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Steins Steter Tropfen: Über Deftiges im Glas

Steins Steter Tropfen: Lecker Ente! Aber bitte nicht im Glas

Unser Autor Martin Stein ist ein Cocktailreisender, der seine Zeit am liebsten in Bars verbringt. In seiner Serie „Steins steter Tropfen“ geht es um gute Getränke und Gedanken, die sie verbinden. Es geht um Beobachtungen von unterwegs und Betrachtungen von der anderen Seite des Tresens. Diesmal: Wenn die Machbarkeit über dem Geschmack steht – was soll die ganze Deftigkeit im Glas? 

Ach, gestern, das war wieder so ein Tag. Es gab überbackene Zwiebelsuppe Elsässer Art, jamaikanisches Jerk-Chicken und Salzburger Nockerln, und, als wäre die Zusammenstellung nicht schon abenteuerlich genug, befand sich das alles in flüssiger Form in einer Coupette. Hurra.

Gut, natürlich übertreibe ich ein wenig, auch, um nicht einen bestimmten Drink auf einer bestimmten Karte identifizierbar zu machen, aber vielleicht verstehen Sie, was ich meine: Mittlerweile muss sich der Cocktail-Afficionado immer öfter an Kreationen abarbeiten, gegen die ein fränkisches Rauchbier wie ein unschuldiges Apfelschörlchen daherkommt.

Das hat auch mit neuen Möglichkeiten der Aromenschöpfung zu tun, allem voran natürlich mit dem Rotationsverdampfer: to boldly taste what no tongue has tasted before. Alles natürlich an sich nicht schlecht, und mir ist auch klar, dass ich alter Boomer da vielleicht klinge wie „wir-hatten-damals-noch-vier-Fernsehprogramme–und–das–hat–uns–auch–gereicht“, aber …

… aber vielleicht ist das tatsächlich auch ein Altersproblem. Bei Game of Thrones wusste ich auch nie, wer mit wem verwandt ist, wer schon gestorben war und was die Zombies bei den Rittern tun. Bloß: Mittlerweile hat ja wohl auch George R. R. Martin selbst den Überblick über seine Handlungsstränge verloren. Ist er nicht vielleicht auch das beste Beispiel dafür, dass der Quadrupel-Chocolate-Cookie dem Triple-Chocolate-Cookie nicht wirklich überlegen ist? Dass man es einfach auch mal gut sein lassen kann?

Anders ist nicht gleich besser

Gut, der Rotovap. Natürlich war das ein Wendepunkt in der Cocktailgeschichte. Neue geschmackliche Dimensionen tun sich auf, und das ist spannend. Leider ist spannend nicht zwangsläufig gut, ebenso wenig wie etwas Neues eine Verbesserung darstellen muss. Im Wettbewerb um die allgemeine Aufmerksamkeit scheint es da manchmal wichtiger, etwas anders zu machen, anstatt etwas besser zu machen.

Ein Rotovap kann tatsächlich viele Dinge besser machen, und außerdem ist es unglaublich entspannend, den Glaskolben beim Rotieren zu beobachten. Aber er ist auch sauteuer, und das macht die Sache gefährlich: Der Controlling-Effekt stellt sich ein, zusammen mit dem Labelmaker-Effekt. Ersterer besagt schlicht, dass man so ein teures Gerät auch ganz oft benutzen muss, damit es sich rentiert. Punkt zwei kennt auch jeder: Nan kauft einen Labelmaker, um drei Plastikflaschen voneinander unterscheiden zu können, und nach einer Woche gibt es kaum noch irgendwas in der Wohnung ohne eigenes Label. Inklusive Labelmaker.

Ganz zaghaft beginnt man beim Rotationsverdampfen vielleicht mit Gurke oder Pilzen, man probiert und tüftelt an den Einstellungen, die ersten befriedigenden Ergebnisse stellen sich ein, und los geht die wilde Fahrt. Rote Beete natürlich (die Standardfrage in den 2020ern an einer Bar könnte lauten: Haben Sie auch was ohne Rote Beete?), Kimchi, Leberkäse, Sanostol, Schnupftabak, Abalone, Eichhörnchen, Walfischtran. Das überfahrene Tier von vorgestern (Zero Waste, klar), der Brustbommel von der Burlesque-Show vor Weihnachten, das Wahlprogramm der SPD Baden-Württemberg. Immer rein damit, das wird bestimmt ganz spannend, vom Geschmack her komplex. Komplex ist ganz wichtig, und außerdem hatte das jetzt bestimmt vor uns noch keiner.

