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Speakeasy

Speakeasy-Bars: Flüstern am Fließband? 

Nach wie vor schießen allerorts Konzepte von Speakeasy-Bars aus dem Boden. Ist da noch Platz dafür, oder ist der Trend zur „Magie des Unbekannten“ nicht längst vorbei?  Unser Autor mit Betrachtungen zwischen Klingel und Klüngel.
Bis zum Ende der Prohibition versteckten sich tausende Speakeasy-Bars in den Straßen von New York, Chicago, San Francisco und überall sonst. Vermutlich Millionen in den gesamten Vereinigten Staaten. Damals entstand das Konzept des Speakeasy, der „Klingelbar“, die von außen nicht erkennbar war, unter Zwang, durch einen staatlichen Eingriff, der nicht die Bedürfnisse nach Genuss unterbinden wollte, sondern eine Nation von Säufern unter Kontrolle bringen musste; obwohl man heute mit ziemlicher Sicherheit weiß, dass die Amerikaner niemals so schlimm soffen wie zwischen 1919 und 1933. Zu dieser Zeit schlich man durch dunkle Gassen, klopfte an versteckte Türen, merkte sich den Code des Monats. Nur um zusammenzukommen und gemeinsam geschmuggelten Alkohol oder Selbstgebrannten zu trinken.

Trend zum Speakeasy: Die Atmosphäre zählt

Heute darf man (jedenfalls in den USA) wieder trinken, und trotzdem verstecken sich immer mehr neue Bars hinter einer Klingel. Gründe für diesen Trend gibt es viele, jeder neugeborene Barbesitzer eines Speakeasy-Konzepts hat seine eigenen. Doch den eigentlichen Sinn eines Speakeasy erfüllt keine Bar mehr, denn es gibt kein aufregendes Verbot mehr dahinter. Wir müssen auch nicht mehr beim Genuss flüstern und einzelne Schlücke von einem Bootlegger auf der Straße kaufen, wenn wir das Codewort vergessen haben.
Irgendwie verwunderlich, warum wir einen Schritt zurückgehen. Irgendwie aber auch nicht, denn das Speakeasy kann etwas besonderes: Es spricht fließend „atmosphärisch“. Gut, diese Sprache gibt es nicht; doch Speakeasys haben nunmal diesen einzigartigen Touch, der einen mit der Zunge schnalzen lässt und Atmosphäre schafft, die, selbst wenn sie künstlich erschaffen ist, einen Drink zur Perfektion hin veredeln kann. Fast wie ein paar Tropfen von unserem geliebten Angostura. Bei einem Speakeasy beginnt die Atmosphäre, noch bevor man überhaupt den Raum betritt: Zuerst muss die Bar gefunden werden. Dann zittern die Knie und es wabern schweifende Gedanken an der Tür: „Lässt man mich überhaupt rein?“ Einfach aufregend! Beim zweiten Mal etwas weniger. Beim dritten Mal höchstens nur noch ein bisschen. Die Bar muss also doch noch etwas dafür tun, um auch beständig zu bleiben. Die einen schaffen das, manch andere nicht.

Von einer Welt in die andere

Die Voraussetzungen sind jedoch gegeben, denn ein verschanzter Raum, sei mit oder ohne Fenster, hat seinen Charme. Der Gast kann sich hier fallenlassen, er kann abtauchen. Fast so wie früher – auch ohne zugrunde liegendes Verbot. Es gibt nunmal Tage, da schadet es nicht, mit einem einzigen Schritt in eine andere Welt verschwinden zu können. Vielleicht nicht, um dem Gesetz zu entkommen, aber einer Welt, in der man den Großteil der Geheimnisse schon kennt.
Hier beginnt allerdings auch der schwierige Teil. Es muss eine Welt geschaffen werden, die nicht beengend wirkt, sie muss immer wieder begeistern und außergewöhnlich einzigartig bleiben, ansonsten wirkt ein Speakeasy schnell wie eine erzwungene Maskerade.
Wenn ein Barbesitzer also die Kreativität besitzt, die altmodische Definition von einem Speakeasy für seine Zwecke umzuformulieren, sollte er auch kreativ genug sein, um daraus etwas Nachhaltiges herauszuholen. Mit der Entscheidung für eine Speakeasy-Bar ist es somit nicht getan. Es sollte, wie in jeder anderen Bar, ein guter Job gemacht werden. Tatsächlich schafft die beste Atomsphäre immer noch der Mensch und keine Klingel. Aus eben diesem Grund ist so manche Bierkneipe atmosphärischer als einige highclass Cocktailbars.

Enges Miteinander zwischen Gast und Bartender

Viele Bartender, die ein Speakeasy eröffnen, tun das aus Liebe zu ihrem Beruf, zur Tradition, aber auch aus mitunter falscher mythischer Aufladung. Sie reden über die Bar, als wäre sie ihr Zuhause; und eigentlich ist sie das auch. Der Gast klingelt, er wird persönlich begrüßt und in die Bar geführt. Gefällt ihm der Gast vor der Tür nicht, wird auch mal selektiert. Eine Maßnahme mit faden Beigeschmack. Schließlich geht es nur um den Gast, doch wie häufig sich die Bartender auch in den letzten Jahren selbst daran erinnert haben, dass sie ihren Job nur für die Gäste ausüben, so häufig sollten sie sich daran erinnern, dass sie ihn in erster Linie für sich selbst machen und der Gast und Bartender vorwiegend Mitmenschen sind.
Das Speakeasy kann eine Möglichkeit sein, das Miteinander von Gast und Bartender viel enger zu gestalten als man es kennt. Es wird ein gemeinsamer Abend verbracht, in einem abgeschotteten Umfeld. Die Klingel ist ein Mittel, das Umfeld intakt zu halten oder es eben anzupassen. Kein Gast sollte sich darüber ärgern, an der Tür eines Speakeasy abgewiesen zu werden, denn irgendwann sitzt er selbst in eben dieser Bar und genießt exakt diesen Vorteil eines Speakeasy.

Genug vom Speakeasy-Trend?

Natürlich kann ein Trend auch schnell nervtötend sein und wir befinden uns definitiv in einer Zeit, in der zu fahrlässig mit dem Konzept umgegangen wird. In der die Klingel plötzlich zum Selbstzweck zu degenerieren scheint.
Dennoch hat vorerst jede Bar ihre Berechtigung, so zu existieren, wie sie sich selbst interpretieren möchte. Wenn Gäste von dort wieder zufrieden nach Hause gehen, gibt es wenig Anhaltspunkte für Kritik. Wem der Trend zu viel wird, dem stehen die Türen unzähliger anderer Bars – nun ja – offen.

Credits

Foto: via Shutterstock

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