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Sloe Gin: Ein Likör schwimmt auf der Ginwelle

Was kann Sloe Gin? Kommt drauf an, wen man fragt. Wer trinkt ihn? Kommt drauf an, wo man fragt. Eine kleine Reise auf der Suche nach dem Geheimnis der Schlehe.

Sloe Gin ist ein schwer zu greifendes Gespenst. Ein süßes und rubinrot glänzendes, wohlgemerkt, aber nichtsdestotrotz schwer zu packen. Das beginnt schon beim Namen. Sloe Gin trägt „Gin” im Namen, ist aber eigentlich kein Gin. Sondern aufgrund seines vorgeschriebenen Mindestzuckergehalts von 100 g  pro Liter (bei einem Alkoholgehalt von mindestens 25 % Vol.) ein Likör.

„Die Mazeration von Schlehdorn und nicht Schlehensaft sollte den Charakter von Sloe Gin prägen. Vor allem sollte dieses Steinobst durch Gin und nicht durch Neutralalkohol extrahiert werden. Bedauerlicherweise sind laut der Spirituosenverordnung sowohl Schlehensaft als auch Neutralsprit für die Mazeration zugelassen. Sloe Gin ist aber kein süßer Mischlikör mit Schlehen-Fruchtsaft”, erklärt Theo Ligthart, Macher des Craft Spirit Festivals „Destille Berlin” und Gründer des Freimeisterkollektivs, die Grundlagen des Sloe Gins. „Hierzulande scheint er seine Aufmerksamkeit jedenfalls aufgrund des Namensteils Gin zu erhalten, auf keinem Fall durch den Begriff Sloe.”

Das mag auch der Grund sein, warum Sloe Gin zumeist in der die Ginabteilung landet, auch wenn das in etwa so ist, als würde man Chartreuse in die London Dry-Ecke packen. Ok, vielleicht nicht ganz so schlimm, denn aufgrund seiner Entstehungsgeschichte gehört er da auch irgendwie hin: Britische Hausfrauen sollen in den 1930er Jahren dem lokalen Gin Fruchtzusatz beigemengt haben, um die mit der Getreideknappheit schlechter werdende Qualität aufzufangen. „Auf der britischen Insel kann schon der Geruch von Sloe Gin sentimentale Erinnerungen an Mamas hausgemachtes Getränk hervor rufen”, pflichtet Theo Ligthart bei.

So entstand Sloe Gin, der kleine, süße Cousin des Gins, um den Jahrzehntelang kein Aufhebens gemacht wurde. Er war wie der Schlehenstrauch im Garten, der überwuchert wurde, bis man dessen Existenz vergessen hatte. Dann aber, eines Tages, kam die Wacholderwelle, und auch unter dem Schlehenstrauch begann es wieder zu rascheln…

Sloe Gin, alles andere als ein blasser Geselle

Nun steht der rote Likör seit einigen Jahren in jedem Backboard einer Bar, die etwas auf sich hält. Sein Vorteil? „Die Farbe”, grinst Sebastian Gollas in breitem bayrischen Akzent. „Bei uns stehen die Flaschen des klassischen Monkey 47 Gin und die Monkey 47 Sloe Gin nebeneinander, und das sehr nahe am Eingang. Die Kunden fragen dann stets als erstes: Was hat es mit der dunklen Flüssigkeit auf sich? Kaum einer weiß jedoch, dass es sich um Schlehengin bzw. Likör handelt. Da ist noch viel Unwissenheit vorhanden. Den kennen auch oft Leute nicht, die sich für Gin interessieren.”

Sebastian Gollas betreibt den Spirituosenladen Delicious Berlin, ein Spezialitätenwohlfühlgeschäft im Bezirk Wilmersdorf, begehbarer Zigarrenhumidor mit über 1.000 Zigarren inklusive. Mit seinem Geschäftspartner Martin Geisler hält Gollas auch regelmäßig Gin-Tastings ab. „Da kommt der rote Likör durchaus gut an, beispielsweise in Kombination mit Tonic Water, und wird danach auch gut gekauft. Würde man ihn aber nicht promoten, würde kaum jemand danach fragen”, beschreibt er das Charisma des Sloe Gins.

