The Killa
Tequila hat nach wie vor das Image des Schwierigen und Sperrigen unter den Spirituosen. Es bedarf ein wenig Wissen und Offenheit, um seine Vorzüge jenseits der Klischees zu erfahren. In Amerika ist er ein Milliardengeschäft ohne Debatte bei Bartendern und Konsumenten. In Deutschland hat er oft einen schweren Stand. Zu Unrecht, wie Markus Orschiedt aufzeigt.
Die Nachricht ist nichts anderes als eine Agavenbombe. Nicht die Qualität von Tequila als Shot oder als Zutat für einen Drink ist gemeint, sondern Tequila kann reich machen, steinreich. Allerdings nicht den Campesino: Der Spirituosengigant Diageo hat von George Clooney und dessen beiden Partnern ein geschickt und prominent vermarktetes Tequilarezept gekauft, für schlappe 700 Millionen Dollar. Seine vor vier Jahren mit zwei Freunden gegründete Marke „Casamigos“ hat schnell nicht nur für den Eigengebrauch herstellen lassen, sondern 2016 über 1,6 Millionen Flaschen verkauft. Für 2017 erwartete man, die 2 Millionen-Marke zu knacken und Clooney mit Bonuszahlungen sogar die Milliarde.
Das Destillat geht vorwiegend auf den amerikanischen Markt und ist maßgeschneidert für eine „Upmarket“-Zielgruppe, die gerne einen Liter der gereiften Abfüllungen im Gegenwert von über 100 Dollar in die Blutbahnen pumpt. Da Umsatz bekanntlich noch lange kein Gewinn ist, ist die Kaufsumme sicherlich mit einer Wachstumsphantasie für die nahe Zukunft gekoppelt, die auch ohne Neckshots schwindeln lässt, angesichts des globalen Handelns von Diageo aber auch nicht im Reich der Delirien liegen muss.
Eigentlich kein Grund sich zu wundern, warum schlagen dann aber bei Tequila in Anbetracht dieser Meldung Bartender und Experten die Hände über dem Kopf zusammen und gönnen dem Mann mit dem frauenbetörenden, sich politisch fortschrittlich gebenden Nestlé-Grinsen zwar die Millionen, aber mokieren sich darüber, dass es eben Tequila ist?
Dritte-Welt-Suff Tequila
Tequila ist wahrscheinlich eines der großen Mysterien innerhalb der Spirituosenwelt. Man kann ihn als den „bekanntesten Unbekannten“ bezeichnen oder – je nach eigenem Erleben –, als „Entzugsspirituose für Abstinenzler“ und als „Sonne des Rausches“, wenn man will. Tatsächlich begleitet ihn noch immer, vor allem in Deutschland, das Image als ewiger „Bad Boy“ der flüssigen Genussmittel.
Tequila ist das schwer erziehbare Kind, der nie erwachsen werdende Satansbraten, der trotz seiner Hochveranlagung immer Außenseiter geblieben und niemals Teil der distinguierten Trinkzirkel geworden ist. Ohne konkrete Namen zu nennen, hat Tequila lange an seinem ramponierten Image laboriert, war genauso wie Vodka eine Spirituose mit keinem Alkohol-, wohl aber einem Imageproblem.
Die Sombrero-Exotik passte zum damaligen Zeitgeist und hat die Lust am Dritte-Welt-Suff, hat den Revolutionstreibstoff Bier an den Tresen brandbeschleunigt. Der Salzrand am Glas der Margarita war die imaginierte Essenz erotisch-verschwitzter Sonnenlederhäute heißer Nächte und mit einer Paloma wurde erst recht auf die Gringo-Imperialisten gepfiffen.
Für die Psychonauten gab es dann noch den Tequila Sunrise und die Ladies quälten Scharen von Kellnern mit randvollen, kiloschweren Fruchtpüree-Margaritas mit Schirmchen. Der Kleinbürger-Plebs bekam Tequila durch die Fußball-WM 1970 und 1986 in Mexiko eingenetzt. Mehr Gepansche als Pancho Villa und der zapatistische Geist des Agavendestillats hat nicht Schritt halten können mit der Revolution an den Tresen der Welt und der Verfeinerung der Sinne, um Trinker zu resozialisieren, einen besseren Menschen zu schaffen und es sogar ins Feuilleton der Anständigen zu schaffen.
