Ich trink Shōchū… was trinkst du so?
Die japanische Nationalspirituose Shōchū ist eine der vielfältigsten Spirituosen der Welt. Trotzdem – oder gerade deswegen – ist sie vielfach noch eine Unbekannte. Wer sich auf sie einlässt, erlebt jedenfalls eine breite Aromenpalette von fruchtig bis umami pur. Wir sind mit Ginza Berlin auf eine kleine Geschmacksreise gegangen.
Am Anfang stand die Faszination für das Fremde. „An Japan hat uns fasziniert, dass sich dort viele Dinge entwickelt haben, die es auf der Welt sonst nirgendwo zu finden gibt. Das Land war nie eine Kolonie und hat, auch wenn das heute anders ist, lange Zeit kaum Handelsbeziehungen mit anderen Ländern gepflegt. Dieser geschlossene Kosmos einer fremden Kultur hat uns in seinen Bann gezogen”, beschreibt Kai Fryder, warum er und seine Frau Ilka 2015 Ginza Berlin gegründet haben.
Damit importieren die beiden Gründer asiatische Spirits, die dem deutschen Markt bis dato unbekannt waren, um sie in der Heimat bekannt machen. Und nicht von ungefähr hatte die nach dem Tokioer Vergnügungsviertel benannte Unternehmung, Nomen est omen, von Anfang an einen Fokus auf japanischen Produkten.
Den Begriff „Japanischer Vodka“ vermeiden
In ihrem Kreuzberger Büro, das auch als Showroom dient, haben die beiden 13 verschiedene Shōchū vorbereitet, die schnell zeigen, dass der manchmal despektierlich verwendete Begriff „Japanischer Vodka“ nicht nur falsch, sondern richtiggehend beleidigend daherkommt. Denn auch wenn Kōrui shōchū, die mehrfach destillierte Version, fast schon Neutralalkohol ist, der vor allem dazu gut ist, Umdrehungen ohne nennenswerte Aromen zu erzeugen, ist er eben nur einer von vielen Vertretern seiner Art. Wir wären ja auch nicht begeistert, wenn wir dauernd für unseren langweiligen Cousin gehalten werden.
„Was uns an Shōchū gereizt hat, war die unglaubliche Bandbreite, die dieser Spirituose innewohnt. Verbunden mit dem Perfektionsanspruch der Japaner, kommen dabei so unterschiedliche Brände hervor, wie es sie sonst selten in einer Gattung Schnaps gibt“, erklärt Kai Fryder seinen persönlichen Blick der Dinge.
Dieser Perfektionsanspruch geht so weit, dass in manchen Brennereien neben dem Maischetopf übernachtet wird, um diesen alle zwei Stunden umzurühren, da die Fermentation sonst ins Stocken geriete. Und dieser Anspruch ist es auch, der dafür sorgt, dass man Shōchū nicht mal eben so importieren kann. Denn viele der kleinen Hersteller kümmern sich weniger um den Absatz an sich, als um eine würdige Vertretung ihrer Produkte. So kommt es, dass Kai und Ilka Fryder jährlich nach Japan reisen (Corona hat natürlich auch ihre jüngsten Pläne zunichte gemacht), um persönlich mit den Produzenten in Kontakt zu treten, ihre Destillerien zu besichtigen und nicht zuletzt… mit ihnen Shōchū zu trinken. Dieses persönliche Engagement spiegelt sich in der breiten Palette an Destillaten wider, die die beiden mittlerweile in ihrem Sortiment haben.
Shōchū bietet eine große Bandbreite an Aromen
Bandbreite ist in vielerlei Hinsicht das Schlagwort, wenn es um Shōchū geht. Denn dieser variiert nicht nur in seinen Grundsubstanzen zwischen zu erwartenden Klassikern wie Reis oder Gerste und Exoten wie Frühlingszwiebeln, Ingwer, Paprika und sogar Milch, sondern auch in seiner Stärke. Die wandert frei zwischen milden 23 und robusten 43 Prozent umher. Eine ungewöhnliche breite Spanne, die es innerhalb einer einzelnen Spirituosengattung selten gibt und dementsprechend unterschiedliche Produkte gebärt.
Was all diesen Shōchū jedoch eint, ist der Koji-Pilz. Dieser wird per sogenanntem „geimpftem Reis“ an die Grundstoffe gegeben. Dort wandelt er dann qua Fermentation die vorhandene Stärke in Zucker um, welcher dann anschließend vom Hefepilz zu Alkohol vergoren werden kann. Nun wäre es jedoch zu einfach und dem Shōchū schlicht nicht würdig, wenn es da einheitlich zuginge. So gibt es also nicht nur einen Typ Koji, sondern derer gleich drei: weiß, gelb und schwarz. Diese drei wiederum geben dem Ausgangsprodukt eine ganz eigene Note, vollkommen unabhängig von der Grundzutat.
