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„Eine arg kleiner werdende Nische.“ Drei O-Töne zur Sperrstunde in Bayern

Seit Ende November ist in Bayern aufgrund der Pandemieverordnungen eine Sperrstunde von 22 Uhr Vorschrift. Das ist ein wenig aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit verschwunden, wirtschaftlich arbeiten lässt sich damit jedoch nicht. Die Barbetreiber:innen Thomas Schackmann (Regensburg), Linda Le (Bamberg) und Philipp Fröhlich (München) sprechen über das Leben mit der Sperrstunde. Und über deren Konsequenzen.

In vielen deutschen Bundesländern dürfen Bars unter verschiedenen Auflagen seit Längerem wieder öffnen. Ein wirtschaftliches Arbeiten ist zwar nach wie vor kaum möglich, und die Bedingungen, welcher medizinische Status Zugang zur Bar verschafft, muten teilweise absurd an. Momentan gilt sie noch in Hamburg und Bayern. Besonders im letztgenannten Bundesland schlägt sie am stärksten ins Kontor: Dort greift sie bereits um 22 Uhr und gilt in dieser Form schon seit Ende November. Ein wenig scheint das bereits aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden zu sein. Die drei Barbetreiber:innen: Thomas Schackmann (Bar Barock, Regensburg), Linda Le (Kawenzmann, Bamberg) und Philipp Fröhlich (Trisoux, München) sprechen über ihre Gefühle zwischen Frust, Wut und stoischem Abwarten.

Thomas Schackmann vor seiner Bar Barock in Regensburg
„Der Kampf, den wir führen, rückt aus dem Bewusstsein.“

Thomas Schackmann (Bar Barock, Regensburg)

„Ich habe mir in den letzten Wochen häufig gedacht, wie absurd die Lage ist. Wenn man eine Bar in Bayern betreibt, hat man das Gefühl, sich in einer arg klein gewordenen Nische zu bewegen. Als Bar mit einer kleinen Speisekonzession, die der Schließung entgangen ist, steht man vor der Frage: Was mache ich jetzt? Wir öffnen etwas früher und machen bis 22 Uhr das, was wir machen können. Aber unser Kerngeschäft ist nach 22 Uhr, da kannst du noch so kreativ sein. Am Ende merkst du, es haut nicht hin.

Es gibt weiterhin die Überbrückungshilfen, die sich auf den Umsatzrückgang zum Vergleichsmonat 2019 beziehen. Ich habe die Bar im September 2018 übernommen, 2019 war das erste Geschäftsjahr, und das war auch gut und wichtig für diese jetzigen Hilfskonstrukte. Aber gibt die Barock Bar in ihrer jetzigen Form seit drei Jahren, zwei davon mit Pandemie. Das, was wir machen, ist mit 2019 nicht mehr vergleichbar. Ich habe mich letztlich dafür entschieden, aufzumachen, weil ich will, dass die Bar für Gäste geöffnet ist. Andererseits führt das dazu, dass wir diese Hürden der Umsatzrückgänge nicht reißen und nicht subventioniert werden. Und gerade nach dem zweiten Lockdown habe ich die Erfahrung gemacht, dass der Arbeitsmarkt extrem hart wird und man aufpassen muss, dass einem das Team nicht auseinander bricht. Du verdienst als Unternehmer aber auch nicht das Geld, das du dafür brauchst.

Und das liegt nur an der Sperrstunde. Deswegen ist das so frustrierend. Es schleicht sich auch eine gewisse Angst ein, dass sich mit dem Status arrangiert wird. Am Anfang der Pandemie war allen klar, dass es eine existenzielle Situation ist. Für uns hat sich da aber eigentlich nicht besonders viel geändert. Jeden Monat kommen die gleichen Fragen: Wie schaffe ich es diesen Monat? Wieviel Puffer habe ich noch, wie viele Rücklagen habe ich noch? Bei letzteren ist ja seit eineinhalb Jahren nichts dazubekommen. Aber der Kampf, den wir führen, rückt aus dem Bewusstsein. Es sagen viele: Schön, dass ihr noch da seid. Aber es tauchen auch Fragen auf wie: Wie habt ihr das denn eigentlich überstanden? Dann merkst du, dass die Menschen einfach nicht verstehen, dass wir noch mittendrin sind. Und je länger es geht, desto frustrierender wird es.