Das Image des Tequila aufpolieren
Da wollten es die Tequilamenschen besser machen und gingen in die Aufklärungsoffensive. Schweiß musste wieder fließen, diesmal allerdings nicht der von Sex, Sport und Revolution, sondern der von hart arbeitenden Campesinos. Tequila ist Handarbeit und die Rohstoffe sind hochwertig, kontrolliert und natürlich. Journalisten wurden eingeflogen und tatsächlich wird nun in der Bürgerpresse über Tequila berichtet, manchmal nicht ohne den herbeigeschriebenen Schauer von Geschichten über finstere Narco-Barone am Wegesrand der Sierra Madre Oriental mitschwingen zu lassen. Wettbewerbe, Werbung und Botschafter vaporisierten den feinen Coolnessfaktor über die Rezeptoren der Multiplikatoren. Allein, ein konsistenter Strom wollte sich nicht in die skeptischen Furchen der Adressaten lenken lassen.
Nicht ganz. „ Als ich meine Bar The Chug Club in Hamburg mit der Ansage aufgemacht habe, den Schwerpunkt auf Tequila zu legen, also eine anspruchsvolle Tequila-Cocktailbar zu eröffnen, haben mich eigentlich alle gefragt, ob ich den Verstand verloren habe“, erzählt Bettina Kupsa. Ihr kam es darauf an, ein Alleinstellungsmerkmal zu entwickeln und sie übersetzt die klassischen Schlagworte und Metaphern ausschließlich positiv: „Tequila ist Geschichte, Eros, Agave, Sonne und Lebensfreude. Ganz gegen die landläufige Meinung ist er auch die am breitesten einsetzbare Mixspirituose. Unsere Aufgabe ist es, Vorurteile und Ängste gegenüber Tequila, die sich hartnäckig halten aber völlig unbegründet sind, abzubauen.“
Noch immer ist es Standard, bei Gesprächen über Tequila entweder von Konsumenten Trinkerlebnisse aus der Jugend geschildert zu bekommen, die eng verbunden sind mit Apfelkornexzessen und allem, was sich noch nicht Latschenkiefer nennen darf, dafür aber dicke Schädel macht. Bartender winden sich bei der Bezeugung von Shot-Orgien jenseits des Wahren und Guten. Je nach Urlaubserinnerung gerne verschlimmbessert mit Salz, Zitrone, Kaffee, Orange, Zucker, Zimt und eisgekühlt. „Wir arbeiten daran, diese negative Konnotation zu überwinden, und servieren wechselnde Tequila-Menüs mit fünf verschiedenen Variationen. Da können sich Kenner und Neugierige durch unsere über 150 Agavenqualitäten probieren. Durch die ‚Chugs‘, also Portionsgrößen zwischen Shot und Shortdrink, können die Gäste die Bandbreite erfahren ohne gleich ‚ganze‘ Drinks bestellen zu müssen.“ Inzwischen bestreitet Kupsa sagenhafte 75 Prozent ihres Umsatzes mit Tequila.
Den Einstieg schafft Kupsa meist über ruhende und gereifte Qualitäten wie Reposado oder Añejo, bevor sie dann gerne auch demonstriert, was man mit einem einfachen Blanco alles machen kann. „Alle Lagerqualitäten sind kombinierbar mit Kräutern, Früchten und Botanicals.“ So lernen die Gäste den Geschmack von Tequila Blanco mit Kresse, Zitronengras und Ingwer kennen, im Sous Vide-Verfahren aromatisierten Tequila mit Vanille, Himbeere und Tonkabohne oder Reposado mit Ananas, Chili, Brombeere, Pfeffer, Rhabarber und Apfel.