I found my Thrill on Sloeberry Hill? Nicht bei Adler

Immer mehr deutsche Produzenten spielen jedenfalls mit am Schlehenmarkt,  der traditionell von englischen Produkten dominiert wird. Neben den erwähnten Sloe Gin von Monkey 47 (seit 2012) sind es Marken wie Elephant, Reisetbauer, Farthofer (freilich nicht aus Deutschland, sondern Österreich), Stauffenberg, The Bitter Truth oder Windspiel, die ihre Varianten auf dem Markt lancieren. Nicht jeder deutsche Brenner aber hat Lust, auf dieses Schlehenkarussell aufzuspringen. Einer davon ist Gerald Schroff in seiner Preussischen Spirituosen Manufaktur in Berlin, dessen Adler Gin sogar die New York Times in einem Artikel richtigerweise bescheinigt, den deutschen Gin Trend 2005 überhaupt erst losgetreten zu haben.

„Wir haben uns natürlich mit dem Thema beschäftigt. Sloe Gin ist eine schöne, klassische Spirituose, keine Frage,”, so der Vorreiter aus dem Wedding. „Aber ich glaube nicht an ihr Potential. Es gibt ein paar sehr gute Produkte, da muss ich diesen knappen Markt nicht auch noch beackern. Wir haben lediglich ein paar Flaschen als Weihnachtsgeschenk für treue Kunden verschickt. ”

Wie groß der Markt allerdings ist – und wie groß er sein kann –, lässt sich schwer sagen. Weil Sloe Gin eben ein Gespenst ist. Beim Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie kratzt man sich ein wenig am Kopf, tja, Sloe Gin, hmm, wird nicht extra ausgewiesen, und ob er in der Kategorie Likör oder Gin auftaucht, ist auch nicht ganz klar. Auch das Institut The IWSR, das noch jeden Liter chinesischen Baijiu vermisst, muss beim Schlehenhybrid passen. „Bedauerlicherweise haben wir zu diesem Zeitpunkt nicht viel Information über Sloe Gin. Wir führen ihn in unserer ,Sonstige Spirituosen’-Kategorie”, so die Pressestelle.

Von Monkey 47 weiß man zumindest, dass fünf- bis sechsmal pro Jahr 3.000 Flaschen Sloe Gin produziert werden, wie Alexander Stein in MIXOLOGY 02/17 zu Protokoll gibt. „Wir könnten auch mehr machen, wollen aber nicht”, so Stein, der seinen Sloe Gin am liebsten pur trinkt und feststellt, dass sich die internationale Bartenderschaft auf die Varianten Sloe Gin & Tonic, Sloe Gin Fizz und Negroni eingeschossen hat.

Ja, die Spirituose und die Bartenderschaft. Das ist die Liaison, um die es tatsächlich geht. Das ist natürlich bei den meisten Spirituosen so, aber beim Sloe Gin, diesem Gespenst, diesem als Gin getarnten Likör, vielleicht noch mehr als bei vielen anderen. Wir begeben uns also auf eine Reise von Norden nach Süden, von Berlin nach Tirol, von Stadt aufs Land, um zu erfahren, was die deutschsprachige Bartenderschaft von Sloe Gin hält.

Give me Sloe Gin & Tonic, feeling supersloesonic?

„Wir arbeiten ziemlich wenig mit Sloe Gin. Die Verbindung von Süße und Bitterkeit ist an sich interessant, aber nicht immer einfach zum Mixen. Wir hatten im Winter allerdings den Concierge Cocktail auf der Karte, mit Hennessy Cognac VS, Sloe Gin, Zitronensaft, selbstgemachtem Ingwersirup und Sternanis”, erklärt Kieran Mac Devitt aus der Berliner Nachbarschaftsbar Basalt. „An sich ist es ein Getränk, das meiner Meinung nach über genug Vielfalt verfügt, die man nicht verändern muss. Mein Favorit ist der neue Sloe Gin von Windspiel – einfach auf Eis genießen.”

Etwas weiter südlich in Bamberg, der kleinen Barmetropole, klopft Christoph Köll auf den Tresen seines Schluckspechts und gibt dem Sloe eine High Five: „Wir haben Drinks mit ihm auf der Karte, allgemein stehen zwei Sloe Gins im Backboard: Hayman’s und Monkey 47. Wir nehmen ihn auch immer mal wieder für Eigenkreationen, einer unserer Sloe Gin-Drinks ist auch in unseren Verkaufs-Top-Ten: Der Ruby Fizz mit Hayman’s, Limette, Cranberry und Soda, ein erfrischender Sommerdrink”, so der Headbartender der kleinen, aber feinen Bar. „Das Interesse beim Gast steigt spürbar an. Das Feedback ist durchwegs positiv, daher denke ich, dass sich Drinks mit Sloe Gin halten können. Gerade, da er sehr vielseitig einsetzbar ist.”