Deswegen ist die Sperrstunde auch nicht tragbar. Unter Gastronomen wird Markus Söder mit einem Augenzwinkern als „König Markus“ bezeichnet. Jetzt ist man politisch in der Opposition, und plötzlich wird von Kurswechseln und Öffnungsstrategien gesprochen. Da stellt sich mir die Frage, ob es bei diesen ganzen Konstrukten, die man geschaffen hat, vor allem um die Demonstration eines politischen Sonderwegs ging. Dann denke ich, das kann man auch nur mit der Gastro machen. Unsere Gäste sterben inzwischen Heldentode, weil sie versuchen, bis 22 Uhr alles zu konsumieren, was möglich ist. Die Gäste an sich habe ich nicht verloren. Die Leute wissen mittlerweile, dass wir prüfen müssen, das sorgt auch kaum für Konflikte. Für das Infektionsrisiko ist nicht entscheidend, ob sie bis 2 Uhr morgens bei uns wären oder bei sich zu Hause weiterfeiern. Wahrscheinlich wäre es bei uns sogar sicherer. All das macht es frustrierend, denn ohne Sperrstunde könnte ich zumindest wirtschaftlich arbeiten.“

Thomas Schackmann ist Betreiber der Barock Bar in Regensburg.

Linda Le hinter dem Tresen des Kawenzmann in Bamberg
„Wir warten immer noch auf Bewilligungen von Überbrückungshilfen aus dem letzten Jahr.“

Linda Le (Kawenzmann, Bamberg)

„Wir haben keine Daydrinking-Mentalität in Deutschland, und schon gar nicht in Bamberg. Außer Bier, Bier geht immer. Aber Bar ist Nacht. Wir haben den Kawenzmann Ende November zugemacht, weil es für uns nicht funktioniert hat. Wir sind eine High-Volume Bar, wir leben davon, dass Bewegung im Raum ist. Seit der Pandemie haben wir nur Sitzplätze mit Mindestabständen und Plexischeiben.

Mit einer Sperrstunde ist es letztlich auch egal, wann ich aufmache. Wir haben 18 Uhr oder 19 Uhr probiert, alle kamen immer um 21 Uhr. Bis dahin ist die Bar mäßig besucht, ab 21 Uhr ist alles belegt. Sprich wir haben dann genau eine Stunde, um Service zu machen und die Bestellung aufzunehmen. Die Gäste müssen in einer Stunde austrinken, dann wird kassiert. Wir machen um 21:30 Uhr die letzte Runde, weil wir sonst nicht fertig werden. Da sind wir Bamberg gebrandmarkte Kinder, denn es gibt ja eine allgemeine Sperrstunde, an Wochentagen um 2 Uhr und an Wochenenden um 4 Uhr. Wenn du da auch zehn Minuten nach 2 Uhr noch Gäste hast, hagelt es Bußgelder. Man darf auch nichts To-go verkaufen. Ich kenne Fälle von bist zu 25.000 Euro Bußgeld. Da wären wir ruiniert

Wir haben also Ende November geschlossen. Dann kam die Debatte auf, dass man als Betreiber Schadensminderung betreiben müsse und man den Betrieb nicht einfach einstellen dürfe, sonst bekäme man keine Fördermittel. Also haben wir hauruck den Laden wieder aufgemacht, aber dann hieß es, dass man doch Förderungen bekommen würde, also haben wir wieder geschlossen. Silvester war bislang unser letzter Betriebstag. Jetzt sind wir am Überlegen, aufzumachen, denn mir laufen meine Leute weg. Es geht gar nicht mehr darum, ob ich die Bar aufmachen will oder nicht – sondern darum, ob ich das überhaupt noch kann. Wir haben fast nur Studenten als Minijobber im Team. Viele kehren der Gastronomie den Rücken, weil sie meinen, das würden sie nicht weiter verkraften, wie viele Lockdowns müssten sie denn noch mitmachen? Die einen gehen in den Einzelhandel, und diejenigen, die nicht in der Drogerie an der Kassa sitzen wollen, gehen zumindest in ein Café oder Restaurant, denn diese werden als letztes zugemacht.

Ich hatte meine Hochphase der Wut vor Weihnachten. Da ging es um die Impfquote und Corona-Demos, und es hieß immer wieder, die Impfquote sei zu niedrig und deswegen schließen wir dieses und jenes und Bayern macht eine Sperrstunde. Ich war zum ersten Mal wütend auf die Menschen, die sich nicht impfen lassen. Zwar bin ich immer noch gegen eine Impfpflicht, denn ich finde, das sollte jeder selbst entscheiden können. Aber die logische Konsequenz ist dann eben, dass man am gesellschaftlichen Leben nicht in gewohnter Form teilnehmen haben. Denn dass quasi die Konsequenz daraus die ist, dass wir schließen müssen, verstehe ich nicht. Der Kawenzmann hat letztlich nur überlebt, weil wir einen Außenbereich haben und ziemlich schnell wieder öffnen konnten. Aber wir warten immer noch auf Bewilligungen von Überbrückungshilfen aus dem letzten Jahr. Seit der Pandemie ist Bayern immer einen Sonderweg gegangen. Ich werde gerade auch wieder richtig sauer, wenn ich darüber spreche. Es geht gar nicht mehr darum, dass andere einen Wettbewerbsvorteil haben. Es geht ums Überleben. Am meisten hat mich geärgert, als es aus der Politik immer wieder hieß, man könne dem Einzelhandel nicht zumuten, die Nachweise zu kontrollieren. Während wir das in der Gastro seit eineinhalb Jahren machen, und keiner sagt: Das ist nicht machbar.“

Linda Le ist Mit-Betreiberin und Barchefin der Kawenzmann Bar in Bamberg.

