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Wenn vor lauter Show das Shaken zu kurz kommt

Steins Steter Tropfen: Wenn vor lauter Show das Shaken zu kurz kommt

Unser Autor Martin Stein ist ein Cocktailreisender, der seine Zeit am liebsten in Bars verbringt. In seiner Serie „Steins steter Tropfen“ geht es um gute Getränke und Gedanken, die sie verbinden. Es geht um Beobachtungen von unterwegs und Betrachtungen von der anderen Seite des Tresens. Diesmal: zu viele Drinks werden zu warm serviert – da zu kurzes Shaken um sich greift.

Diese unfassbaren Fortschritte in der Technik unseres Berufes, der Technik der Bar! Weil es so ein schönes englisches Wort ist, das ich dem geneigten Leser gerne andiene: Ich bin immer wieder von Neuem direkt flabbergasted, was da so abgeht.

Und ich meine jetzt mal ausnahmsweise nicht den Maschinenpark, die Zentrifugen und Rotoren, die Sous-Vide-Teiche und die Handwaschbecken, sondern die menschliche Technik, auf gut Deutsch die Skills, die mich so dermaßen faszinieren. Besonders das Shaken! Mein Gott, was hat sich da getan in den letzten Jahren!

Shaken als Hütchenspiel

Man muss ich ja nur anschauen, wie ältere Generation die Shaker in die Hand nehmen, wo noch von „Schütteln“ die Rede war! Und die Optik? Dieses stupide vor-zurück-vor-zurück ist möglicherweise per se eine Erklärung dafür, dass Bartender so lange eine solche Männerdomäne war. Als der Hard Shake aufkam, erfunden von Kazuo Uyeda, da hat man sich die Sache angeschaut und sich gedacht, gut, das sind halt die Japaner, wo man auch erst fünf Jahre neben der Herdplatte stehen muss, bis man mal selbst einen Kochbeutel Reis ins Wasser werfen darf.

Aber jetzt? Jetzt ist man am Tresen ständig in der Versuchung, auf dem Handy standardmäßig den Zeitraffer mitlaufen zu lassen, so schnell geht das alles. Ein Hütchenspiel für Cocktailtrinker; die Hand ist schneller als das Auge, und am Ende hat man viel Geld verloren. Da wird gewirbelt und gezaubert, der Ellenbogen zuckt raus und wieder zurück, die Schulter rotiert wie Brummkreisel, junge Bartender haben Schultergelenke wie 80jährige und werfen vor der Schicht ihre IBUs nicht mehr ein, weil sie am Vorabend gesoffen haben, sondern um Schleimbeutelentzündung und Arthritis zu kontern.

Allerehrenwert, diese Selbstaufopferung. Das Einzige, was mich stört: Diese Shaker-Akrobatik dauert in der Regel nicht mehr als vier Sekunden! Was letztlich dazu führt, dass ich TikTok-taugliche Artistik geboten bekomme plus einen warmen Drink.

Bei allem Fachsimpeln über die Induktion mundgefühlsverändernder Bläschenbildung während des Shakens scheint es sich tatsächlich noch nicht herumgesprochen zu haben, dass durch diese Techniken keine Expresskühlung eintritt; hin und wieder mag gar das Wissen darüber verloren gegangen zu sein, dass man irgendwann mal Flüssigkeiten zusammen mit Eis in einem Gefäß in Bewegung versetzt hat, nur um einen Kühlungseffekt zu erzielen. Nochmal in aller Deutlichkeit: Der Hard Shake, der Soft Shake, der Biles-3-Shake, auch der eingesprungene Lorincz – alle diese Methoden funktionieren nicht wie eine umgekehrte Mikrowelle. Wenn man kurz shakt, wird die Plörre nicht kalt.

Exakt gleich warme Drinks

Ich verweise auf den klugen Kollegen Reinhard Pohorec, der sich wissenswert über die Dimensionen und Facetten der Kühlung auf den Geschmack alkoholischer Getränke ausgelassen hat; hier subsummiere ich nur kurz: Außer Single Malt und Chartreuse kann man das Zeug warm nicht saufen.

Übrigens wissen immer noch fast alle am Brett, dass man länger rühren muss als shaken, also wird meiner Erfahrung nach im Schnitt etwa sechs bis sieben Sekunden lang gerührt, womit das Ideal erreicht ist: Rühren und Shaken führen zu exakt gleich warmen Drinks. Also, bitte schön: Ist es so schwer zu verstehen, dass ich in meinem Glas nichts haben will, das mich an die Dinge erinnert, die ich als Student trinken musste? Auf Partys vor kaputten Kühlschränken mit hinter der Heizung vergessenen Flaschen nach den Festen?

