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Booze Bar Berlin

Sieben Jahre in F’Hain: Booze Bar

Lutz Rau trägt meist Cappy, ist wohlgelaunt und sorgt dafür, dass es im Herzen Friedrichshains nicht nur besoffene, sondern auch gut gelaunte Menschen gibt. Inklusive einem Feuerschaden in der einen und der Eröffnung einer anderen Bar, hat er sieben Jahre liquider Nachtkultur auf dem Buckel. Ein Gespräch.

Das ist Lutz. Lutz – das ist Lutz Rau und ihm gehört die Booze Bar, von ihm liebevoll sein „Baby“ genannt. Und bei seinen Babys bleibt man für gewöhnlich. Selbst, wenn noch welche dazukommen. Vor einem Jahr nun hat Rau, nur eine Querstraße von der Booze Bar entfernt, eine neue Bar eröffnet, die Goldfisch Bar – diese allerdings unter der Ägide von Kai Wolschke und Roman Lewandowski, davor jahrelanger Teil des Kernteams der Booze Bar, das seinerzeit als sympathische Krawalltruppe einen MIXOLOGY BAR AWARD als „Barteam des Jahres 2015“ gewinnen konnte.
„Die Bars sind völlig unterschiedlich und ich mag, dass sie auch verschiedene Handschriften tragen; Roman und Kai sollen das für sich machen”, meint Rau. Diese „Handschriften“ unterschieden sich sichtbar: Die Goldfisch Bar ist eine klassische Bar mit Holz, Backstein und eben dieser spezifischen Atmosphäre. „Nicht mein Traum von ’ner Bar”, weiß Lutz für sich. Wie sein Traum einer Bar aussieht? „Nicht zu krass ‚kneipig‘, schon aber mein Wohnzimmer. Auf keinen Fall zu spießig!” Im Grunde wie die Booze Bar: eine Cocktailkneipe. „Im ‚Fisch‘ ist das anders. Hier muss alles perfekt sein.” Perfekt wäre es für Lutz vor allem, nach den letzten Jahren zumindest einmal die Wochenenden frei zu haben. Wohlverdient nach den letzten Jahren, muss man mit einem Blick auf jene Zeit konstatieren.

Ziel: Raum und Zeit vergessen

Vor sieben Jahren öffnete die Booze Bar ihre Türen. Und das in einem Kiez, der viele Berliner polarisiert, vor allem seines Sauf-und-Party-Epizentrums wegen, dem Boxi, dem Boxhagener Platz. „Durch die Gentrifizierung hat sich in der Preisakzeptanz natürlich einiges getan“, so Rau. Damals haben sich die Leute tierisch aufgeregt, dass sie für einen Cuba Libre sechs Euro bezahlen sollen. Heute kostet der acht Euro und keiner stört sich daran. Früher haben 40 Leute nach Bier gefragt, jetzt sind es 16, es werden deutlich mehr Drinks bestellt als früher.
Die geographische Nähe der beiden Bars zueinander war zunächst einmal gar nicht geplant. Am liebsten hätte Lutz außerdem einen Ort gefunden, an dem er auch ein paar Food-Ideen umgesetzt hätte, „aber da find erstmal eine Location!” Gefunden wurde allerdings die Grünberger Straße 67 und die ist nun einmal direkt an der Boxhagener 105. Die anfängliche Befürchtung, es könnte einen Kannibalismus zwischen beiden Bars geben, konnte Lutz schnell ausräumen: „Im Grunde haben die beiden Bars auch nichts miteinander zu tun – abgesehen von der gemeinsamen Hood. Die Booze ist der Klassiker, der Fisch etwas spezieller.” Große Gruppen seien für die Goldfisch Bar Gift. Und die Boxi-Klientel stört manchmal, wenn sie en passant einen Platz im Fisch sucht und sich da weiterhin volllaufen zu lassen gedenkt.