Philipp Fröhlich ist Geschäftsführer des Trisoux in München
„Wut oder ähnliches ist einem stoischen Abwarten gewichen.“

Philipp Fröhlich (Trisoux, München)

„Manchmal verliert man allmählich den Überblick, wann in welchem Bundesland welche Auflagen gelten, aber es ist bezeichnend, dass es nach zwei Jahren Pandemie keine einheitlichen Lösungsansätze gibt. Aufregen kann ich mich nach der Zeit aber nicht mehr. Wut oder ähnliches ist eher einem stoischen Abwarten gewichen. Auch in Gesprächen mit anderen Gastronomen geht es darum: Was glaubst du, wann wir wieder öffnen dürfen? März, April?

Wir haben aktuell Dienstag bis Samstag von 18 bis 22 Uhr geöffnet, die Sperrstunde hat sich irgendwie eingegroovt. Im Dezember war zuerst ein starker Abfall bemerkbar, weil die Leute nicht verstanden haben, wer noch geöffnet haben darf. Die Politik hat kommuniziert, dass alle Bars bzw. das gesamte Nachtleben zumachen muss in Bayern. Dass das aber davon abhängt, welche Konzession man als Bar hat und man mit einem Speiseangebot trotzdem geöffnet haben kann, war vielen nicht bewusst. Um Weihnachten herum haben sich die Leute wiederum in Selbstisolation begeben. Jetzt, im Januar, bin ich erstaunt, wie viele Gäste wir haben. An Wochentagen sind wir einmal komplett belegt, an Wochenenden haben wir trotz des kurzen Zeitfensters auch Mehrfachbelegungen. Die Reservierungsaktivität hat sich enorm verstärkt, denn mit der Kontaktdatenerfassung haben wir auch ein Reservierungsformular auf die Seite gestellt. So haben wir zumindest eine gewisse Planungssicherheit fürs Wochenende, sind zu zwei Dritteln ausreserviert und haben auch verhältnismäßig wenig No-Shows.

Wirtschaftlich arbeiten kann man damit trotzdem nicht. Im Vergleich Januar 2022 zu Januar 2020 habe ich einen Umsatzrückgang von etwa 40 bis 50%. Ohne die Sperrstunde und bei dem gängigen 2G-Modell wäre rentables Arbeiten möglich. Früher haben wir die Gäste an Wochenenden auch im Stehen bewirtet, das fehlt für den großen Wurf beim Umsatz natürlich. Aber das Trinkverhalten hat sich stark verändert. Unsere Gäste trinken sehr viel weniger Wein und Bier. Alles hat sich auf Cocktails verlagert und macht 90% unseres Umsatzes aus; vielleicht weil die Menschen durch die Zeit der Entbehrung nichts anderes konsumieren konnten als das, was sie sich selbst gemacht haben. Das Bewusstsein für qualitativ hochwertige Drinks ist stärker geworden. Das gibt einem Mut und Wind auf die Segel in so einer schwierigen Situation. Man spürt die Daseinsberechtigung, die Leute haben Lust drauf.

Letztlich sind wir froh, dass wir nicht siebeneinhalb Monate im faktischen Berufsverbot sitzen wie im letzten Jahr. Auch wenn sich die meisten damals Alternativen wie To-Go-Geschäft oder virtuelle Angebote ausgedacht haben, am Ende des Tages wollen wir unseren Job ausüben. Wir wollen alle selbst erwerbsfähig sein, keiner von uns hat Lust auf staatliche Hilfen. Wir wollen uns den Erfolg selbst erarbeiten. Im Grunde sind wir in einer Lauerstellung und warten, dass sich das jetzt endlich mal ändert und wir wieder sinnvoll arbeiten können. Der Vibe in der Szene ist an sich positiv, alle sind noch da und haben ihr Personal gehalten. Die meisten der Bars in München sind inhabergeführt, wir stehen alle mit am Tresen und haben eine persönlichere Beziehung zu unseren Mitarbeitern, als wenn man 50 Angestellte hat. Es haben zwar viele die Branche verlassen, aber der harte Kern ist geblieben.

Philipp Fröhlich ist Betreiber der Trisoux Bar in München

Credits

Foto: Foto Aufmacher: Kawenzmann; Bar Barock; Kawenzmann; Trisoux

Comments (2)

  • Oliver Steffens

    Okay, die Sperrstunde in Hamburg ist um 23:00, aber es ist nicht so, dass Bayern das letzte Bundesland mit Sperrstunde ist.

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    • Mixology

      Lieber Oliver,

      vollkommen zutreffend, wir entschuldigen uns für diese Unsauberkeit. Wir haben die entsprechende Passage angepasst.

      Viele Grüße
      // Nils Wrage

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