Ich verstehe das ja: Das Konzept Spirituose – Zucker – Zitrus ist nicht so richtig innovativ. Fahrräder sind aber auch nicht innovativ und trotzdem ganz gut. Gerade im Barbereich kommt es doch eher selten vor, dass das Rad neu erfunden wird, trotz Trockeneis und Molekular und Dings und Bums. Freilich darf ein Drink auch mal herzhafte Noten haben! Nicht ohne Grund klingt von allen Geschmacksrichtungen „Umami“ am wichtigsten! Umami find ich auch gut! Aber wiederum in Maßen. „Wir haben wir eine No-ABV-Kreation auf Miso-Basis mit einer Wagyu-Essenz, einem Hauch frisch geriebenem Meerrettich und etwas Shiitake-Öl.“ Spannend!

In meiner Kindheit nannte man das „Suppe“.

Dem Cocktail mit Messer und Gabel nähern

Geschmäcker sind verschieden, und manchmal mag ich sowas schon auch probieren, aber ich sehe da auch das Problem der sogenannten Drinkability; etwas, das schon dem Craft Beer-Hype zum Verhängnis wurde, als man adipös überhopfte Biere in Flaschen zwängte, bis auch eine 0,33er-Einheit Nahrung für eine vierköpfige Familie bot. Nur die Wenigsten tranken mehr als eine Flasche von dem Zeug, und die Reste des doch deutlich bereinigten Marktes sprechen Bände.

Auch manchem Cocktail dieser Tage mag man sich mit Messer und Gabel nähern. Als wäre ein kraftvolles, dominantes Aroma nicht aussagekräftig genug, hat man nicht selten mit einer Reihe derselben zu kämpfen, entsprechend der Einleitung zu diesem Text. Ein Gläschen Single Malt zum Haggis? Klar, immer gerne. Haggis als aromatisches Rekonstrukt zusammen mit dem Single Malt in einem Glas? Brauche ich nicht dringend. Kinder machen sowas: Mami, ich mag Pommes und ich mag Gummibärchen und ich mag Eis. Warum gibt’s das nicht alles zusammen?

Offensichtlich sind diese Kinder jetzt alle Mixolog:innen geworden. Wiederum: Das kann ja alles ganz aufregend sein, aber dass ich meinen Abend so ausrichten wollen würde, ist mir noch nicht passiert. Ich finde, dass das den Genuss meist sehr anstrengend macht; irgendwo zwischen Bertie Bott’s Bohnen und dem heiteren Aromenraten: Ah, ich glaube, das war soeben die Petersilienkartoffel, das kurz nach der Crème Brulée. Ich sehe dahinter eher ein akademisches Interesse an der grundsätzlichen Machbarkeit als am Geschmack, wobei das „akademisch“ dann am Ende eher kindisch wirkt. Wie viele Clowns passen in einen VW Käfer? Ich kriege mehr Oreos in den Mund als du!

Ente im Glas

Wir leben in wunderbaren Zeiten. Die Bar hat sich erfolgreich die Techniken und Praktiken der Küche als Vorbild genommen. und mittlerweile kommt auch schon die Küche manchmal von ihrem hohen Ross runter und schielt verstohlen zur Bar, was denn da so getrieben wird. Toll! Leider war ich in meinem Leben weder im Noma noch im El Bulli, aber es scheint einen Grund dafür zu geben, dass deren Küche nicht in jeder zweiten Kreisstadt kopiert wird: weil es nämlich sauschwierig und ultrakompliziert ist, würde ich vermuten. Irgendwie habe ich allerdings den Eindruck, dass es viel weniger Hemmungen gibt, flüssige Adaptionen der Werke von Ferran Adrià und René Redzepi auf die Getränkekarte zu setzen, vielleicht, weil der qualitative Unterschied zum Original dabei nicht so augenfällig ist. Gaumenfällig wohl schon.

Vielleicht ist das alles nur eine jener Moden, die kommen und gehen, aber das dachte ich auch schon von Molekular-Cocktails in den Neunzigern, bis mir durch die Netflix-Bartender-Shakeshow Drink Masters deren untotes Wesen wieder vor Augen geführt wurde.

Na, ich bin gespannt. Meine Chartreuse brauche ich künftig schon allein dafür, um mir beim Verdauen schwerer Getränke zu helfen. Und vielleicht, um mir Mut zu machen, wenn denn das erste Glas mit destilliertem, lauwarmem Entenhirn vor mir stehen sollte.

Credits

Foto: Alesia Berlezova - stock.adobe.com

Comments (1)

  • Waldemar

    Wunderbar geschrieben!

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