Modernes Image: Kein Agavenvodka
Auch einer der Tequila-Pioniere in Deutschland, Tom Jakschas, betont den Reichtum von Tequila und dessen Exzellenz für die gehobene Barkultur. Auch, wenn er cool-süffisant bilanziert: „Nach all den Jahren fehlt es immer noch fundamental an Wissen über Tequila, sozusagen einem ‚Wissen 2.0‘. Egal, ob ich in Spitzenbars wie dem Shepheards und dem Spirits oder einer Divebar gearbeitet habe – oft geht es nur um die Wirkung. Richtiges Tequilatrinken ist oft ‚geführtes Trinken‘. Dann erkläre ich bei Interesse gerne, dass guter Tequila an die 600 nachweisbare Aromen hat – mehr als Cognac – und dass die Herstellung und Lagerung strengen Regularien folgt. Da kann kein Gin mithalten. Aber der vermehrte Einsatz von Autoklaven und Diffusoren, um den Saft der Agavenherzen für die industrielle Produktion zu kochen und auszuschwemmen, Hefe statt Bakterien und Chemie bei der Fermentation und die Zugabe von Industriezucker machen vieles wieder zunichte.“
Ein Frevel, nachdem die Pflanze etwa elf Jahre gebraucht hat, um mit der Kraft von Sonne, Klima und Boden den süßen Grundstoff zu entwickeln. Jakschas spricht dann naserümpfend von Agavenvodka oder Neutralalkohol mit Geschmack: „Ich missioniere schon lange nicht mehr. Umso erfreulicher, wenn jemand einen gut zubereiteten Tequila Old Fashioned zu schätzen weiß oder sich bei Zimmertemperatur im Schwenker pur durch sorgsam hergestellte Añejos oder Extra-Añejos tastet.“ Dann rät er gar zum nächsten Schritt und empfiehlt die Verbindung mit Süßweinen und Wermut. Dann lebt Tequila!
Von den Toten auferstanden
Eine Kombinatorik, der auch Barbetreiber und Autor Oliver Ebert (Becketts Kopf, Berlin) beipflichtet. „Die Fruchtigkeit von gutem Tequila ist frappierend. Leider muss man Gäste fast therapeutisch an Tequila und ausgefallene Cocktailkreationen mit Tequila heranführen. Die Ausnahme stellen unsere amerikanischen Gäste dar. Die fragen sogar immer direkt nach Tequila. Dann kommen auch die Feinheiten ins Glas. Die ausgesprochene Verträglichkeit von Tequila mit Bitterlikören, Marille, Minze und Gurke, aber auch Lavendel und Anis harmonieren fantastisch“, so Ebert.
Ebert attestiert Tequila eine singuläre Tragfähigkeit als Agavenspirituose und zeigt sich irritiert über den Hype, den Mezcal seit einigen Jahren als Bartender-Spirituose erfährt. Wenn man den Apologeten dieser Urvariante Gehör schenkt, gilt folgendes: Jeder Tequila ist ein Mezcal, aber kein Mezcal ist automatisch ein Tequila. Ebenso, wie jedes Filetsteak Fleisch ist, aber Fleisch noch lange kein Filetsteak.
Fachlich richtig und dennoch: „Ich verstehe nicht, wie man eine ungelagerte Spirituose, die noch dazu Vor- und Nachlauf nicht sauber bei der Destillation trennt, wirklich mit Genuss trinken kann. Als ich einem renommierten Brenner vor Jahren Mezcal, einen sehr teuren und in der Szene sehr hoch gehandelten Mezcal, zum Probieren gab – er kannte Mezcal noch nicht –, fragte er nur entgeistert, ob das denn wirklich verkauft werden darf“, erzählt Ebert mit sparsamen Gesichtsausdruck. Tom Jakschas pflichtet ihm bei und findet: „Da ist viel Indianer-Romantik dabei, ‚artesanal‘ und so weiter. Untrinkbar für die aufgerufenen Preise.“ Nach Auffassung von Ebert und Jakschas gebe es ausgezeichnet gemachten Mezcal, der sei aber in Deutschland kaum zu finden und rechtfertige schon gar keinen derartigen oberflächlichen Rummel.
Da die Infragestellung eines verwandten Produktes Tequila noch lange nicht die Referenz erweist, die seine Anhänger für ihn reklamieren, so bleibt er ein Rätsel. Sein Ruf immer der eines Desperados. Ein Narrativ, das jenseits der Folklore eigentlich eher reizen als abstoßen sollte. Sogar die Autoindustrie entdeckt gerade Tequila. Ford verwendet die Faserabfälle der Destillen, um petrochemisch hergestellte Leichtbauteile damit zu ersetzen. Armaturen und Getränkehalter aus Agaven. Drink for driving. Die phonetische Verballhornung weist den Weg. Falsch getrunken und produziert ist er „The Killa“ für Körper und Geist aus dem Land, in dem der Tod heilig ist. Sauber in die Welt gebracht und in seiner Variabilität genossen, hat er sein Lazarus-Erlebnis und feiert Wiederauferstehung. Er macht zwar nicht reich, ist aber für jede Synapse eine Bereicherung.
Offenlegung: Dieser Text erschien in leicht geänderter Form bereits in der Ausgabe 04/2017 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur, erschienen. Informationen zu einem Abonnement finden Sie hier.
Credits
Foto: Tim Klöcker