Ein moderner James Bond würde sich nicht mehr drum kümmern, ob sein Drink gerührt oder geschüttelt würde; er stünde im Maßanzug vor dem Tresen und verlangte in astreinem Oxford-Englisch: Hauptsache von der Temperatur her nicht wie frisch gebrunzt.
Bitte, bitte, bitte schön: Es kann doch nicht sein, dass man auf dem Weg noch vorne, in die Zukunft, die Vergangenheit vergessen hat wie die Eidechse ihren Schwanz? Junge Männer haben endlich gelernt, sich die Krawatte selbst zu binden, aber jetzt denken sie nicht mehr an die Unterhose? Aber echt.

Ist das „Lab“ am zu kurzen Shaken schuld?

Jedes Detail beachten wir; Texturen werden komponiert wie Gemälde, aus Aromen werden prachtvolle Paläste gebaut, Verwässerung wird kontempliert (wobei ich an Verwässerung als Ausrede nicht glaube, um zu kurz zu shaken), über die optimale Glasform wird sinniert, und die Gläser werden meist sogar gekühlt – nur, um dann mit einer lauwarmen Fuselbrühe befüllt zu werden. Da hat auch das kälteste Glas keine Chance mehr.

Ein wenig habe ich den Verdacht, dass der Trend zum Pre-Batch mitverantwortlich ist für die cocktailtechnische Klimakrise. Wenn sich Leidenschaft und Aufmerksamkeit zusehends vom Tresen nach hinten ins „Lab“ verlagern, dann geht möglicherweise vorne am Gast etwas verloren – schon gleich, wenn die Arbeit am Shaker ohnehin nicht mehr primär dazu dient, verschiedenen Zutaten miteinander zu vermengen, weil alles schon vorher vermengt und auf Flaschen gezogen wurde. Da kann man dann schnell einmal vergessen, dass das Vermengen nur der eine Teil des Prozesses war, Kühlung aber der zweite. Vielleicht würde heutzutage sowieso keiner mehr den Shaker zur Hand nehmen, wenn es nicht so cool aussehen würde.

Was man glücklicherweise kaum noch sieht, ist die Barlöffel-auf-den-Handrücken-Verkostung; wenig überraschend dann wieder, wenn man bedenkt, dass die Belegschaft vermutlich schon am Nachmittag aus dem Batch-Bottich gesoffen hat. Sie erinnern sich aber bestimmt noch: dieses wissend-sinnierende Tröpfchenschlürfen, das in der gesamten Cocktailgeschichte weltweit noch niemals dazu geführt hat, am probierten Cocktail auch nur das Geringste nachträglich zu verändern. Immerhin kühlt der Cocktail während des Testvorgangs noch ein wenig nach.

Wenn es schon schwierig war, an drei Mü Getränk auf der schwitzigen Pranke Geschmacksfehler zu erkennen, so kann man das im Bezug auf die Temperatur gleich vergessen. Am Shaker merkt man’s aber, und am Rührglas auch! Und ein kleines elektrisches Thermometerchen kostet fünf Euro. Wir mögen doch alle technisches Equipment, gell?!

Loslassen, wenn’s weh tut

Ich habe immer noch das Video des ersten von Ago Perrone für mich bereiteten Martini; es ist für mich ein nicht nachlassender Genuss, das zu betrachten. Erst rührt Perrone einige Sekunden lang das Rührglas kalt und gießt das erste Schmelzwasser ab, dann rührt er den Martini eine knappe halbe Minute lang, wobei er immer wieder mit der freien Hand die Temperatur am Glas überprüft. Hat dem Schuppen nicht geschadet, das Gewese. Nur mal so nebenbei.

„Jaaaa, der Perrone vom Connaught … schon klaaar.“ Ich spüre förmlich das Augenrollen der Leserschaft. Klar, das braucht alles Zeit, aber es geht eben auch um ein viel zu wichtiges Merkmal. Die Temperatur ist der Reifensatz, mit der man die Pferdestärken des Drinks auf die Straße bringt, und vom Zeitaufwand her verliert man immer gegen eine Dose Sex on the Beach.

Also, den Shaker gegriffen und anstatt auf den Hüftschwung auf das Gefühl in den Händen geachtet! Selten war der Begriff „Faustregel“ treffender: Erst loslassen, wenn’s weh tut.

Credits

Foto: ariadnas – stock.adobe.com

Comments (2)

  • Peter Schütte

    Großartig! Danke für diese Klarstellung.

    Gezeichnet
    Eine alte Barbitch!

    reply
  • Kathrin

    Ein ganz wunderbarer Artikel mit einem herrlichen Wortwitz.

    reply

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