in der Barbranche noch ein Problem? Klar ist: Das Thema ist komplex. MIXOLGOY ONLINE mit einer Bestandsaufnahme im Jahr 2016.

Im Mai dieses Jahres gab es einen Aufruhr, als der Bartender Steve Schneider einen Jobaushang für die Singapurer Filiale des Employees Only veröffentlicht hatte. Dieser lautete wie folgt: “Nicht nur ein Boys Club. Eine von New Yorks berühmtesten Bars, das Employees Only, kommt nach Singapur. Wir suchen nach knallharten Cocktail-Kellnerinnen [„bad-ass-waitresses“, d. Red.] und Managerinnen für unser Team.“

Schnell empörte sich die Community darüber, wieso Frauen nicht als Bartender gesucht werden, sondern sofort als Kellner oder Manager eingestuft wurden. Das Ganze artete weiter aus, Dushan Zaric antwortet mit einem Facebookpost auf die Kritik: „Wenn du glaubst, dass dir Welt etwas schuldet, dann ist Therapie die Antwort. Irgendwo sind wir alle verletzt.“

ANGRIFF UND VERTEIDIGUNG

Das mag zwar stimmen, aber er ignoriert damit das angesprochene Problem. Es gibt tatsächlich mehr angesehene männliche Bartender als weibliche, dessen sollten wir uns alle bewusst sein. Das herablassend als „wir haben alle unsere Wehwehchen“ abzutun, ist unverantwortlich, Zaric hat sich in diesem Moment der Verantwortung gegenüber seinem Business und dessen weiblichen Mitarbeitern entzogen.

Schnell wurde zu einem Boykott ausgerufen. Nicht nur die Employees Only Bar war betroffen, sondern auch The 86 Co. – Bar und Spirituosenfirma teilen sich die Inhaber. Zaric ist danach tatsächlich aus dem Vorstand von The 86 Co. ausgestiegen. Schnell und zur Empörung vieler kamen Bargrößen wie etwa Gaz Regan zu seiner Verteidigung. Seit Mai hat sich die Aufregung gelegt, es wurde weder weiter über die auslösende Situation, noch über die übergeordnete Problematik berichtet. In den USA gibt es inzwischen Ansätze, sich dem Thema der Gleichberechtigung zu stellen. Dort finden dann Events wie der Collaborative Brew Day für Frauen statt, oder eine Cocktail Competition, an der nur Frauen teilnehmen können: Wobei Speed Rack leider Gottes auch in pink gehalten ist – Mädels lieben halt rosa.

Solche Organisationen findet man im deutschsprachigen Raum selten. Unter dem Titel WeltBARFRAUENtag tun sich weibliche Bartender einmal im Jahr – rund um den Weltfrauentag – zusammen und engagieren sich für die Gleichberechtigung hinter der Theke, sowie auch für den guten Zweck. Dann gibt es noch die Bartenderin-Barschule, die leider nicht besonders bekannt ist. Die genannten Initiativen sind lobenswert und sollten mehr Presse bekommen. Denn weibliche Bartender sind kein Nischeninteresse.

EINE VON ZEHN

Erst im Juni dieses Jahres stellte sich der Tales of the Cocktail-Blog dem Thema. Dort wurde der Leser über erschreckende Fakten informiert. Ein Lohngefälle existiert auf jeden Fall, nach einer Studie des Economic Policy Institute verdienen Frauen hinter der Bar pro Stunde durchschnittlich 12,17 US-Dollar im Vergleich zu den 13,88 US-Dollar ihrer männlichen Pendants. Bei Diageos World Class 2014 waren 3% der kanadischen Bewerber weiblich. Drei Prozent! Können wir uns das kurz bildlich vorstellen? Gar nicht so schwer, ich bin mir sicher, dass so ziemlich jeder Leser hier in den letzten Monaten viele Bilder von jeglichen Cocktail Competitions gesehen hat. Waren die Gewinner bzw. das Gros der Teilnehmer männlich oder weiblich? Was fällt einem als scharfer Beobachter bei den Gruppenbildern auf? Richtig. Ungefähr eine Frau auf zehn Männer, wenn überhaupt.

Und zu allerletzt, das gute alte Problem der sexuellen Belästigung: Dass Frauen mehr Probleme mit Belästigung haben (vom Arbeitgeber selbst sowie von Gästen) sollte uns allen bekannt sein. Ein Bericht des Restaurant Opportunity Centers besagt, dass 37% sämtlicher Anzeigen wegen sexueller Belästigungen von Frauen erstattet werden, die im Gastgewerbe tätig sind – somit über ein Drittel aller Anzeigen. So etwas darf sich nicht mehr Problem nennen, sondern gilt schon längst als Epidemie – die feuchtfröhlich unter den Tisch getrunken wird und somit ignoriert bleibt. Auch Jim Meehan, weltweit einer der renommiertesten Bartender und Vordenker der Branche, konnte in seinem Vortrag innerhalb des von ihm mit-initiierten P(our)-Symposium bei der Pariser Cocktails Spirits im Juni 2016 nicht umhin, zwei Umstände anzuprangern: In der Bar-Industrie gehören sowohl offen ausgelebter Sexismus als auch ein Übermaß an Gewalt gegen Frauen zum Alltag. Harte, deutliche Worte eines Mannes, der zwar für seine sprachliche Schärfe, aber zurückhaltende und durchdachte Positionen bekannt ist.