Die Klingel funktionert sogar in Friedrichshain

Für Speakeasy-Konzepte hat Lutz daher einiges übrig. „So eine Klingel führt doch dazu, dass man sich im Inneren etwas abgeschiedener fühlt“, findet er. „Sie macht es dem Gast einfacher, in der Bar wirklich Raum und Zeit zu vergessen.” Zumindest wochenends gibt es in der Booze Bar eine Tür. Gäste, die Lutz kategorisch nicht ausstehen kann? „Besserwisser. Undankbare Gäste, die weder Interesse am Getränk haben, noch daran, dass sie eine Bar betreten, in der sie Gast sind; in der sich jemand überlegt hat, was auf der Karte steht, welche Musik läuft und wie die Atmosphäre ist.“
Auch die Mitarbeiter schätzen Lutz’ Gastgeber-Gen. „Am meisten schätze ich an Lutz sein Händchen für Menschen: Auf der einen Seite natürlich der Umgang mit seinem Team, und andererseits, dass er sich nach all den Jahren über jeden Gast freut. Letzteres macht ihn auf jeden Fall zu einem großartigen Gastgeber, da versuche ich mir öfter ein Scheibchen abzuschneiden”, so Wolschke, der jetzt in der Goldfisch Bar am Tresen steht. Und auch Poldo Lippisch, seit Februar im Münchener Herzog tätig, konnte bei seinem Abschied aus der Booze-Crew nur sagen: „Lutz war der beste und fairste Chef, den ich je hatte. Das Team wird auch weiterhin eine Familie für mich bleiben.“

Alphamensch oder Soldat?

Dinge, die Rau nach sieben Jahren mit dem Wagnis „eigene Bar“ Menschen auf den Weg geben möchte, die selbst mit diesem Gedanken spielen? Man müsse sich fragen, ob man sich diesem neuen Ort wirklich widmen will: „Die ersten drei bis vier Jahre grenzen ja an komplette Selbstaufgabe, das muss man sich schon klar machen.” Wenn Rau sich so in der Berliner Gastronomie umsieht, meint er, die Persönlichkeit einer Bar – die nun einmal deutlich von jener des Besitzers abhängt – werde oft unterschätzt. „Ein Drink kann so gut sein wie er will. Wenn die Persönlichkeit eines Ladens mir nicht taugt, will ich da nicht mehr hin.” Und Menschen, die wiederkommen, sind wichtig, weiß Lutz rückblickend: „Stammgäste sind das Wichtigste für die Seele einer Bar.” Und dafür müsse man eben präsent sein: „Du musst ständig optimieren, darfst dich nie auf den Lorbeeren ausruhen”.
Das ist fürwahr nicht jedermanns Sache, und im gastronomischen Alltag hat man sich daran gewöhnt, dass Bars öffnen und schließen wie die Atemfrequenz der Stadt. Wer eine Bar öffnen will, muss wissen, dass ein paar solide Drinks an einem schmucken Tresen nicht mehr reichen. Die klare Vision und ein Gastgebertum mit Haltung sind für Rau unverzichtbare Kernkompetenzen: „Du musst dich eben fragen, ob du eher Alphamensch oder Soldat bist. Gute Drinks reichen nun einmal nicht mehr, das war vielleicht vor 15 Jahren.“
Wir sind längst woanders angekommen und der Blick auf den Friedrichshainer Gastronomen macht das deutlich. Rau plant mittlerweile langfristig. Er weiß, wie man ein beständiges Geschäft aufzieht, stellt seine Mitarbeiter fest an und bezahlt sie fair. Das sagen auch seine Mitarbeiter, siehe oben, über ihn. Und es sind keine Worthülsen, wie die schlichten Tatsachen zeigen: Namen wie Kai Wolschke, Roman Lewandowski, Poldo Lippisch, Sven Vetter und auch Manuel Wagner. Es kommt nicht oft vor, dass so viele Leute so lange gemeinsam in einer vergleichsweise kleinen Gastronomie zusammenarbeiten. Nicht viele Gastronomen bekommen das hin.