Zum Essen mit Wasser verdünnen
Der weiße Koji gilt als die mildeste der drei Sorten. Aus diesem entsteht etwa der Setsuguru Sake Kasu, der mit 35% Vol. im höheren Bereich angesiedelt ist. Mit der Grundzutat Reis und seinen leichten, fruchtig-süßen Aromen erinnert dieser Shōchū durchaus an einen fortifizierten Sake. „Diesen Shōchū empfehlen wir gezielt zum Foodpairing mit Meeresfrüchten oder magerem Fleisch. Allerdings muss man ihn dafür mit Wasser verdünnen. Aber das wird in Japan sowieso immer gemacht, wenn Shōchū zum Essen gereicht wird“, kommentiert Kai Fryder eine der ersten Flaschen des Tastings.
Als Nächstes wäre der gelbe Koji zu nennen. Dieser kommt auch bei der Sakeherstellung zum Einsatz und sorgt vor allem für die Entwicklung von fruchtigen und floralen Noten. Wie etwa bei dem Ookubo, einer seltenen Kombination aus gebackener Süßkartoffel als Grundzutat und gelben Koji als Fermentationshelfer. Dieser Shōchū ist mit seinen 25% Vol. per se weniger scharf und besticht durch angenehm-unaufdringliche Süße, die sich mit einer leichten Umami-Note paart.
Umami? Ja, umami. Jenes in den letzten Jahren überstrapazierte Wort lässt sich schlicht nicht vermeiden, wenn man sich mit Shōchū beschäftigt. Der Polemiker will sagen: Wer von umami nicht reden will, der soll vom Shōchū schweigen. Denn die Königsklasse des umami ist der schwarze Koji, ein Urvater dieses Geschmacks und derjenige, der etwa auch Sojasauce durch Fermentation ihre spezifische Würze verleiht. Der schwarze Vertreter der Pilzgattung bringt die mit Abstand charakteristischsten Destillate hervor.
Shōchū als beliebtes U-Boot bei Tastings
Wie etwa den Red Maiden Black Sesam, ein Shōchū, der, wie der Name vermuten lässt, aus geröstetem schwarzem Sesam und Gerste gewonnen wird. Von diesem Shōchū kann ohne Zögern behauptet werden, dass man so etwas noch nicht getrunken hat, handelt es sich schließlich – zumindest laut Kai Fryder – um das erste Sesamdestillat der Welt. Wie man es von geröstetem Sesamöl kennt, überflutet er die Geschmacksknospen mit kräftiger Würze und dem unverkennbaren Aroma seiner Grundzutat. Umami Puro.
Neben den bereits erwähnten Zutaten ist auch der Muscovadozucker eine gängige Grundzutat für allerlei Shōchū. Ein herausstechendes Beispiel dafür wäre der Sato No Akebono Gold. Mit weißem Koji versetzt und auf 43% Vol. abgefüllt, reift dieser Shōchū drei Jahre in Eichenfässern nach. Dabei entsteht ein ausgesprochen mildes Produkt, das schwerlich von einem guten Rhum Agricole zu unterscheiden ist. Oder, wie die Vergangenheit gezeigt hat, eben auch gar nicht: „Ein Kunde von uns hat diesen Shōchū in ein Rum-Tasting geschmuggelt. Da ist niemandem aufgefallen, dass es sich eigentlich um Shōchū handelt. Aber das scheint einigen unserer Kunden sowieso die größte Freude zu sein, Shōchū in Tastings zu schmuggeln. Ein anderer Kunde hat dasselbe bei einer Whisky-Verkostung gemacht. Da sind sie unserem Kaseda 30, einem 30 Jahre im Holzfass gereiften Shōchū aus kanadischem Mais, auch nicht auf die Schliche gekommen“, erinnert sich eine schmunzelnde Ilka Fryder.
Es zeigt sich also: Es gibt nicht den einen Shōchū. Es gibt derer viele. Bei insgesamt 53 für die Produktion zugelassenen Rohstoffen ist dies allerdings auch kein Wunder. Ebenfalls kein Wunder also, dass die Barwelt des Westens diesen facettenreichen Alleskönner langsam, aber sicher für sich entdeckt.
Credits
Foto: Stefan Adrian