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Silvester: ab in die Bar? Oder trocken?

Laut einer Umfrage könnten rund 73 Prozent der Deutschen den Silvesterabend auch ohne Alkohol feiern. Aber was machen die Bars? Zusperren oder Abfeiern? Markus Orschiedt mit einem Rundumblick und einer kleinen Ausschau auf das kommende Barjahr.

Was war das für ein Jahr 2015! Global sich verschärfende Konflikte und aufflammende Kriege. Umweltkatastrophen apokalyptischen Ausmaßes. Armuts-, Klima- und Kriegsflüchtlinge weltweit. Terror in ohnehin im Waffensumpf versunkenen Regionen, aber auch in europäischen Metropolen. Überbevölkerung, religiöser Fanatismus und Rassismus.

Alles Krise also? Offenbar nicht in Deutschland. Die Börse hat um 11 Prozent zugelegt, die Wirtschaftsdaten sind positiv, trotz vieler Belastungen. Das trifft auf den gesamten GSA-Raum zu. Warum der Artikel damit beginnt? Bars sind eben nicht nur Trinkstuben, sondern soziale Wesen, in denen all diese Fragen diskutiert werden. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in einem Jahr bei guten Drinks so viele politische Gespräche führen oder mit anhören durfte. Eine Bar ist der ideale Ort dafür, wenn man mal nicht schweigen oder flirten möchte.

Kein Paria mehr

Das Jahr 2015 war ein gutes für die Barkultur.  Neue Bargründungen und Konzepte schießen aus dem Boden, vor allem in kleinen Städten trifft man auf immer ambitioniertere Bars und Bartender. Sie könnten das nicht tun, wenn nicht auch das Publikum insgesamt immer experimentierfreudiger werden würde. Wenn Barkultur nicht immer mehr in der Mitte der Gesellschaft ankommen würde. Die Bar hat wohl endgültig ihren verallgemeinernden Paria-Status innerhalb der gastronomischen Familie abgelegt. Natürlich sprechen wir hier von jenen Bars, die auf Genuss und Qualität setzen, über die inzwischen auch überregionale und internationale Medien und nicht nur Fachmagazine berichten. Wir sind sicher, dass sich diese Entwicklung fortsetzt.

Es wird eng

Heute schicken wir dieses denkwürdige Jahr in den Orkus. Aber wie eigentlich? Eine von Eventbrite durchgeführten Umfrage zu dem Thema „So rutscht Deutschland ins neue Jahr“, brachte erstaunliches zu Tage. 78 Prozent der 1000 befragten Personen zwischen 18 und 55 Jahren wollen zu Hause oder mit Freunden feiern, und 73 Prozent können sich vorstellen, dabei auf Alkohol zu verzichten. Angesichts der Massen, die sich diese Tage durch unsere Heimatstadt Berlin schieben, ist das fast unglaublich. Da vergisst man schnell, dass nicht alle so irre sind wie die Berliner. Tradition, Stressfreiheit und eine entspannte Atmosphäre wurden als Gründe genannt.

Auch viele Bars scheinen den Jahresausklang eher leger oder gar nicht anzugehen. Jean-Pierre Ebert, Betreiber der Berliner rivabar, schüttelt es bei dem Gedanken an Silvester. „Wir haben eine Perlennacht ausgerufen. Es gibt, neben dem Standardprogramm ein umfangreiches Champagnerangebot, das war es. Mit den Clubs und deren Angeboten können wir sowieso nicht mithalten. Auch finanziell lohnt sich ein Rahmenprogramm nicht“, fasst er seine Erfahrungen der letzten Jahre zusammen. Gonçalo de Sousa Monteiro, Betreiber des Buck & Breck geht wie immer seinen ganz eigenen Weg und sperrt zu. „Mitte ist leer, die Leute sind entweder in Stuttgart oder New York, und die, die da sind, will man gerade an Silvester nicht haben. Ich habe es mal versucht mit einer Öffnung ab 0.30 Uhr, aber das war schwierig. Außerdem verbringe ich den Abend lieber im Bademantel mit meiner Frau, Champagner und Austern.“ Konsequent. Im Becketts Kopf, der Bar ohne Stehplätze und zur Verfeinerung der Sinne, passiert gar nichts, jedenfalls nichts, was etwas mit Silvester zu tun hat. „Wir spielen Donnerstag“, erklärt Inhaber Oliver Ebert. „Die einzige Besonderheit ist eine um zwei Stunden nach hinten verschobene Öffnungszeit, und um Mitternacht steige ich mit meiner Frau Cristina auf einen Tisch und esse gemeinsam mit ihr 12 Rosinen. Das ist ein alter Brauch aus ihrer portugiesischen Heimat. Zu jeder Rosine muss man sich etwas wünschen. Ich habe im Oktober damit begonnen, mir welche auszudenken und auswendig zu lernen.“ Aha!

Ebenfalls geschlossen bleibt Michael Hankes Bar Ada. „Ich würde Silvester nie aufmachen. Wir starten mit frischen Kräften ins neue Jahr“, sagt er. Es wird eng für die geschätzten zwei Millionen Touristen und die, die nicht nach Stuttgart gefahren sind.

Kleine Kaffeesatzleserei

Und 2016? In der Redaktion sind schon wieder spannende Projekte diskutiert worden, die in den kommenden Monaten das Licht der Republik-Welt erblicken. Die Bar wird immer häufiger Teil einer komplexen gustatorischen Erlebniswelt. Das Baruniversum dehnt sich weiter aus. Sicherlich werden sich auch die Spirituosenindustrie, die Craft-Szene, die kleinen Brenner und Destillateure und Bartender wieder neue Produkte, Twists und Techniken einfallen lassen. Vermutlich wird weiterhin das Thema Essen und Bar, sowie Foodpairing ausgebaut und an Bedeutung gewinnen. Höher, weiter, schneller. Eine Entwicklung die sich schon länger abzeichnet wird ebenfalls Fahrt aufnehmen: Das Publikum, das sich an anspruchsvolles Trinken heranwagt, wird jünger und an Masse gewinnen. Eine interessante Frage wartet auf ihre Antwort – was wird aus Wermut? Schafft er endlich den schon lange vorhergesagten großen Durchbruch? Von Krise also wenig zu spüren, auch wenn die Welt drum herum aus den Angeln gehoben wird. Ach ja, was macht eigentlich der Gin? Hier ist eine gewisse Marktberuhigung zu wünschen. Es ist ein großer Gewinn, dass sich die Gin-Vielfalt inzwischen auch beim Gast herumgesprochen hat, aber jede Woche drei neue Produkte auf dem Markt? Es droht das Vodka-Schicksal, es droht Relevanzverlust. Und darauf haben wiederum Bartender keine Lust.

Die MIXOLOGY-Redaktion wünscht allen Lesern einen friedlichen, spannenden, anregenden und gesunden Jahresausklang und freut sich auf eine neues Jahr – gemeinsam mit Ihnen und vielen berichtenswerten Themen.

Credits

Foto: Schild & Feuerwerk via Shutterstock. Post: Tim Klöcker.

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