So vielseitig, dass Sloe Gin zum Verwandlungskünstler mutiert. Denn nur einige Hundert Meter Luftlinie vom Schluckspecht entfernt, schüttelt Sven Goller skeptisch den Kopf. „Bei mir ist Sloe Gin kein großes Thema, wir haben Plymouth Sloe Gin im Rückbuffet, aber als Brand Call oder in der Art ,Ich hätte gerne etwas mit Sloe Gin’ verkaufen wir ihn so gut wie nie.” Goller ist Barchef des Das Schwarze Schaf und veranstaltet mit Christoph Köll auch regelmäßig Gin-Tastings. „Dabei fällt mir auf, dass selbst viele Gin-Interessierte ihn noch nie probiert haben. Nichtsdestotrotz fallen die Flaschen meist durch die Farbe auf und werden gerne probiert. Ich glaube aber, dass die Leute das Produkt nicht mit Gin verbinden und es daher auch weniger populär ist. Selbst Menschen, die 20 bis 30 verschiedene Flaschen Gin zu Hause haben, besitzen meist keinen Sloe Gin.”

Etwas weiter südlich sieht Sascha Mörz in der Bar Barock in Regensburg im Sloe Gin ebenfalls einen zwiespältigen Wandergesellen. „Das Thema Sloe Gin ist bei uns ziemlich schwierig. Gekaufte Ware geht nahezu gar nicht, selbst produzierten Sloe Gin muss man sehr gut vermarkten, damit die Gäste das Produkt überhaupt kennen lernen”, so Mörz, der nach Stationen in den USA und England im bayrischen Süden angekommen ist. „Wenn das Produkt dann mal angenommen wird, funktioniert es allerdings ziemlich gut.”

Und wie sieht es in abgelegeneren Gebieten aus? In Zell am Ziller schlägt Andreas Hotter, Englhof-Hotelier und Cocktailleuchtturm in der Après-Ski-Finsterheit, in die gleiche Kerbe. „Sloe Gin sehe ich als Sommergetränk in einem leichten Gin & Tonic. In Zeiten des Gin-Wahnsinns ist es die einzige Möglichkeit, diese Spirituose überhaupt an den Mann bzw. Frau zu bringen”, resümiert Hotter. „Es besteht viel Erklärungsbedarf, bei uns am Land sowieso. Es gibt einige Rezepte, die nach Sloe Gin verlangen, da funktioniert er sehr gut. Wir hatten letztes Jahr den Café Royal Special von William J. Tarling auf der Karte, bestehend aus Monkey 47 Sloe Gin, Wermut, frischer Zitrone und Martin Millers Westbourne Strength. Ein sehr schönes Getränk. Besonders die Kombination Dry Gin und Sloe Gin funktioniert sehr gut und lässt sich auch mit Passionsfrucht gut kombinieren.”

Let’s talk about Sloe Gin

Es scheint, als wäre es am Ende also vor allem ein Wort, auf das man stößt – oder über das man stolpert – wenn man sich über den roten Likör unterhält: Erklärungsbedarf. Das Produkt muss erklärt werden. Seine spezielle Süße, seine Herkunft, sein Status als Ginstaffelläufer, ohne Gin zu sein. Es reicht nicht aus, das Zauberwort Schlehe zu murmeln, als würde man beim Pouring eine Formel beschwören, die zu der roten Farbe der Spirituose passt. Ist die Sache aber mal erklärt, scheint die Resonanz meistens positiv.

„Die Gin-Welle ist jedenfalls noch nicht vorbei, im Gegenteil, ich rechne mit noch mehr Produkten”, so Sebastian Goller im Delicious Berlin. „Da werden auch einige Sloe Gins dabei sein, denn so viele Möglichkeiten haben die Produzenten ja nicht. Sie können Produkte mit höherer Brennstärke rausbringen, eine limitierte Auflage – oder eine Schlehenvariante. Das war’s.”

Oder eben auch nicht.

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Credits

Foto: Schlehe via Megapixel.

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