Brand bei den “Booze Boys”

„Einer hat mal gesagt, mein Basil Smash sei besser als im Le Lion”, grinst Rau verschmitzt. „Das hat mich natürlich gefreut, würde ich mir aber selbst nie anmaßen!” Komplimente helfen oft, gerade über schwere Zeiten hinweg. Und jene kennen die liebevoll „Booze Boys“ genannten Herren gut. Im März 2016 nämlich brannte die Bar quasi vollständig aus. Leinöl, mit dem am Tag noch der Boden in der Bar gepflegt wurde, ist nämlich selbst entflammbar. Die Lappen mit dem Leinöl hatten also Feuer gefangen und den Brand verursacht. „Ich weiß echt nicht, wie viele graue Haare ich in dieser Nacht dazubekommen habe”, erinnert er sich.
Im Nachhinein hätte er in dieser Nacht ein paar Dinge anders gemacht. „Man sollte beispielsweise nicht sofort anfangen, loszuplappern, wenn die Polizei Dinge fragt und man sowieso völlig fertig mit den Nerven ist. Keiner von uns wusste zu diesem Zeitpunkt, wie der Brand verursacht worden ist, da können Mutmaßungen verheerend sein, was letztlich das Prozedere mit der Versicherung angeht.” Ein Rau-Ratschlag an alle Gastronomen, denen mal die Bar abbrennen sollte und die dann von der Polizei gefragt werden, was los sei: Immer erst mit dem Anwalt sprechen und warten, was die Fakten sagen.
Solche Erlebnisse gehören eben dazu. Auch das ist eine Erkenntnis, die Rau aus den letzten sieben Jahren gewonnen hat: „Viele vergessen, dass auch Gastgebertum ein Job ist – und der macht nicht immer Spaß. Trotzdem muss man dann professionell sein.”

7 Jahre gehen schnell vorbei“

Vor der Berliner Barszene wünscht sich Rau einiges – außer Gin. „Ich sag’s ganz klar, ich bin kein Gin-Freund.” Muss man ja auch nicht, gibt’s genug. Weniger Prätentiosität, weniger den Blick auf die Dinge, die scheinbar im Kommen sind: „Is’ mir wurscht, welche Spirituose als nächstes kommt; meine Aufgabe ist es ja nicht, Trendbotschafter zu sein, sondern zu bedienen, was eben gefragt ist.” Wenn es nach ihm ginge – und damit ist er derzeit nicht allein – hätte „diese Gin-Geilheit“ alsbald ein Ende und man könnte sich wieder anderen Spirituosen zuwenden. Mezcal, zum Beispiel, und zwar viel flächendeckender. „Ist immer noch ein Nieschending”, konstatiert er vollkommen realitätskonform. Auch „lokale Angelegenheiten“ kommen viel zu kurz, vor allem in Obstlern sieht er großes Potenzial. Für die eigene Bar möchte er gerne innovativ bleiben: „Wir haben immer schon viel selbst produziert; ich habe zum Beispiel noch niemals Sirup gekauft”. Auch mit der Eigenherstellung von Likören hat er begonnen und freut sich, hier künftig noch mehr auszutüfteln.
Lutz schaut zurück auf sieben Jahre voller Tatendrang und Tauziehen, zwischen Vision und Kräftehaushalt, zwischen dem Möglichen und dem Wirklichen. „Sieben Jahre gehen schnell vorbei”, findet er. Nun ja, sieben Jahre. Das ist das komplette Leben bis zur ersten Klasse. Die Zeit, in der Brad Pitt in Tibet war. Die Haftstrafe für einen VW-Manager wegen der Diesel-Affäre. Der Fakt, dass diese Zeit für Lutz schnell vergangen ist, liegt daran, dass er die Perspektiven wechseln kann. „Wenn du jeden Tag da bist, fehlt der Nerv für Neues, da läuft alles automatisch.“
Wenn er heutzutage die Wochenenden frei hat, versucht er daher, wirklich auszuruhen, sich Zeit für anderes zu nehmen, um dann wieder mit Energie an die Bar zu stehen. Seiner Crew von sechs Leuten in der Booze Bar und dreien in der Goldfisch Bar kann er da getrost vertrauen und selbst weitertüfteln. Oder Snowboard fahren gehen. Man würde sich ja freuen, wenn man das Lutz’sche Schöpfertum in Zukunft auch essen könnte. Man wünscht ihm das Beste und dankt für sieben Jahren Durchhalten und Dauermixen. Und wer weiß: Vielleicht tut sich rund um den Sauf-Boxi ja doch noch ein Ort auf, an dem man Food-Ideen verwirklichen kann.
Der vorliegende Text erschien zuerst in leicht anderer Form in der Sonderausgabe 2018 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur. Informationen zu einem Abonnement gibt es hier.

Credits

Foto: Wolfgang Simm

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