ALL DIVERSITY?

Das Wort des Jahres (zumindest im englischsprachigen Raum) darf gut und gerne „diversity“ heißen. Diversity bezieht sich in diesem Fall auf Hautfarbe sowie auf Geschlecht. Oft werden Frauen genau für den Vielfaltfaktor symbolisch eingesetzt. Hat man bei einer Cocktail Competition zehn Mitstreiter, ist eine von ihnen eine Frau. Das ist kein Sieg, da sollte man sich nicht stolz auf die Schulter klopfen und posaunen, dass „wir ja ‘ne Frau dabei haben!“. Das sind lediglich 10%. Laut World Bank sind knapp 51 Prozent der deutschen Bevölkerung weiblich. Sollte sich diese Zahl nicht – zumindest ein wenig stärker als bislang – auch im barkulturellen Berufsleben widerspiegeln?

Ich bekam während der Recherche zu diesem Artikel von weiblichen Bartendern oft zu hören, dass ihre männlichen Kollegen sie als „mehr Kerl als wir“ beschreiben. Dies erfüllte sie offensichtlich mit Stolz – ich sehe das allerdings problematischer: Wieso ist der Status Quo männlich? Wieso gilt ein Mann hinter der Bar als „besser“? Wieso ist es für eine Frau ein Kompliment, ein „Kerl“ zu sein? Um die dicksten „cojones“ in der Hose zu haben? Weibliche Bartender sollten nicht einen „auf männlich“ machen müssen, um ernst genommen zu werden. Fraulichkeit und ein ernsthaftes Standing unter den Kollegen dürfen sich nicht ausschließen.

Es gibt durchaus weibliche Bartender, die kein Problem innerhalb der Branche sehen. Die nie das Gefühl hatten, aufgrund ihres Geschlechts zu kurz gekommen zu sein. Im Gegenteil, Isabella Lombardo aus dem Procacci in Wien, erzählt: „Ich habe das Gefühl, dass man sich als Frau in Erwiderung auf freche Gäste fast mehr erlauben kann. Ich habe schon oft auf unerhörte Gäste genauso frech gekontert. Wäre ich ein Mann gewesen, wäre solch eine Situation vielleicht eskaliert.“ Wunderbar, besser geht es gar nicht, als dass die weiblichen Bartender sich wohlfühlen und nicht als minderer. Das ist den Applaus wohl wert!

“WO IST IHR KOLLEGE?”

Nichts führt allerdings an dem Fakt vorbei, dass Frauen weniger verdienen und in der Industrie nie und nimmer zu 50% repräsentiert sind. Cristal Jane Peck, die Managerin des Berliner Craft Beer-Shops Bierlieb, berichtet etwa, dass sie oft von Kunden ignoriert wird bzw. dass sich Kunden immer noch nach jemand anderen umschauen, wenn sie ihre Hilfe anbietet. Selbst im liberalen Berlin existiert der Gedanke noch, „dass Frauen keine Ahnung von Bier haben“. Wie ist das denn bitte möglich? Wir schreiben das Jahr 2016, sind wir nicht alle ein bisschen schlauer? Sind wir nicht besser informiert als früher? Die Hoffnung stirbt zuletzt, meine hat momentan jedoch einen neuen Tiefpunkt erreicht.

Der systematische Sexismus innerhalb der Barbranche kann, meiner Meinung nach, nur durch eine Korrektion behoben werden. Weibliche Bartender müssen mehr eingestellt werden – dabei sollte es weniger um eine stets problematische „Quote“ gehen, sondern vielmehr um einen neuen Blick bei den Verantworlichen. Das Warten auf 50 Prozent Frauen hinter der Bar mag auch aus anderen Gründen utopisch erscheinen. Und man verlässt dann auch das gastronomische Feld, denn vergleichbare Probleme bestehen ebenso in vielen anderen Branchen. Aber es führt kein Weg vorbei an Regelungen der Konzepten – eventuell nicht unbedingt in der Nachbarschaftsbar mit drei Angestellten, gerade aber in den größeren Hotel-Kooperationen und ähnlichen Firmen sollten Mittel und Wege vorhanden sein, entsprechende Zeichen zu setzen. Viele Herren werden sich dadurch womöglich auf den Schlips getreten fühlen. Ich erwarte, dass mir Klischees wie „möge der Bessere gewinnen“ an den Kopf geschmissen werden. Richtig, aber: Möge der oder die Bessere gewinnen. Und darüber lässt sich erst diskutieren, wenn einheitliche Wettbewerbskonditionen bestehen.

Credits

Foto: Foto via Shutterstock.

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